Mehrere Hundert Menschen klagen wegen Beschwerden, die sie auf die Covid-Impfung zurückführen, gegen Biontech, Astrazeneca & Co. Den Beweis zu führen, ist schwierig.

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Wenn am Montag vor dem Landgericht Rottweil die erste mündliche Verhandlung in einem Schadensersatzprozess gegen den Impfstoff-Hersteller Biontech beginnt, geht es um ein Blutgerinnsel. Der Kläger macht geltend, dass eine Thrombose im Auge dazu geführt hat, dass er auf diesem Auge erblindet ist. Der Wiesbadener Rechtsanwalt Joachim Cäsar-Preller vertritt den Mann. Er fordert 150.000 Euro Schadensersatz.

Denn das Gerinnsel ist relativ kurz nach der Corona-Impfung mit dem Vakzin Comirnaty aufgetreten.

Anwalt: "Solidarität mit Geschädigten"

In den nächsten Wochen und Monaten werden an vielen deutschen Landgerichten Verfahren beginnen, in denen die Kläger Schadensersatz und Schmerzensgeld fordern. Allein Cäsar-Preller hat nach eigenen Angaben 850 Mandanten und bereits 150 Klagen eingereicht. Weitere Kanzleien kommen hinzu. Die Kläger führen an, durch die Corona-Impfung einen Impfschaden erlitten zu haben:

"Im Sinne dieses Gesetzes ist [ein] Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung."

§ 2, Satz 10 Infektionsschutzgesetz

Diesen Schaden auszugleichen, hat für Cäsar-Preller ähnlich wie die Impfung selbst mit gesellschaftlichem Zusammenhalt zu tun: "Mir geht es darum, dass die, die sich aus Solidarität haben hier impfen lassen, jetzt nicht alleinstehen dürfen."

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Impfschäden: Beweisführung schwierig

Eine Frage sei bei der Beurteilung von Impfschäden entscheidend, sagt Peter Berlit, der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: "Kommt das Ganze von der Impfung oder ist es ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen?"

Denn all diese Beschwerden können auch andere Ursachen haben – Virusinfektionen etwa, allen voran mit Sars-CoV-2. Auch wenn die Betroffenen gar nichts von der Infektion merken, können sie zum Beispiel an Long Covid erkranken. Solche Langzeitfolgen können dieselben schweren Beschwerden wie die Impfung auslösen – nur ist das Risiko für Long Covid um ein Vielfaches höher.

Die Ursache klar herauszuarbeiten, ist für Carsten Watzl, den Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, eine Herausforderung:

"Zu sagen, dass die Impfung wirklich eine Erkrankung oder eine Komplikation verursacht hat, ist für den Einzelnen fast unmöglich."

Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie

Das Problem stellt sich nicht erst jetzt vor Gericht, sondern schon seit Beginn der Impfkampagne Ende 2020. Arzneimittelüberwachungsbehörden wie das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sammeln deshalb Verdachtsmeldungen schwerwiegender Impfnebenwirkungen und vergleichen die Zahl der gemeldeten Beschwerden damit, wie häufig sie in Zeiten vor der Impfung vorgekommen sind. Übersteigen die Meldungen diese sogenannte Hintergrundinzidenz, schlagen die Arzneimittelüberwacher Alarm.

Sehr gut funktionierte das im Frühjahr 2021: Den Behörden war aufgefallen, dass nach Impfungen mit dem Präparat von Astrazeneca häufiger als zu erwarten Thrombozytopenien auftraten. Das bekannteste Symptom sind die Sinusvenen-Thrombosen, die den Blutabfluss aus dem Hirn blockieren können. Inzwischen gilt als gesichert, dass die vektorbasierten Impfstoffe von Astrazeneca und anderen Herstellern bei einigen Patienten die Produktion von Antikörpern auslösen, die sich gegen die eigenen Blutplättchen richten.

Bei den vektorbasierten Impfstoffen beobachten die Arzneimittelüberwacher in seltenen Fällen auch die aufsteigenden Lähmungen des Guillain-Barré-Syndroms. Vor allem bei jungen Männern fiel nach Impfungen mit den mRNA-Impfstoffen auf, dass diese Vakzine sehr selten Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen auslösen können.

So schnell diese schweren unerwünschten Impfreaktionen auch dank weltweiter Zusammenarbeit bekannt wurden – in Deutschland ist die Kommunikation darüber schon lange ideologisch aufgeheizt. Das kann nicht nur zu einer Überschätzung des Problems führen.

Dabei sind schwere Nebenwirkungen auch bei Impfstoffen gegen andere Erreger bekannt. Beispiel Herzmuskelentzündung (Myokarditis): Ein Team der Nationalen Universität von Singapur hat 22 Studien zu Impfnebenwirkungen ausgewertet. Insgesamt flossen Daten zu mehr als 405 Millionen Impfdosen in die 2022 publizierte Studie ein. Für die Corona-Impfstoffe fanden die Forscher 33 Fälle von Myokarditis auf eine Million Impfdosen. Außer bei Männern unter 30 lagen die Zahlen auch bei Menschen, die sich gegen andere Erreger hatten vakzinieren lassen, in derselben Größenordnung. Bei der Pockenimpfung zeigte sich sogar ein höheres Risiko für diese Komplikation.

