- Vergleicht man die Corona-Werte der einzelnen Regionen, fällt ein deutliches Nord-Süd-Gefälle ins Auge.
- Die norddeutschen Bundesländer scheinen die Krise zumindest ein wenig besser im Griff zu haben.
- Was steckt dahinter?
Rot ist schlecht, gelb oder orange besser. Zumindest, wenn man die täglich aktualisierte Corona-Karte des Robert Koch-Instituts betrachtet. Dabei fällt jedoch die ungleiche Verteilung der Farben auf.
Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Teile des nördlichen Niedersachsen erscheinen gelb, weisen also niedrigere Corona-Fallzahlen auf. Weiter südlich wird es – bis auf vereinzelte helle Flecken – dunkelrot.
Ein Beispiel: Der Kreis Plön meldet 15,5 Fälle auf 100.000 Einwohner in den letzten 7 Tagen. Im Landkreis Rosenheim sind es 246,4. Was machen die Nordlichter besser? Verhindert das "Schietwetter" an der Küste etwa die Ausbreitung des Erregers?
"Die Entwicklung in den Bundesländern ist in der gesamten Pandemie schon heterogen", sagt Ute Rexroth, Leiterin des Lagezentrums am Robert Koch-Institut bei einer Pressekonferenz am 19. November. "Wir erfahren aus den Bundesländern, dass es unterschiedliche Geschehen sind, die die Situation treiben. Es gibt Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen, es gibt Ausbrüche in Krankenhäusern, es gibt sehr viel Übertragung in der Bevölkerung."
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Zeigen die Norddeutschen mehr Disziplin in der Coronakrise?
So weit, so gewöhnlich. Doch dann schiebt Rexroth fast beiläufig einen Satz hinterher, der es in sich hat. "Ich denke schon, dass man unterschiedliche Adhärenz zu den Maßnahmen zum Teil auch in der Fallzahlentwicklung sehen kann."
Das heißt: Wo sich Menschen besser an die Eindämmungsmaßnahmen halten, schlägt sich das unmittelbar in den Zahlen nieder. Was erstmal einleuchtet. "Wir denken, dass die Zahlen ein Hinweis darauf sind, dass die strengeren Maßnahmen greifen", sagt Rexroth. "Das ist eine gute Nachricht."
Aber sind die Norddeutschen tatsächlich disziplinierter bei der Einhaltung der Hygieneregeln? "Es wird diskutiert, ob das Phänomen mit Mentalitätsunterschieden zu tun hat", sagt Prof. Helmut Fickenscher, Leiter des Instituts für Infektionsmedizin an der Uni Kiel.
"Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell hier die Maßnahmen akzeptiert werden, während im Süden stärker protestiert wird."
Auch die Städte in Norddeutschland stehen besser da
Für diese These gibt es allerdings keine wissenschaftliche Basis, betont Fickenscher. Schon eher dürfte die geringe Bevölkerungsdichte in Ländern wie Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern eine Rolle spielen. Mecklenburg-Vorpommern ist das am dünnsten besiedelte Bundesland in Deutschland.
Doch Fickenscher schränkt ein: "Wären die Zahlen nur in ländlichen Gebieten so niedrig, dann wäre das in manchen Gebieten Bayerns auch der Fall. Das alleine kann also nicht der Grund sein."
Denn auch bei den großen Metropolen zeigt sich ein Unterschied. Während München 167 Corona-Fälle pro 100.000 Einwohner in den letzten 7 Tagen meldet, Berlin gar 199, sind es in Hamburg nur 101.
"Hamburg hat die Empfehlungen der Bundesregierung und die Vereinbarungen der Ministerpräsidentenkonferenz stets sehr zügig, teilweise im Voraus, umgesetzt", vermeldet die Sozialbehörde der Stadt. "Zudem verhalten sich die Hamburgerinnen und Hamburger unserer Wahrnehmung nach überwiegend diszipliniert bezüglich der getroffenen Regelungen."
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Hat Norddeutschland in der Corona-Pandemie einfach Glück?
Da ist sie schon wieder, die Andeutung, dass die Norddeutschen mehr Disziplin zeigen würden. Oder ist es ganz einfach die sprichwörtliche norddeutsche Unterkühltheit, die die Menschen auf Abstand gehen lässt? Hier der reservierte Friese, dort der süddeutsche Querdenker? Wohl nur Klischee.
"Es gibt keine objektivierten Unterschiede", sagt Helmut Fickenscher. "Pech und Glück spielen auch eine Rolle." Zumal ein einziges Superspreader-Event die Statistik durch die Decke jagen kann.
Letztendlich sitzen wir alle im selben Boot. Das betont auch RKI-Präsident Lothar Wieler: "Wir sind alle von dieser Pandemie betroffen und deshalb können wir sie nur gemeinsam bewältigen. Lassen Sie uns diese Zeit gemeinsam durchstehen."
Bis dahin gilt: AHA-Regeln einhalten, Kontakte reduzieren, bei Symptomen zu Hause bleiben. So kann jeder dazu beitragen, dass auf der Karte des RKI der eigene Landkreis möglichst hell erscheint.
Verwendete Quellen:
- Robert Koch-Institut: COVID-19-Dashboard (Stand 20.11.2020)
- Pressekonferenz des Robert Koch-Instituts vom 19.11.2020
- Interview mit Prof. Helmut Fickenscher, Leiter des Instituts für Infektionsmedizin an der Universität Kiel
- Gespräch mit der Pressestelle der Sozialbehörde der Stadt Hamburg
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