- Seit über 20 Jahren engagiert sich der Arzt Gerhard Trabert für sozial benachteiligte Menschen.
- In Mainz, wo er 1997 den Verein "Armut und Gesundheit in Deutschland" gründete, behandelt er Obdachlose im Arztmobil, ebenso besucht er Flüchtlingslager etwa in Bosnien oder Griechenland, um vor Ort Hilfe zu leisten.
- Er schildert, wie problematisch die Corona-Pandemie für sozial benachteiligte und einkommensschwache Menschen ist.
Die Corona-Pandemie stellt auch für Trabert eine Herausforderung dar: "Als Arzt brauchst du Berührung, um Informationen über den körperlichen Zustand des Patienten zu bekommen. Aber genauso ist das emotionale Berührt-werden sehr wichtig", sagt er im Interview. Trabert ist in diesen Tagen weiter auf der Straße unterwegs: "Ich treffe nach wie vor viele Obdachlose, mit entsprechenden Schutzmaßnahmen, davor habe ich keine Angst. Ich habe schon fünf Corona-Tests gemacht, alle waren glücklicherweise negativ."
Menschen ohne Krankenversicherung benachteiligt
Allerdings wurden Corona-Schutzmaßnahmen für Bedürftige von der Politik lange nicht umgesetzt. Erst am 28. Januar, exakt ein Jahr nach Bekanntwerden des ersten Corona-Falls in Deutschland, beschloss die Bundesregierung, Masken an Hartz-IV-Empfänger kostenlos abzugeben.
"Wir haben mit unserem Verein 'Armut und Gesundheit' bereits im Mai 2020 kostenlose Masken gefordert, ich habe die Landesregierung in Rheinland-Pfalz darauf hingewiesen, dass im Hartz-IV-Satz kein Budget für Masken enthalten ist. Dass es dieses Angebot erst jetzt gibt, macht in meinen Augen deutlich, dass die Lebenssituation von sozial benachteiligten und einkommensschwachen Menschen in der Politik immer noch nicht angekommen ist."
Ein weiteres Problem: Bedürftige benötigen für den Erhalt der Masken einen Brief ihrer Krankenkasse, doch die meisten von Traberts Patienten sind gar nicht krankenversichert.
"Hier in Rheinland-Pfalz geht die Verteilung der Masken vom Landessozialamt aus. Dessen Leiter rief mich kürzlich an und sagte: 'Es gibt doch sehr viele Menschen, die nicht versichert sind, die erreichen wir doch gar nicht.' – Da konnte ich ihm nur zustimmen. Die Abgabe von Masken an diesen Personenkreis funktioniert nur durch Vernetzung der Politik mit zivilgesellschaftlichen Organisationen."
"Ich sehe heute fast nur noch Profi-Politiker"
Für Trabert, der auch eine Professur für Sozialmedizin an der Hochschule RheinMain innehat, ist klar, dass in Armut lebende Menschen in der Pandemie-Zeit noch stärker benachteiligt werden. "Zuerst hieß es, vor dem Virus wären wir alle gleich. Aber das stimmt so nicht. Eine Studie von Nico Dragano an der Uniklinik Düsseldorf hat schon im letzten Sommer nachgewiesen, dass sozial benachteiligte Menschen bei einer Covid-Erkrankung schwerere Verläufe haben."
Doch die Politik setze wenig dagegen, ihrer Verantwortung gegenüber sozial benachteiligten Menschen komme sie immer weniger nach. "Alle Wohlfahrtsverbände, die Nationale Armutskonferenz etc. – alle sagen, dass der Hartz IV-Satz zu gering ist und nicht ausreicht für eine Partizipation am gesellschaftlichen Leben. Dort sehe ich, dass die Distanz zwischen etablierter Politik und den Ärmsten der Gesellschaft immer größer wird."
Ein Grund dafür sei, dass vielen Politikern die Alltagsnähe fehlt. "Ich sehe heute fast nur noch Profi-Politiker, die nach dem Studium Karriere machen wollen und kaum Lebenserfahrung haben." Es sei zwar schon vorgekommen, dass etwa Kurt Beck – als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz – bei ihm im Arztmobil mitgefahren sei, doch so etwas sei die Ausnahme.
Solidarität untereinander wächst
Zuversichtlicher blickt Trabert hingegen auf die Unterstützung der Bürger untereinander: "Viele Menschen verstehen und spüren, dass der soziale Abstieg sehr schnell eintreten kann – und werden dadurch solidarischer. Vielleicht auch, weil sie es selbst schon mal erlebt haben, was es bedeutet, den Job zu verlieren und von sozialen Transferleistungen leben zu müssen. Diese Sensibilität spüre ich auch bei den Menschen, die unsere Arbeit unterstützen, nicht nur finanziell sondern auch durch Manpower und Frauenpower. Da habe ich das Gefühl, dass die Gesellschaft enger zusammengerückt ist."
Und dieses Zusammenrücken wird es nach der Pandemie brauchen. Trabert geht davon aus, dass durch die Corona-Krise Armut weiter zunehmen werde. "Die staatlichen Unterstützungen sind wichtig, aber sie werden den Verlust vieler Arbeitsplätze nicht verhindern können, insbesondere in Bereichen von kleinbetrieblichen Dienstleistern oder auch im Veranstaltungs- und Kultursektor. Wir wissen ja jetzt schon, dass viele Selbstständige und kleine Betriebe insolvent oder kurz vor der Insolvenz sind. Vereinzelt habe ich auch schon Menschen auf der Straße angetroffen, die durch Corona ihren Job verloren haben. – Da wird Armut zunehmen und sehr wahrscheinlich auch der Verlust des Wohnraums. Deshalb ist es so wichtig in diesen Zeiten, dass bei Mietrückständen nicht gekündigt werden darf, dafür muss ein Konzept her."
Wie lange die Pandemie andauert wird, ist auch für den Sozialmediziner Trabert schwer einzuschätzen. Eine Prognose allerdings wagt er im Interview dann doch: "Ich vermute, dass das nächste Weihnachtsfest wieder normal im Familienkreis stattfinden kann."
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