Erste Erfolge bei der Suche nach Biomarkern

Schwere Impfreaktionen bekommen schon seit den ersten Tagen der Impfkampagne große Aufmerksamkeit – auch, weil SPD-Politiker Karl Lauterbach die Vakzine vor seiner Zeit als Minister in einem Tweet als "nebenwirkungsfrei" anpries. Nun warnt Carsten Watzl davor, die Risiken aufgrund der Medienberichte über die Prozesse zu überschätzen: "Man darf jetzt nicht den Eindruck erwecken, die Impfung sei vielleicht doch nicht so sicher", sagt er: "Wir reden immer noch über sehr seltene Ereignisse."

Weil aber 60 Millionen Menschen in sehr kurzer Zeit die Impfung bekommen haben, haben in dieser kurzen Zeit mehrere Tausend schwere Nebenwirkungen erlitten. "Aber das darf nicht den Eindruck erwecken, dass wir im Nachhinein die Impfung komplett neu bewerten müssen." Noch immer stellten die Corona-Impfstoffe im Vergleich zur Covid-Infektion das kleinere Risiko dar.

Zumal die Forschung bei der Suche nach Spuren im Körper der Betroffenen, sogenannten Biomarkern, vorankommt. Etwa bei den Sinusvenenthrombosen oder bei den Herzmuskelentzündungen ist das gelungen. Ein großer Fortschritt, findet der Neurologe Peter Berlit:

"Wenn Laborbefunde oder bildgebende Befunde zeigen, es hat was mit der Impfung zu tun, dann erleichtert das die Einordnung als Impffolge, hilft uns bei der Wahl einer geeigneten Therapie und bei etwaigen juristischen Ansprüchen, die Betroffene nachher stellen."

Eine Zeit lang gab es die Vermutung, Corona-Impfungen könnten in seltenen Fällen eine Gürtelrose auslösen. Diesen Verdacht haben Studien jedoch widerlegt.

100 Millionen für die Long-Covid-Forschung

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat angekündigt, 100 Millionen Euro für die Versorgungsforschung bei Long Covid bereitzustellen – davon könnten auch Post-Vac-Betroffene profitieren, die unter vergleichbaren Symptomen leiden. Bernhard Schieffer, der Menschen mit diesen Beschwerden am Zentrum für Notfallmedizin des Universitätsklinikums Gießen und Marburg behandelt, begrüßt die Pläne. Der Mediziner wünscht sich ein abgestimmtes Vorgehen bei der Behandlung und der Forschung: "Wir bräuchten jetzt zehn virtuelle Institute, die sich in der Republik verteilt vernetzt haben, dann wissen die Patienten wenigstens, wo sie Anlaufstellen finden."

Viele Ärztinnen und Ärzte klagten während der Impfkampagne darüber, es sei zu kompliziert und koste zu viel Zeit, dem Paul-Ehrlich-Institut Nebenwirkungen zu melden. Deshalb gehen manche Experten davon aus, dass nur ein Teil der tatsächlich aufgetretenen Nebenwirkungen erfasst wurde.

Digitale Krankenakten und ein Impfregister könnten die Impfstoffüberwachung und die Suche nach Ursachen erleichtern. Forscher könnten sich bei Millionen von Menschen anonymisiert anschauen, wer mit welchen Vorerkrankungen welchen Impfstoff wann bekommen hat und welche Beschwerden danach aufgetreten sind. Fachleute wie Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, ist von dem Ansatz überzeugt: "Dann habe ich die statistische Power, wie man so schön immer sagt, um auch kleine Effekte zu sehen."

Fachleute sind hingegen davon überzeugt, dass die Corona-Impfungen in sehr seltenen Fällen ein Post-Vac-Syndrom auslösen können, das von einer anhaltend schweren Erschöpfung geprägt ist, wie sie auch vom Komplex Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) bekannt sind. Das Paul-Ehrlich-Institut habe zwar inzwischen rund 500 Verdachtsfälle registriert, doch noch kein Risikosignal erkannt, sagt der Immunologe Carsten Watzl. "So ein chronisches Erschöpfungssyndrom tritt auch nach Infektionen und anderen immunologischen Ereignissen auf."

Drei Hürden vor Gericht

Wer vermutet, unter einer schweren Impfnebenwirkung zu leiden, kann bei den Versorgungsämtern der Bundesländer einen Antrag stellen. Nach Recherchen der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von Mitte März dieses Jahres haben das 6.600 Menschen getan. Wer Erfolg hat, bekommt eine Rente. Lediglich bei 284 Menschen hätten die Behörden das bislang anerkannt.

