• Seit Anfang Oktober steigen wieder die Zahlen der Neuinfektionen und der COVID-19-Patienten stark an.
  • Aus Sicht der Frankfurter Virologin Sandra Ciesek steht Deutschland somit schlechter da als im Herbst 2020.
  • Wir haben die aktuellen Werte mit den damaligen verglichen.
Eine Analyse

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Die Werte klettern und klettern. Auch am Mittwoch ist die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz wieder weiter angestiegen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) gab die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche am Morgen mit 118,0 an. Auch die Meldungen zu den in Kliniken aufgenommenen Corona-Patienten pro 100.000 Einwohner und Woche haben deutlich zugelegt: von 1,44 am 27. September auf nun 3,07.

Es gibt jedoch große regionale Unterschiede, für Thüringen gibt das RKI die sogenannte Hospitalisierungsinzidenz sogar mit 8,54 an. Angesicht des Anstiegs der Neuinfektionen, der mit einer "sehr hohen Belegung" auf Intensivstationen zusammenfällt, macht sich die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek Sorgen. "Das führt dazu, dass wir im Vergleich zum letzten Jahr sogar schlechter dastehen", sagte die Leiterin der Virologie des Universitätsklinikums Frankfurt am Dienstag im Podcast "Coronavirus-Update" bei NDR-Info.

Zur Erinnerung: Auch im Oktober 2020 stiegen die Fallzahlen rasant an, um den Jahreswechsel herum erreichten sowohl die Infektions- als auch die Todeszahlen ihren bisherigen traurigen Höhepunkt in Deutschland. Und das trotz Teil-Lockdowns, der ziemlich genau vor einem Jahr, zum 2. November 2020, in Deutschland ausgerufen wurde. Hat Ciesek also recht? Kann uns auch in diesem Jahr ein ähnliches Szenario wie im vergangenen Jahr drohen? Wir haben die Werte verglichen.

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1. Die Anzahl der Neuinfektionen und Todesfälle

Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt derzeit bei 118,0 – und damit deutlich höher als vor genau einem Jahr. Am 27. Oktober 2020 betrug der Wert laut RKI 87,0.

In absoluten Zahlen heißt das: In den vergangenen sieben Tagen wurden bundesweit 98.144 neue Corona-Fälle gemeldet. In der gleichen Zeit vor einem Jahr waren es hingegen nur 72.320. Der Laborverband ALM berichtet, dass mittlerweile mehr als jeder zehnte PCR-Test auf SARS-CoV-2 positiv ausfällt. Die Positivrate lag vor einem Jahr mit etwas mehr als 5 Prozent deutlicher niedriger.

Auch die Zahl der Toten ist dieser Tage höher. Deutschlandweit wurden den neuesten Angaben zufolge binnen 24 Stunden 114 Todesfälle verzeichnet. Am 27. Oktober des vergangenen Jahres waren es 42. In Summe starben in den zurückliegenden Tagen ebenfalls mehr Menschen an oder mit dem Coronavirus als im Vergleichszeitraum im Oktober 2020.

2. Die Situation in den Krankenhäusern

"Im Vergleich mit 2020 haben wir jetzt schon mehr Neuinfektionen, wir haben aufgrund der Welle, die davor war, mehr Intensivpatienten", sagt Ciesek. Aktuell befinden sich laut des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) 1.761 COVID-19-Fälle in intensivmedizinischer Behandlung. Zudem schätzt die Mehrheit der Intensivbereiche in deutschen Krankenhäusern ihre Betriebssituation als "eingeschränkt" ein. Das liegt auch daran, dass Deutschland seit Jahresbeginn nach Angaben von Medizinern etwa 4.000 Intensivbetten verloren hat.

Grund dafür sei, dass viele Pflegekräfte wegen der Belastungen ihren Beruf beendet oder ihre Arbeitszeit reduziert hätten, wie DIVI-Präsident Gernot Marx am Dienstag bei "MDR Aktuell" erklärte. Man werde zwar alle COVID-19-Patienten versorgen können. "Aber wenn die Zahlen wieder deutlich nach oben gehen, werden wir wieder Operationen absagen. Das ist natürlich nicht das, was wir wollen."

Marx rechnet damit, dass sich das Virus im Herbst und Winter wieder ausbreiten wird. Entsprechend rechnen die Intensivstationen mit einer Zunahme im Winter. "Das macht uns schon Sorgen", sagte Marx.

