- Gesundheitsminister Spahn hat Personen, die bereits eine vollständige Corona-Impfung erhalten haben, Lockerungen und Freiheiten in Aussicht gestellt.
- Viele sehen darin eine Ungerechtigkeit, da längst noch nicht alle Menschen, die dies wollen, sich auch impfen können.
- Juristen und Rechtsexperten sehen das jedoch anders und halten Lockerungen nicht nur für möglich, sondern unter Umständen für zwingend.
Unkomplizierteres Einkaufen, leichteres Reisen - die Debatte über mehr Freiheiten für Menschen, die vollständig gegen Corona geimpft sind, nimmt seit Ostern Fahrt auf. Noch ist unklar, inwieweit sich Gesundheitsminister
Was ist aktuell im Gespräch und warum?
Beim Impfen gab es bisher eine große Unbekannte: Profitieren davon auch die Mitmenschen? Oder können Geimpfte immer noch Überträger sein, also andere mit dem Virus anstecken? Jetzt geht das Robert Koch-Institut (RKI) in einem Bericht an Spahns Ministerium davon aus, "dass Geimpfte bei der Epidemiologie der Erkrankung wahrscheinlich keine wesentliche Rolle mehr spielen".
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Die Einschätzung bezieht sich auf das Übertragungsrisiko "spätestens zum Zeitpunkt ab dem 15. Tag nach Gabe der zweiten Impfdosis". Diese Menschen müssten laut RKI nicht mehr in Quarantäne, sagte Spahn der "Bild am Sonntag". "Wer geimpft ist, kann ohne weiteren Test ins Geschäft oder zum Friseur."
Wieso könnte das ein wichtiger Wendepunkt sein?
Der Staat darf prinzipiell niemals einfach so in Grundrechte eingreifen. Es bedarf immer einer Rechtfertigung. Und die Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein. Von "Sonderrechten" oder "Privilegien" für Geimpfte zu sprechen, wie manche es tun, ist deshalb nicht unproblematisch.
Tatsächlich muss sich die Politik ständig fragen: Ist es verfassungsrechtlich noch zulässig, diese oder jene Maßnahme aufrechtzuerhalten? Bisher wurde das auch für die Geimpften pauschal mitbeantwortet - weil niemand wusste, wie ansteckend sie sind. Neue Erkenntnisse dürften es nötig machen, genauer zu differenzieren.
Ist das nicht ungerecht den Ungeimpften gegenüber?
In der Tat hatte bisher nur ein kleiner Teil der Bevölkerung eine Chance, sich impfen zu lassen. Der Deutsche Ethikrat sieht daher in einer Ad-hoc-Empfehlung von Anfang Februar die Gefahr, dass bei Lockerungen für Geimpfte die Solidarität bröckeln könnte - mit negativen Folgen für die Pandemiebekämpfung.
Aber auch hier findet sich bereits der Hinweis, dass bei geklärtem Ansteckungsrisiko "individuelle Rücknahmen von Freiheitsbeschränkungen für geimpfte Personen vorstellbar und gegebenenfalls geboten" seien.
Wie könnte sich Unruhe vermeiden lassen?
Der Ethikrat schlägt vor, weniger einschneidende Maßnahmen wie die Abstandsregeln oder die Maskenpflicht in bestimmten Situationen für alle in Kraft zu lassen. Das halten auch Rechtsexperten für eher unbedenklich, denn hier ist der Grundrechtseingriff vergleichsweise gering.
Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass bei Lockerungen für Einzelne Chaos entsteht und Kontrolleure jeden Überblick verlieren. Auch Spahn will daran und an den Hygiene-Regeln festhalten. Aber: "Wer vollständig geimpft wurde, kann beim Reisen oder beim Einkaufen wie jemand behandelt werden, der ein negatives Testergebnis hat."
Wie sind diese Pläne rechtlich zu bewerten?
Juristen halten solche Lockerungen unter Umständen sogar für zwingend. Schwere Grundrechtseingriffe wie etwa die zeitweise Schließung eines Friseursalons seien bei Personen, von denen keine Gefahr mehr ausgehe, "nicht mehr zu rechtfertigen", heißt es in einem Papier des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags von Ende Januar. Auch Ausgangssperren, Kontaktverbote oder Quarantäne-Auflagen für Geimpfte sind für Experten tabu.
Der Gießener Jura-Professor Steffen Augsberg fordert die Landesregierungen auf, in ihren Verordnungen so schnell wie möglich entsprechende Ausnahmen vorzusehen. "Und wenn sie das nicht tun, müssen die Gerichte einschreiten", sagte er dem Fachportal "Legal Tribune Online". Er rechnet Geimpften auch gute Chancen aus, zum Beispiel die Möglichkeit zum Theaterbesuch einzuklagen.
Gibt es schon solche Gerichtsentscheidungen?
Bisher waren die Gerichte in dem Punkt sehr vorsichtig, aber möglicherweise setzt gerade ein Umdenken ein: Aktuell kämpft ein Seniorenzentrum in Südbaden darum, seine Cafeteria für geimpfte wie genesene Bewohner und Mitarbeiter wieder öffnen zu dürfen.
Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim hatte das zunächst abgelehnt - um nun nachträglich doch einen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten, wegen der neuen RKI-Einschätzung. Noch ist unklar, ob Heim und Landratsamt darauf eingehen. Sonst wird das Bundesverfassungsgericht demnächst entscheiden. Dort ist der Fall bereits anhängig. (Anja Semmelroch / dpa / dh)
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