Wie meistern Deutschlands Apotheker, Krankenschwestern und Ärzte die Coronakrise? Und wie ist die aktuelle Situation vor Ort? Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen.

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Wie eine Rakete geht die orange Linie steil nach oben. Deutschlandweit gibt es laut Daten der Johns Hopkins University mittlerweile etwa 34.000 positiv getestete Coronavirus-Fälle (Stand: 25. März, 14:15 Uhr). Die Zahl steigt weiter rasant an, alle zwei bis drei Tage verdoppelt sich die Anzahl der neu Infizierten: Wo gestern nur 100 Menschen an COVID-19 erkrankten, sind es spätestens übermorgen schon 200 – und in einer Woche bereits 800.

Ein Blick nach Italien zeigt, was Deutschland noch bevorstehen könnte. Trotz breit angelegter Gegenmaßnahmen und drastischer Ausgangsbeschränkungen.

Doch wie ist derzeit die Lage in den Krankenhäusern, Arztpraxen und Apotheken der Bundesrepublik? Und wie bereiten sie sich auf die immer mehr werdenden Infizierten vor?

Unsere Redaktion hat mit mehreren Medizinern und Angestellten im Gesundheitswesen gesprochen. Unter Zusicherung von Anonymität schildern hier stellvertretend eine Apothekerin, eine Krankenschwester sowie zwei Ärzte offen ihre Situation und beschreiben die Zustände vor Ort. Die Äußerungen zeigen: Deutschland scheint vorbereitet. Aber niemand weiß, was kommt.

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Arzt: "Es ist die Ruhe vor dem Sturm"

"Die Lage ist noch überschaubar. Es ist die Ruhe vor dem Sturm", sagt ein Assistenzarzt in der Inneren Medizin eines baden-württembergischen Krankenhauses. Dort werden ihm zufolge derzeit vier Patienten stationär mit einer Corona-Infektion behandelt, einer davon auf der Intensivstation. "Meine derzeitige Arbeitsbelastung ist relativ vergleichbar mit 'normalen' Zeiten", sagt er. Noch.

Die Klinik habe bereits umfangreiche Vorbereitungen getroffen: Unter anderem werde nun schon am Eingang kontrolliert, spezielle Bereiche zur Behandlung von Verdachts- und tatsächlichen Corona-Fällen seien eingerichtet sowie der reguläre Ambulanz- und Kantinenbetrieb reduziert worden, für das gesamte medizinische Personal habe es Schulungen gegeben. "Wir haben zudem die Verteilung von Desinfektionsmitteln zentralisiert, nachdem es wiederholt Diebstähle gab", erklärt der Arzt.

Auffällig sei, dass er und seine Kollegen aktuell vermehrt Rezeptanfragen bearbeiten würden. Mit Blick auf die Hamsterkäufe in Supermärkten sagt der Mediziner: "Es scheint auch hier einige Menschen zu geben, die sich einen Vorrat für die nächste Zeit anlegen."

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Apothekerin: "Wir können die Leute nach wie vor versorgen"

Eine Apothekerin aus Thüringen bestätigt diesen Eindruck. "Viele haben offenbar Angst, dass die Praxen schließen würden." In der vergangenen Woche sei der Kundenstrom rapide angestiegen. Zwischen 300 und 400 Kunden hätten sie jetzt an einem Tag. "Die ersten Leute warten sogar schon vor der Eröffnung vor dem Laden, so etwas gab es früher seltener."

Zuerst seien Mundschutz und Desinfektionsmittel nicht mehr oder nur noch sporadisch über die Großhändler lieferbar gewesen. "Das betrifft nun aber auch viele andere Sachen, wie Tabletten für den Blutdruck oder Diabetes", sagt die Apothekerin. Sie betont aber: "Wir können die Leute nach wie vor versorgen, zur Not suche ich eine Alternative."

Doch das alles ist Mehrarbeit. Schon jetzt gebe es eine hohe Belastung. "Es ist äußerst schwierig überhaupt die Pausenzeiten einzuhalten, weil ständig Kunden im Laden sind", sagt die Mittdreißigerin. Selbst ein Gang auf die Toilette sei mitunter kaum möglich. Immerhin seien die Kunden in der Coronakrise zunehmend geduldiger und verständnisvoller geworden. "Sie sehen, wie überlastet alle sind."

