- Angesichts der steigenden Zahlen hat Gesundheitsminister Jens Spahn die Länder aufgefordert, nicht auf die geplante "Bundes-Notbremse" zu warten.
- Die Zeit drängt: Die Warnungen der Intensivmediziner sollten dem Gesundheitsminister zufolge ernst genommen werden.
- RKI-Präsident Lothar Wieler warnt ebenfalls vor einer teils dramatischen Lage in den Krankenhäusern.
- Für Urlauber hat Spahn allerdings eine gute Nachricht.
Bundesgesundheitsminister
Spahn rief dazu auf, Warnungen der Intensivmediziner ernst zu nehmen. Hauptziel bleibe, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. "Das was wir jetzt möglicherweise versäumen, rächt sich in zwei, drei Wochen. Genauso wie sich jetzt rächt, was vor zwei, drei Wochen nicht entschieden wurde.
Impfen und Testen reichten nicht, um die dritte Welle zu brechen, sagte Spahn. Es brauche entschiedenes Handeln und weitere Einschränkungen.
Lothar Wieler: "Wir müssen jetzt handeln"
Der Gesundheitsminister appellierte "auch an die Länder": "Es ist gut, dass wir mit der Notbremse per Bundesgesetz bald eine einheitliche und nachvollziehbare Regelung haben, aber wir sollten nicht darauf warten, bis der Bundestag dieses Gesetz nächste Woche beschlossen hat."
Die Zeit dränge. Bereits jetzt hätten alle die Möglichkeit, zu handeln. "Man muss nicht auf dieses Bundesgesetz warten."
Auch das Robert-Koch-Institut (RKI) forderte die Politik eindringlich dazu auf, die dritte Welle in der Corona-Pandemie zu brechen. "Wir müssen die Zahlen runterbringen. Es ist naiv zu glauben, das Virus wegtesten zu können. Das funktioniert nicht", sagte RKI-Präsident Lothar Wieler am Donnerstag in Berlin.
Dazu seien Verordnungen, wirksame Strategien und konsequente Umsetzungen nötig. "Die Lage in den Krankenhäusern spitzt sich teilweise dramatisch zu und wird uns auch noch härter treffen als in der zweiten Welle", ergänzte Wieler. "Wir müssen jetzt handeln."
RKI-Chef: "Dann hilft auch keine Notbremse mehr"
Wieler riet allen Kliniken, ihren Regelbetrieb einzuschränken, um Kapazitäten zur Behandlung von schwer kranken Patienten zu schonen. Es gebe jetzt schon in einigen Städten und Ballungsgebieten auf den Intensivstationen keine freien Betten mehr. "Und das ist eine Situation, in der wir mit mehr Patienten rechnen müssen." Stabile Kranke sollten deshalb aus Regionen mit akutem Bettenmangel rechtzeitig in weniger betroffene Regionen verlegt werden.
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Wegen der Schwere der Erkrankungen würden auf den Intensivstationen immer mehr künstliche Lungen benötigt, sagte der RKI-Präsident. Acht von zehn Geräten seien mit COVID-Patienten belegt. Darunter seien inzwischen auch viele jüngere Erwachsene.
Wieler verglich die aktuelle Pandemielage mit einem Bild: "Stellen Sie sich vor, Sie fahren über enge Straßen in den Dolomiten. Es ist kurvenreich und an einer Seite ist ein steiler Abhang. Jeder weiß, in diese Kurve kann ich nur mit 30 fahren. Wenn ich hier mit einer Geschwindigkeit von 100 reinfahre, dann ist das lebensgefährlich. Man kommt nämlich von der Straße ab. Und ehrlich gesagt hilft dann auch keine Notbremse mehr."
Intensivmediziner: Auf manchen Intensivstationen nur ein Bett frei
Der Intensivmediziner Steffen Weber-Carstens der Berliner Charité gibt Einblicke in die dramatische Lage der Krankenhäuser und warnt ebenfalls vor einer Überlastung des Gesundheitssystems - auch zu Lasten von Patienten mit anderen Krankheiten.
In einigen Regionen gebe es nur noch zehn Prozent freie Kapazitäten, erklärte er. "Was bedeuten zehn Prozent? Die durchschnittliche Größe der Intensivstationen ist zehn bis zwölf Betten. Das bedeutet: pro Intensivstation genau ein Bett". Dies werde auch vorgehalten für Patienten zum Beispiel mit Schlaganfall oder Unfällen - und für COVID-19-Patienten. "Das ist die Situation, wie sie im Moment ist."
Planbare Eingriffe werden bereits wieder verschoben
"Wir brauchen jetzt an dieser Stelle eine Kontrolle der Infektionsdynamik. Sonst werden wir das in Zukunft auf den Intensivstationen nicht mehr adäquat leisten können", sagte der Mediziner. Im Moment laufe man "sehenden Auges in eine Spitzenbelastung" wie es sie zum Jahreswechsel gegeben habe oder noch darüber hinaus.
Es gelte jetzt, das Erreichte nicht zu verspielen: Bislang sei das "Absaufen" des Gesundheitssystems vermieden worden.
Patienten würden von stark belasteten Regionen bereits in andere Regionen umverteilt, Thüringen etwa habe strategische Patientenverlegungen angefragt, schilderte Weber-Carstens. Dass viele Kliniken bereits wieder planbare Eingriffe verschöben, bedeute auch für Nicht-COVID-19-Patienten eine erhebliche Einschränkung der Versorgung.
Jens Spahn zum Sommer: "Bis zur Nordsee wird man sicher kommen"
Trotz der steigenden Zahlen und der Situation auf den Intensivstationen hat Spahn aber auch eine gute Nachricht: Er erwartet, dass bis zum Ende des Sommers weiterhin jeder Impfwillige eine Corona-Impfung bekommen kann.
Die Geschwindigkeit beim Impfen nehme zu und werde weiter zunehmen, versprach der Gesundheitsminister. Er sei weiterhin "Stand heute, mit allem, was wir haben und erwarten dürfen, sehr sehr sicher, dass wir im Sommer werden alle impfen können."
Zu den allgemeinen Aussichten für den Sommer gefragt, zeigte sich der Minister vorsichtig optimistisch. "Ob dann gleich schon wieder alle bis zu den Seychellen fliegen müssen, weiß ich nicht. Bis zur Nordsee wird man sicher kommen."
Die Frage sei jetzt, wie gut es gelinge, die dritte Welle zu brechen. "Gleichzeitig bin ich sehr, sehr zuversichtlich, dass wir im Sommer mit dem, was die Impfkampagne jetzt auch hergibt in der weiteren Entwicklung eine deutlich andere Lage haben. Unbedingt." (ff/dpa)
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