Ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2017 zeigt verspätet seine - äußerst unerfreuliche - Wirkung: Aus Angst, für Badeunfälle haftbar gemacht zu werden, schränken viele Gemeinden in diesem Jahr den Badespaß ein. Sprungtürme und Floße verschwinden, Zäune und Verbotsschilder werden aufgestellt.
Der Olchinger See vor den Toren Münchens ist ein Baggersee wie Hunderte andere in Deutschland. Liegewiese, Kiosk, Grillplatz. An heißen Tagen kommen Badegäste in Scharen, um sich in die Fluten zu stürzen.
Doch der Spaß ist dieser Tage eingeschränkt. Zum Ärger vieler Schwimmer ist die Badeinsel verschwunden, die jahrelang im See verankert war. Ähnliches hat sich in Dutzenden bayerischen Gemeinden ereignet, vielerorts sind sogar die hölzernen Badestege abgesperrt - Zutritt verboten. Was ist geschehen?
Der Grund ist Angst vor den Gerichten. Bürgermeister und Mitarbeiter der Gemeindeverwaltungen treibt die Sorge, bei Badeunfällen an nicht beaufsichtigten Gewässern haftbar gemacht zu werden - oder sogar in einem Strafprozess angeklagt zu werden.
"Sehen leider keine andere Möglichkeit"
Am Olchinger See gibt es keinen Bademeister. "Wir sehen leider keine andere Möglichkeit", sagt Julia Henderichs, die Sprecherin der Stadtverwaltung. "Das Problem ist, dass man die straf- und haftungsrechtlichen Risiken nicht abschätzen kann." Olching gehört zum Landkreis Fürstenfeldbruck - und überall im Kreis sind die Badeinseln verschwunden.
Aus anderen Bundesländern sind bisher keine massenhaft entfernten Badeinseln bekannt, doch steigende Rechtsrisiken treiben auch dort die Verwaltungen um. "Auch in Niedersachsen haben wir derartige Haftungsprobleme", sagt ein Sprecher des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebunds. Städte und Gemeinden hätten immer größere Probleme, die Badeaufsicht sicherzustellen. "Wir brauchen unbedingt mehr Bademeisterinnen und Bademeister für unsere Schwimmbäder."
Doch warum sind Badeinseln und Stege plötzlich ein Rechtsrisiko? Die Nachforschung ergibt, dass gesperrte Stege und verschwundene Badeinseln auf eine Warnung der deutschen Kommunalversicherer in ihrem Fachorgan "BADK Information" zurückgehen. "Die Frage ist, ob etwas aussieht wie ein Bad", erläutert Ines Roellecke, die Sprecherin des Landratsamts Fürstenfeldbruck. "Wenn etwas aussieht wie ein Bad, braucht es eine Aufsicht."
Je mehr Infrastruktur desto heikler
Gemeinden haben eine Verkehrssicherungspflicht, auch wenn es sich um schwimmenden Verkehr in Badehose und Bikini handelt. Eine Kommune muss Sorge tragen, dass von ihren Einrichtungen keine Gefahr ausgeht. An Badeseen aber ist immer mit Unfällen zu rechnen, wie ein Sprecher der Versicherungskammer Bayern sagt, des führenden Kommunalversicherers im Freistaat.
Wer einen Badesee mit Stegen, Badeinseln und Umkleidehäuschen und dergleichen aufrüstet, läuft Gefahr, dass ein Gericht das Gewässer nicht als "Badestelle" betrachtet, sondern als "Naturbad", warnen die Kommunalversicherer in dem Fachaufsatz. Und für Bäder gelten verschärfte Aufsichtspflichten, im Gegensatz zu naturbelassenen Badestellen.
Dabei kommt ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2017 ins Spiel, das mit Verspätung Wirkung zeigt. "Die Anforderungen an die Badeaufsicht hat der BGH in einem aktuellen Urteil erheblich verschärft", heißt es in dem BADK-Aufsatz.
Die Karlsruher Richter haben in dem Urteil eine Beweislastumkehr für Badeunfälle analog zur Arzthaftung eingeführt: Erleidet ein Patient durch eine grob fahrlässige Therapie einen Gesundheitsschaden, muss nicht er beweisen, dass der Mediziner schuld hat. Stattdessen muss der Arzt nachweisen, dass es nicht sein Fehler war, der dem Patienten Schaden zugefügt hat. Das gilt nun übertragen auch für den Badebetrieb.
Sonnen hinter Absperrgittern
Die Verkehrssicherungspflicht an Badeseen macht den Gemeinden überall im Bundesgebiet Kopfzerbrechen: "Unsere Mitgliedskommunen nehmen das Thema sehr ernst und bewerten in jedem Einzelfall die Gefährdungssituation vor Ort nach bestem Wissen und Gewissen, damit niemand zu Schaden kommt", heißt es beim Städte- und Gemeindebund NRW in Düsseldorf.
In Bayern aber gehen viele Gemeinden ganz auf Nummer sicher. Gesperrte Stege, damit nicht der Eindruck eines "Naturbades" entsteht. Die skurrilen Folgen kann jeder besichtigen: Der Eitzenberger Weiher ist ein idyllischer Moorsee im Landkreis Weilheim-Schongau, an dem sich die Badegäste in diesem Sommer wie eh und je auf den Stegen räkeln - aber heuer erstmals hinter Absperrgittern. Und dass die Entfernung von Badeinseln der Sicherheit dient, glaubt auch in den Behörden eigentlich niemand. Für einen erschöpften Schwimmer kann ein Floß die Rettung bedeuten. (dpa/mcf)
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