Hausärztin: "Wir sind die erste Front"

Eine Hausärztin aus dem bayerischen Aichach hat dagegen in den vergangenen Tagen umgekehrte Erfahrungen gemacht – zumindest was den Kontakt zu Patienten angeht. Viele hätten ihre Termine bei der Internistin zuletzt abgesagt. Sie selbst habe die Hausbesuche "stark eingeschränkt".

Weniger Arbeit bedeutet das trotzdem nicht: Die Praxis werde zwar weniger besucht, doch nun stehe das Telefon kaum mehr still. "Wir sind die erste Front", sagt die Hausärztin mit Blick auf das Coronavirus. Denn jeder mit Krankheitssymptomen, egal welcher Art, ist angehalten, sich zuerst telefonisch bei seinem Hausarzt zu melden. Wer nicht durchkomme, mache sich auf dem Weg in ihre Praxis.

Sie hat auch deshalb umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen getroffen: "Wir Ärzte sind alle vermummt, arbeiten teilweise im Malerkittel und versuchen so gut es geht Abstand zu den Patienten zu halten." Am Eingang der Praxis hängen darüber hinaus Hinweisschilder, für besonders Fiebrige wurde ein extra Zimmer eingerichtet und die Patienten treten quasi nur noch einzeln ein, erläutert sie. Rezepte werden dabei auch schon mal durch das Fenster gereicht.

Krankenschwester: "Die Fallzahlen nehmen spürbar zu"

Ebenso an vorderster Front arbeitet eine Krankenschwester eines Münchner Krankenhauses. "Seit dieser Woche nehmen die Fallzahlen spürbar zu", sagt die Pflegerin. Sie arbeitet auf einer Intensivstation mit mehreren, teils schweren COVID-19-Fällen, die beatmet werden müssen. Eine Pflegekraft betreut zwei Patienten.

Wie die baden-württembergische hat sich auch die Münchner Klinik umfassend vorbereitet. "Im gesamten Haus haben wir zunächst logistisch überlegt, welche Stationen komplett für Corona-Fälle frei gehalten werden", erläutert die Krankenschwester. Türen und Wege seien verschlossen, Aufenthaltsräume verlegt worden, um die Bereiche komplett zu trennen.

Viele Patienten seien zudem verlegt oder entlassen worden. "Da, wo die Corona-Patienten liegen, sind auch wirklich nur diese Patienten. Es gibt da keine Vermischung mit anderen Erkrankten."

Zusätzliche Beatmungsmaschinen geordert

Außerdem habe die Klinikführung zusätzliche Beatmungsmaschinen geordert, "die uns jetzt akut zur Verfügung gestellt werden können", sagt die Krankenpflegerin. Auch habe das gesamte Personal außerordentliche Hygieneschulungen erhalten und arbeitet seit Mittwoch nur noch in zwei Zwölf-Stunden-Schichten, um zu viele Personalwechsel zu vermeiden. Und: "Wir bewegen uns im gesamten Haus nur noch mit dem vierlagigen Mund-Nasen-Schutz, egal auf welcher Station wir im Einsatz sind."

Vor allem der Planung- und Organisationsaufwand sei derzeit viel mehr, sagt die Krankenschwester. An Material mangelt es bisher nicht – so lange weiter nachgeliefert wird. "Diese Ungewissheit ist anstrengend: Wir sind zwar vorbereitet, doch wann kommen die Patienten, wie viele und in welchem Zustand kommen sie?"

Woran es mangelt und wo es hakt wird wohl erst in den kommenden Wochen deutlich werden, sagt ebenfalls der Assistenzarzt aus Baden-Württemberg. "Dann wird sich auch zeigen", bemerkt er, "wie gut die Strukturen in einem Großkrankenhaus, mit vielen unterschiedlichen Abteilungen und unterschiedlichen Interessen, auf solch eine Ausnahmesituation vorbereitet sind."

Mitarbeit: Sabrina Schäfer

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