Zum Vergleich: Am 27. Oktober 2020 wurden 1.462 COVID-19-Fälle intensivmedizinisch behandelt, also weniger als jetzt. Eine übergroße Mehrheit der Stationen vermeldete laut Intensivregister einen "regulären Betrieb". Auch gab es vor einem Jahr mit 6.667 Plätzen rund dreimal mehr freie Kapazitäten zur invasiven Beatmung als jetzt (2.293 Plätze).

Den Hospitalisierungs-Wert, also die Zahl der in Kliniken aufgenommenen Corona-Patienten je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen, gab das RKI am Mittwoch mit 3,07 an – vor einem Jahr lag er bei 5,4. Der Wert gilt als wichtigster Parameter für eine mögliche Verschärfung der Corona-Beschränkungen. Bei dem Indikator muss aber berücksichtigt werden, dass Krankenhausaufnahmen teils mit Verzug gemeldet werden. Das heißt, dass der aktuelle Wert noch steigen könnte, die beiden Zahlen derzeit also nur bedingt vergleichbar sind.

Ein bundesweiter Schwellenwert, ab wann die Lage kritisch zu sehen ist, ist für die Hospitalisierungs-Inzidenz unter anderem wegen großer regionaler Unterschiede nicht vorgesehen. Der bisherige Höchstwert lag um die Weihnachtszeit 2020 bei 15,7.

3. Impfungen

Der größte Unterschied zum vergangenen Herbst ist das Vorhandensein mehrerer wirkungsvoller Impfstoffe gegen das Coronavirus. Im Oktober 2020 war in Deutschland – abgesehen von einigen wenigen Teststudien-Teilnehmenden – niemand geimpft. Nun sind laut Zahlen des RKI und des Bundesgesundheitsministeriums bereits 55,2 Millionen Menschen (66,4 Prozent) in Deutschland vollständig geimpft, hunderttausende weitere haben mindestens ihre erste Impfdosis erhalten.

Laut Virologin Ciesek zeigt sich aktuell auf den Intensivstationen, "dass im Vergleich zu vor einem Jahr deutlich weniger Patienten an der Infektion sterben, wenn sie geimpft sind". Dabei setzt die Expertin auf Auffrischungsimpfungen. "Man sieht es an Israel. Die haben ihre vierte Welle durch eine Booster-Impfung der Gesamtbevölkerung gebrochen. Das wäre auch hier möglich."

Auch DIVI-Präsident Marx misst "der Booster-Impfung einen sehr wichtigen Part in der Bekämpfung der Pandemie bei".

Fazit

Die aktuellen Zahlen sehen auf den ersten Blick schlechter aus als vor genau einem Jahr: Mehr Neuinfektionen, mehr Tote, weniger freie Intensivbetten. Angesichts immer noch Dutzender Millionen Ungeimpfter und verkleinerter Kapazitäten in den Krankenhäusern ist es nachvollziehbar, wenn Experten Alarm schlagen.

Wie sich in den vergangenen Monaten gezeigt hat, trifft die Pandemie vor allem Ungeimpfte und Ältere hart. Infektionen bei Älteren gelten als besonders bedeutsam für die Belastung des Gesundheitssystems, da ihr Risiko für schwere und tödliche Krankheitsverläufe deutlich erhöht ist. Derzeit entfallen allerdings in Deutschland die meisten Virusnachweise auf die Altersgruppen unter 60 Jahren (obgleich zuletzt auch die Inzidenzen bei den Über-60-Jährigen angestiegen sind). 85,1 Prozent der Über-60-Jährigen sind aktuell geimpft.

Ein extremer Anstieg bei Neuinfektionen, vor allem aber bei den Hospitalisierungen und den Todesfällen, wie im Dezember und Januar 2020 sind diesmal mit Blick auf die besonders gefährdeten Altersgruppen nicht zu erwarten. Das dürfte vor dem Hintergrund der grassierenden, weitaus ansteckenderen Delta-Variante und bundesweit zurückgefahrener Corona-Maßnahmen der große Hoffnungsschimmer sein.

Verwendete Quellen:

  • NDR-Podcast "Coronavirus Update" vom 26. Oktober 2021
  • Täglicher Lagebericht des RKI zu COVID-19 vom 27. Oktober 2020 und 2021
  • Intensivregister der Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI)
  • Meldungen der Deutschen Presse-Agentur
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