Die Coronakrise stellt für viele Deutsche das Leben auf den Kopf: Arbeiten im Homeoffice, Freunde nur noch online treffen, Kinder zuhause betreuen. Akzeptieren die Deutschen das? Forscher der Universität Mannheim untersuchen den Ausnahmezustand in Zeiten von Corona und befragen täglich Hunderte Deutsche. Das sind die Ergebnisse.
Das Eingestehen von Unwissen ist eine der größten Stärken von Wissenschaft - in Zeiten der Coronakrise müssen Wissenschaftler das aktuell häufig tun. Denn viele Fragen sind noch ungeklärt oder teilweise offen: Wie läuft die Übertragung genau ab? Wie verhält es sich mit der Erkrankungsdauer? Welche Schutzmöglichkeiten gibt es? Kurzum: Das Virus breitet sich weltweit schneller aus als unser Wissen darüber.
Doch die Universität Mannheim hat ein einzigartiges und außergewöhnliches Instrument: Mit dem "German Internet Panel" kann sie die Auswirkungen des Ausnahmezustandes in Deutschland tagesaktuell erfassen. Denn das Forscherteam um Sozialwissenschaftlerin Annelies Blom erhebt bereits seit acht Jahren regelmäßig Daten zur gesellschaftlichen Lage in Deutschland – normalerweise zu Themen wie EU-Politik, Sozialstaat oder Bildung.
"Überwältigende Unterstützung in der Bevölkerung"
Dieses Instrument wollen die Forscher nun auch im Kampf gegen das Coronavirus zum Einsatz bringen. Dafür befragen die Mannheimer Wissenschaftler seit dem 20. März täglich mit Online-Fragebögen etwa 500 Deutsche – über soziale und wirtschaftliche Aspekten wie beispielsweise der Kinderbetreuung, Arbeit im Home-Office und finanziellen Engpässen ebenso wie über die Akzeptanz der politischen Maßnahmen bis hin zu Gefühlen der Angst und Beunruhigung.
Die Ergebnisse: Die von der Regierung getroffenen Maßnahmen erfahren laut der Forscher "überwältigende Unterstützung" in der Bevölkerung. Die Zustimmung zum Regierungshandeln ist außergewöhnlich hoch.
Social Distancing ja, Ausgangssperren nein
So akzeptieren über 90 Prozent der Befragten die Veranstaltungsverbote und die Schließung öffentlicher Einrichtungen. Auch Grenzschließungen halten rund 89 Prozent der Befragten für angemessen. Deutlich weniger Akzeptanz erfahren jedoch Ausgangssperren, rund 40 Prozent der Befragten würden sie befürworten, nur 26 Prozent die Einstellung des Nah- und Fernverkehrs.
Die Coronakrise hat Arbeitsleben und Sozialleben der Deutschen drastisch verändert, doch das Social Distancing setzen die Deutschen recht bereitwillig um: Vor den Maßnahmen der Coronakrise haben sich über 80 Prozent der Befragten mindestens einmal pro Woche mit Freunden, Verwandten oder privat mit Arbeitskollegen getroffen - nach den Maßnahmen gaben das nur knapp 30 Prozent an.
Fast 30 Prozent im Homeoffice
Skype oder Telefon statt Kino oder Kneipe – viele Deutsche scheinen die Kontaktvermeidung ernst zu nehmen, in dem sie ihr Sozialleben umstellen. Auch das Arbeiten hat bei vielen Deutschen ein neues Gesicht bekommen: Zwar fährt mehr als die Hälfte der Befragten weiterhin zum außerhäuslichen Arbeitsplatz, 27,9 Prozent der Befragten gaben aber an, sie arbeiteten aktuell im Homeoffice. Etwa 8 Prozent sind in Kurzarbeit oder mit Lohn freigestellt. 2,5 Prozent derjenigen, die noch im Januar berufstätig waren, sind heute arbeitslos.
Homeoffice, das kann heißen: Kurzer Weg vom Schlafzimmer zum Schreibtisch, Mittagspause auf dem Sofa oder Arbeiten in Jogginghose. Gerade für Eltern kann der Arbeitsplatz aber in diesen Tagen auch gleichzeitig eine Ersatzkita sein – also etwa Bausteine und Puzzle zwischen Arbeitgeberanruf und Mails beantworten. Denn die Schließung von Kindergärten und Schulen stellt berufstätige Eltern vor Herausforderungen in der Kinderbetreuung.
Kinderbetreuung durch Oma?
Mit 93 Prozent betreut der Großteil der Befragten Kinder unter 16 Jahren im eigenen Haushalt, nur 1,4 Prozent nehmen eine Notfallbetreuung in Anspruch, 5,4 Prozent der Kinder erfahren keine Betreuung. In 2,7 Prozent der Fälle sind die Kinder bei einer Person außerhalb des Haushaltes untergebracht – dabei 2,3 Prozent bei Personen älter als 60 Jahre, beispielsweise den Großeltern. Auch hier scheint also bei den Deutschen angekommen zu sein: Besonders ältere Menschen müssen als Risikogruppe vor Infizierungen geschützt werden.
Von 84.794 Infizierten sind in Deutschland nach Angaben der Johns-Hopkins-Universität 1.107 Menschen verstorben (Stand: 3. April). 22.440 Menschen sind wieder genesen. Dabei ist das Durchschnittsalter der Verstorbenen mit 82 Jahren sehr hoch.
Corona beeinflusst die Gefühlslage
Infiziert sich jemand aus meinem Umfeld? Verliere ich meinen Job? Bleiben die politischen Verhältnisse stabil? Sorgen um die Familie, Angst vor einer Selbstansteckung oder Ungewissheit über die wirtschaftliche und politische Situation gehören für viele aktuell zur Gefühlslage dazu.
Die Mannheimer Forscher fragten die Teilnehmer deshalb auch, ob sie aufgeregt, besorgt, nervös oder beunruhigt sind. Aus den Antwortmöglichkeiten von "überhaupt nicht" über "ein wenig" und "ziemlich" bis "sehr" berechneten sie im Anschluss den Angstindex. Ein Wert von 5 bedeutet dabei keine Angst, 20 hingegen sehr große Angst – der Wert der Befragten liegt stabil bei ungefähr 10.
Quellen:
- Pressemitteilung der Universität Mannheim
- Forschungsbericht der Universität Mannheim
- Fallzahlen der Johns-Hopkins-Universität
- Durchschnittsalter der Verstorbenen in Deutschland
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