Wenn diese Menschen nun von den Impfstoffherstellern Schadensersatz fordern, sei vor Gericht eine wichtige Hürde bereits genommen, sagt Cäsar-Preller. Denn dann gelte der Beweis, dass die Impfung hinter ihren Beschwerden stecke, bereits als geführt. Bei seinen anderen Mandanten hätten renommierte Mediziner bestätigt, dass die Beschwerden von der Impfung kämen, sagt der Rechtsanwalt: "Das genügt zumindest, um ein gerichtliches Sachverständigengutachten auf den Weg zu bringen."

Auch für Gutachter vor Gericht ist es schwierig, einen Zusammenhang wirklich nachzuweisen. Das Gesetz gibt ihnen vor, sich nach dem "aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft" zu richten. Dazu schauen sie sich die Krankengeschichte der Kläger an und prüfen, ob die Beschwerden zu dem passen, was eine Impfung auslösen kann.

Zusätzlich will Cäsar-Preller das Gericht davon überzeugen, dass die Pharmaunternehmen tatsächlich haften müssen. In diesem Punkt hat das Bundesgesundheitsministerium im Mai 2020 die rechtlichen Hürden erhöht. In einer Bundesrechtsverordnung hat der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) festgelegt, dass die Impfstoffhersteller nur dann haften, wenn sie grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich einen Schaden verursacht haben. Das können die Hersteller schon dadurch vermeiden, dass sie die Beipackzettel der Vakzine immer auf dem jeweiligen Kenntnisstand zu den Impfnebenwirkungen halten.

Ohnehin hätten sich die Hersteller bereits während der Entwicklung der Corona-Impfstoffe von der EU und der Bundesregierung zusichern lassen, dass der Staat letztlich die Haftung übernimmt. Muss ein Hersteller zahlen, kann er sich das Geld von der Bundesregierung zurückholen.

Das dritte Hindernis für die Betroffenen: Wenn das Nutzen-Risiko-Verhältnis bei den Impfungen positiv ausfällt, gibt es keine Haftung. Gesamtgesellschaftlich – darin sind sich die Fachleute einig – ist diese Nutzen-Risiko-Abwägung für die Corona-Impfungen immer noch positiv: Die Impfstoffe haben Millionen Menschen vor schweren Verläufen mit Beatmung auf der Intensivstation oder sogar vor dem Tod bewahrt. Inzwischen gehen Wissenschaftler davon aus, dass sie das Risiko, an Long Covid zu erkranken, um die Hälfte reduzieren.

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Impfungen: Gesellschaftlicher Nutzen, im Einzelfall möglicher persönlicher Schaden

Jeder Mensch, der sich impfen lässt, schützt die Menschen um sich herum und brachte die gesamte Bevölkerung dem Ende einer Pandemie näher. Erleidet er jedoch einen Impfschaden, ist er damit weitgehend allein. Das bringen die Gerichtsprozesse jetzt wieder ins Bewusstsein.

Cäsar-Preller zieht den Nutzen der Impfungen grundsätzlich in Zweifel: Geimpfte hätten sich weiterhin mit Covid anstecken können und seien weiterhin ansteckend gewesen. Auch beim Schutz vor schweren Verläufen hätten die Impfungen versagt: "Meine Mandanten haben ja alle schwere Verläufe und sind geimpft."

Ob diese Argumente verfangen und sich seine Mandanten letztlich durchsetzen können, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen. Das Landgericht Hof jedenfalls wies im Januar eine Schadensersatzklage gegen Astrazeneca ab – mit der Begründung, die gesamtgesellschaftliche Nutzen-Risiko-Bilanz sei positiv.

Beim Impfstoffhersteller Biontech hat sich die Fachabteilung der Arzneimittelsicherheit mit dem Rottweiler Fall befasst. Auf Anfrage teilte eine Sprecherin des Unternehmens mit:

"Wir haben die vom Kläger dargestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf der Grundlage aller zur Verfügung gestellten Informationen sorgfältig geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klage unbegründet ist."

Bislang habe das Unternehmen bei keinem Fall einen Zusammenhang zwischen der Impfung und den Beschwerden gefunden.

Watzl wirbt darum, die Betroffenen im Blick zu behalten. "Wir hatten in der Pandemie eine Notsituation, sind bei den Impfungen zügig vorangeschritten und haben sie sehr propagiert", sagt er: "Jetzt sollte man in Fälle, bei denen möglicherweise nicht hundertprozentig bewiesen ist, dass die Beschwerden direkt von der Impfung kommen, großzügig entscheiden."

Verwendete Quellen:

  • bmj.de: "Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) - § 2 Begriffsbestimmungen"
  • pubmed.ncbi.nlm.nih.gov: "Myopericarditis following COVID-19 vaccination and non-COVID-19 vaccination: a systematic review and meta-analysis"
  • faz.net: "Zahl der anerkannten Impfschäden seit Herbst stark gestiegen"
  • Anwalt.de: Landgericht Hof: "Klage gegen Impfhersteller AstraZeneca in 1. Instanz abgewiesen"
Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

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