• Russland weist weltweit die viertmeisten Corona-Infizierten auf.
  • Die Zahl der an oder mit dem Virus verstorbenen lag im internationalen Vergleich hingegen verhältnismäßig niedrig.
  • Nun hat Russland seine Corona-Opferbilanz aber drastisch nach oben korrigiert: von 56.000 auf 186.000 Tote.

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Russlands Vize-Ministerpräsidentin Tatjana Golikowa dürfte sich der Wirkung ihrer Worte durchaus bewusst gewesen sein. "Mehr als 81 Prozent des Anstiegs der Sterblichkeit in diesem Zeitraum ist auf COVID-19 zurückzuführen", sagte sie am Montag laut russischer Nachrichtenagenturen.

Golikowa bezieht sich auf die am selben Tag veröffentlichten Zahlen des russischen Statistikamts: Demnach starben seit Jahresbeginn rund 229.700 Menschen mehr als im Vorjahreszeitraum, was einer Übersterblichkeit von fast 14 Prozent entspricht.

Legt man Golikowas Angaben zugrunde, dann gab es in Russland seit Jahresbeginn mehr als 186.000 Corona-Tote. Damit hat Russland die Zahl seiner Corona-Toten drastisch nach oben korrigiert – ohne das bisher offiziell verlautbart zu haben. Fakt ist aber: Nur in den USA mit mehr als 330.000 Toten und Brasilien mit mehr als 190.000 Toten wurden noch mehr Opfer der Pandemie registriert als in Russland.

Mehr als drei Millionen Infizierte – aber nur 56.000 Corona-Tote?

Allein im November starben in Russland 25.788 Menschen an oder mit dem Coronavirus. Bei weiteren 9.857 Verstorbenen war COVID-19 "eine Begleiterkrankung, hatte aber keinen Einfluss auf den Tod", wie es in einer aktuellen Mitteilung der russischen Statistikbehörde Rosstat heißt. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ist die Übersterblichkeit im November annähernd 56 Prozent höher.

"StopCoronavirus.rf", die offizielle Informationsseite der russischen Regierung, gab am Dienstag aber nur die Zahl von 55.827 Corona-Toten seit Beginn der Pandemie an – bei 3.105.037 positiv Getesteten, der vierthöchsten Zahl weltweit. Experten gehen sogar von einer sechsmal so hohen Zahl aus, weil viele Erkrankungen unentdeckt geblieben oder Menschen nicht zum Arzt gegangen seien. Wie passt das alles zusammen?

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Erstes russisches Corona-Opfer starb offiziell an Thrombose

Die russische Regierung weist in ihren Zahlen nur jene Fälle aus, in denen COVID-19 als Todesursache genannt wird. Das Statistikamt hingegen listet auch Fälle auf, bei denen COVID-19 eine von mehreren Erkrankungen war und der Mensch womöglich auch ohne Infektion gestorben wäre. Diese Zahlen werden nicht groß kommuniziert: So gibt etwa auch die US-amerikanische Johns-Hopkins-Universität bei ihrer weltweiten Auflistung nur die Regierungszahlen wieder.

Unsere Redaktion hatte bereits im Mai über Diskrepanzen und die ungewöhnlich niedrigen Sterbefallzahlen berichtet. Die im internationalen Vergleich sehr geringe Zahl hatte Beobachter bereits damals stutzig werden lassen.

Medizinern zufolge würden auf den Sterbeurkunden andere Todesursachen angegeben, wie etwa Lungenentzündungen oder Herzinfarkte. So war es auch bei Russlands erstem Corona-Todesfall am 19. März: Erst hieß es, die 79-jährige Frau aus Moskau sei an COVID-19 gestorben. Später erklärten die Behörden, die Frau sei nicht an einer Lungenentzündung, sondern an einer Thrombose gestorben.

Das russische Gesundheitsministerium und das Ministerium für Verbraucherschutz würden die Zahlen zum Coronavirus fälschen, sagte der Demograf Alexey Raksha vergangene Woche der Nachrichtenagentur AFP. Raksha arbeitete bis Juli für die Statistikbehörde Rosstat. Ihm zufolge würden in vielen Regionen die Standesämter nicht mehr nachkommen, Sterbeurkunden auszustellen und die Daten weiterzuleiten.

Für die russischen Behörden ist die vergleichsweise niedrige offizielle Opferzahl ein Beweis dafür, dass ihre Strategie gegen das Virus erfolgreich ist.

Wenig Vertrauen in russischen Impfstoff

Derzeit kämpft Russland mit einer zweiten Pandemie-Welle. Die Regierung will aber aus Rücksicht auf die Wirtschaft einen weiteren Lockdown vermeiden. Sie setzt im Kampf gegen die Pandemie auf den russischen Corona-Impfstoff Sputnik V.

Wie viele Menschen in Russland bereits geimpft wurden, haben die Behörden bislang nicht mitgeteilt. Der Impfstoff-Entwickler, das staatliche Gamaleya-Forschungsinstitut, teilte am Montag mit, dass bisher rund 700.000 Dosen ausgeliefert wurden.

Nach einer neuen Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Lewada lehnen 58 Prozent der Russen eine Corona-Impfung ab. Nur 38 Prozent sind demnach bereit dafür. Die Impfungen laufen bereits seit Anfang des Monats, Sputnik V war Mitte August freigegeben worden – das Vakzin ist aber noch nicht ausgetestet.

Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte am Sonntag im Staatsfernsehen: Präsident Wladimir Putin werde sich impfen lassen. Einen Zeitpunkt nannte Peskow nicht. "Er wartet darauf, dass alle Formalitäten erledigt werden."

Verwendete Quellen:

  • Meldungen der Nachrichtenagenturen dpa und AFP.
  • The Guardian: "Russia admits to world's third-worst Covid-19 death toll"
  • Webseite der russischen Regierung zum Coronavirus: Стопкоронавирус.рф
  • Mitteilung der russischen Statistikbehörde Rosstat
  • Facebook-Seite von Alexey Raksha
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