Nach dem gescheiterten Anschlag auf eine Synagoge in Halle an der Saale mit zwei Toten sind viele Details noch unklar. Ob ein nach der Tat aufgetauchtes Bekennervideo sowie ein angebliches "Manifest" des Täters authentisch sind, wird derzeit geprüft. Der Zentralrat der Juden kritisiert unterdessen die Polizei.

Mehr aktuelle News finden Sie hier

Nach der Tat in Halle an der Saale ist ein Dokument im Internet aufgetaucht, bei dem es sich nach Angaben einer Expertin um eine Erklärung des Angreifers zu handeln scheint.

Das PDF-Dokument zeige Bilder von Waffen und enthalte einen Verweis auf das Live-Video, das von der Tat verbreitet worden sei, schrieb Rita Katz, Leiterin der auf die Beobachtung von Extremisten spezialisierten Site Intelligence Group, auf Twitter.

In dem Text wird laut Katz das Ziel genannt, "so viele Anti-Weiße zu töten wie möglich, vorzugsweise Juden". Das Dokument sei anscheinend am 1. Oktober angelegt worden und gebe Hinweise darauf, wie viel Planung und Vorbereitung der Täter in die Attacke gesteckt habe.

Unter anderem stimmten die in dem "Manifest" abgebildeten und vom Täter offenbar teils selbst gebauten Schusswaffen mit den tatsächlich bei dem Anschlag eingesetzten Waffen überein. Eine noch höhere Opferzahl wurde möglicherweise durch Ladehemmungen bei mindestens einer der Waffen verhindert. Neben Schusswaffen setzte der Täter auch Sprengsätze ein.

Ermittler halten Video für "authentisch"

Expertin Katz bezog sich in ihrer Einschätzung auch auf ein Bekennervideo, dass der mutmaßliche Täter in sozialen Netzwerken hochgeladen haben soll.

Das Video dokumentiert allem Anschein nach den Ablauf der Angriffe in Halle aus Sicht des Attentäters. Die Aufnahmen stammen wohl von einer Kamera, die am Helm des Schützen befestigt war.

Bis zum Morgen gab es aber keine Bestätigung der Behörden dafür, dass es sich bei dem Mann im Video um den Attentäter handelt. Nach ersten Prüfungen werde es von den Ermittlern aber als "authentisch" bewertet, berichtete der "Spiegel" unter Berufung auf Sicherheitskreise.

Das Video wurde nach Angaben der Streaming-Plattform Twitch von rund 2.200 Menschen angesehen, bevor es dann nach 30 Minuten gelöscht wurde. Über den vor etwa zwei Monaten erstellten Account sei zuvor nur einmal etwas veröffentlicht worden.

Bericht: Wohnung bei Eisleben durchsucht

Laut einem MDR-Bericht wurde in Zusammenhang mit der Tat eine Wohnung durchsucht. Der Einsatz soll in Benndorf bei Eisleben gewesen sein, berichtet MDR Sachsen-Anhalt. Die Polizei in Sachsen-Anhalt bestätigte die Durchsuchung am Morgen nicht

In Benndorf soll nach Angaben eines Nachbarn des Vaters des mutmaßlichen Täters, der im nahe gelegenen Helbra wohnt, die Mutter von Stephan B. leben.

Im 15 Kilometer von Halle entfernten Landsberg ein dunkelgraues Auto abgeschleppt worden. Nach Informationen eines dpa-Reporters ist das Kennzeichen identisch mit dem des Fahrzeugs, hinter dem sich der Täter in Halle verschanzt hatte und Schüsse abgegeben hatte. Polizisten im Stadtteil Wiedersdorf machten keine Angaben dazu.

Kurz nach dem Angriff eines mutmaßlichen Rechtsextremisten auf die Synagoge am Mittwoch mit zwei Toten war Wiedersdorf abgeriegelt worden. Auch dort waren Schüsse gefallen.

Mutmaßlicher Täter richtet sich an internationale Subkultur

Nach Einschätzung von Extremismusforscher Matthias Quent wollte der Täter offenkundig eine international verbreitete, rechte Internet-Subkultur erreichen. "Er spricht Englisch, und er greift Verschwörungstheorien auf, zum Beispiel über die angeblich zerstörerische Macht des Judentums. Er äußert sich auch abwertend über Feminismus", sagte Quent der Deutschen Presse-Agentur.

Das seien Motive der weltweiten populistischen und radikalen Rechten. "Das Video folgt der Ästhetik eines Videospiels, auch durch die Ego-Shooter-Perspektive", sagte Quent.

Zentralrat der Juden erhebt Vorwürfe gegen Polizei

Der Präsident des Zentralrats der Juden erhob schwere Vorwürfe gegen die Polizei. "Dass die Synagoge in Halle an einem Feiertag wie Jom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war, ist skandalös", sagte Josef Schuster. "Diese Fahrlässigkeit hat sich jetzt bitter gerächt."

Nur glückliche Umstände hätten ein Massaker verhindert. "Die Brutalität des Angriffs übersteigt alles bisher Dagewesene der vergangenen Jahre und ist für alle Juden in Deutschland ein tiefer Schock."

Innenminister Seehofer hatte schon am Mittwochabend gesagt, der Generalbundesanwalt, der die Ermittlungen rasch an sich gezogen hatte, habe "ausreichend Anhaltspunkte für einen möglichen rechtsextremistischen Hintergrund". Seehofer sprach von einem antisemitischen Motiv.

Der Bundesinnenminister wird am Donnerstagnachmittag in Halle erwartet. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Josef Schuster und Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) soll er über den aktuellen Ermittlungsstand informieren. Am Nachmittag will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Synagoge besuchen.

Deutschlandweit große Anteilnahme

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) übermittelte den Angehörigen der Opfer ihr tiefes Beileid. Die Solidarität gelte allen Jüdinnen und Juden am Feiertag Jom Kippur, schrieb Regierungssprecher Steffen Seibert auf Twitter. Am Abend nahm Merkel an einer Solidaritätsveranstaltung an der Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin teil.

Auch in anderen deutschen Städten versammelten sich Menschen in der Nähe von Synagogen und gedachten der Toten. In Halle legten Menschen am Marktplatz Blumen und Kerzen nieder.

Der mutmaßliche Rechtsextremist Stephan B. aus Sachsen-Anhalt wurde am Mittwochnachmittag festgenommen. Er hatte nach Angaben aus Sicherheitskreisen gegen Mittag versucht, die Synagoge mit Waffengewalt zu stürmen. Mehr als 50 Menschen hielten sich zu dem Zeitpunkt in dem Gotteshaus auf und feierten das wichtigste jüdische Fest, Jom Kippur.

Nachdem der Anschlagsversuch scheiterte, soll der 27-jährige Deutsche vor der Synagoge und danach in einem nahen Döner-Imbiss zwei Menschen erschossen und mindestens zwei weitere verletzt haben.Die Identität der beiden Todesopfer ist noch nicht geklärt. (jwo/dpa/afp)

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.

Teaserbild: © Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa