Wochenlang bekriegten sich tschetschenische und syrische Jugendliche in Wien. Dann sprachen die Oberhäupter der beiden Communitys ein Machtwort. Mit Parallelgesellschaft hat nichts zu tun: Die Polizei war in die Friedensgespräche eingebunden.

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Viel hat die Öffentlichkeit in Wien nicht mitbekommen von den Bandenkriegen zwischen syrischen und tschetschenischen Jugendlichen. Mal hörte man spätabends für eine halbe Stunde lang Rotorengeräusche über dem Arbeiterbezirk Meidling.

Die Polizei war mit einem Hubschrauber ausgerückt, weil eine Gang von Tschetschenen eine Gruppe junger Syrer mit Eisenstöcken attackiert hatte. Mal rasten in der Nähe Polizeiautos durch die Fußgängerzone. Aber viel mehr war nicht zu sehen von dem seit Wochen lodernden Konflikt zwischen den Gangs, der ein gutes Dutzend Schwerverletzter zum Ergebnis hatte. Unbeteiligte kamen nicht zu Schaden.

Ein TikTok-Star beendet den Bandenkrieg in Wien

Und die Öffentlichkeit hat erst recht nichts davon mitbekommen, dass der Bandenkrieg vor Kurzem offiziell beendet wurde. "Es gibt jetzt einen Friedensvertrag", sagt Ahmad Mitaev (24), der wohl bekannteste Tschetschene Österreichs. Die Kulturverbände der tschetschenischen und syrischen Communitys in Wien haben sich darauf geeinigt und Mitaev hat mitgeholfen, den Deal einzufädeln.

Der junge Mann mit tschetschenischen Wurzeln avancierte im Vorjahr zu einem der größten TikTok-Stars Österreichs mit bisher mehr als 20 Millionen Klicks. Vor gut zehn Jahren war er auf die schiefe Bahn geraten, um ein Haar hätte er sich im Jugendknast der Terrormiliz "Islamischer Staat" angeschlossen. Aber Mitaev kriegte die Kurve. Er freundete sich mit einem Kieberer an, wie man in Wien zu Streifenpolizisten sagt.

Gemeinsam wagten sie ein Experiment: einen TikTok-Kanal, auf dem die beiden sich in betont lockerem Ton über die Herausforderungen für junge Migrantinnen und Migranten in Wien austauschen. Ab wann wird aus harmlosem Unfug eine Straftat? Wie verhält man sich gegenüber Uniformierten? Und was kann man tun, wenn man von der Polizei schlechter behandelt wird als Jugendliche ohne fremdländisches Aussehen?

Videos für junge Leute mit Migrationshintergrund

Ahmad und sein Kiebererfreund Uwe flachsen herum. Aber ihre Videos haben stets einen ernsthaften Hintergrund: Sie wollen junge Leute mit Migrationsgrund davon abhalten, das Gesetz zu brechen. Und sie wollen Bewusstsein schaffen für die Situation dieser meist männlichen Jugendlichen, die es im Leben oft viel schwerer haben als andere. Die Journalistin und Autorin Edith Meinhart hat die ungewöhnliche Freundschaft der beiden in einem Buch verarbeitet: "Cop und Che" heißt es.

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Nicht zuletzt durch seine Bekanntheit wurde Ahmad Mitaev zu einem Sprachrohr tschetschenischer Jugendlicher in Österreich. Er engagiert sich in seiner Community und versuchte gemeinsam mit anderen, die Konflikte mit anderen Gruppen zu entschärfen.

Mitaev ist überzeugt: "Das ist kein ethnischer Konflikt. Zwischen der syrischen und der tschetschenischen Community gibt es kein Problem." Ausschlaggebend sei vielmehr eine Art Revierstreit gewesen, der sich in den vergangenen Monaten gefährlich verschärft habe.

Es gab mehrere Auseinandersetzungen

So viel ist gesichert: Anfang Juli kam es in einem Park in Wien-Brigittenau zu einem ersten blutigen Konflikt. Dabei flogen nicht bloß die Fäuste. Tschetschenen und Syrer prügelten mit Holzlatten aufeinander ein, dann wurden Messer und Pistolen gezückt. Zwei junge Syrer mussten mit Schussverletzungen ins Krankenhaus gebracht werden, genauso wie ein Tschetschene. Ein 29-jähriger Tschetschene wurde wegen Mordversuchs in U-Haft genommen.

Die Gewalt ging wohl von einer seit längerem polizeibekannten syrischen Gang namens "505" aus. Aber die Gegenseite schlug noch viel härter zurück. In den folgenden Tagen kam es zu weiteren blutigen Auseinandersetzungen, die schließlich am Bahnhof von Meidling eskalierten, wo vermummte Tschetschenen eine Gruppe von syrischen und afghanischen Gang-Mitgliedern mit Eisenstangen, Messern und Schlagstöcken schwer verletzte. Als Brandbeschleuniger erwiesen sich die sozialen Medien: Auf TikTok und Telegram verbreiteten sich Meldungen über angebliche Gewalttaten syrischer Männer gegen tschetschenische Frauen und Kinder. Offiziell bestätigt wurden diese nicht.

"Es gab mehrere Messerattacken auf Tschetschenen, bevor diese begonnen haben zurückzuschlagen", sagt Mitaev im Gespräch mit unserer Redaktion. Begonnen habe alles, weil "505"-Mitglieder tschetschenische Jugendliche aus einem öffentlichen Park vertreiben wollten, den sie als ihr Revier ansahen. Aber nun sei die Sache geklärt.

Schon vor einigen Wochen hätten Mitglieder der "505"-Gang beim tschetschenischen Kulturverband vorgefühlt. Die Sache sei aus dem Ruder gelaufen, man möchte den Krieg beenden. Auch Mitaev war in die Gespräche involviert: "Ich habe versucht, meine Kontakte in die verschiedenen Communitys zu nutzen, um Brücken zu bauen."

Nach dieser ersten Tuchfühlung trafen sich die Vorstände der beiden Kulturvereine, um gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. "Man hat versucht, so gut wie möglich über alles zu sprechen", erzählt Mitaev. Am Ende einigte man sich auf einen schriftlichen "Friedensvertrag", der von beiden Seiten als verbindlich erachtet wird.

Wird der Frieden halten?

Kann das so funktionieren? Darf ein Rechtsstaat akzeptieren, dass Bandenkriege migrantischer Communitys beigelegt werden, indem sich die höchsten Autoritäten der jeweiligen ethnischen Gruppen ausreden?

"Das hat mit Scharia oder einer Parallelgesellschaft nichts zu tun", sagt Mitaev. "Ganz im Gegenteil, wir wollten der Polizei helfen." Der Staatsschutz sei über die Gespräche informiert und stets auf dem Laufenden gehalten worden. Man habe sich mit den Behörden eng abgesprochen. Die Straftaten seien im Übrigen von den Friedensgesprächen ausgenommen gewesen: "Die polizeilichen Ermittlungen laufen weiter", sagt Mitaev. Und das sei auch gut so.

Was aber macht ihn so sicher, dass es nicht bald zu einem neuerlichen Aufflammen der Konflikte kommt? "Die Familie", sagt er. Denn praktisch alle der jungen Streithähne seien mit ihren Eltern nach Österreich gekommen. Sollte einer von ihnen den Frieden brechen, wird seine ganze Familie aus der Community ausgeschlossen. So steht es im Vertrag. Und diese Strafandrohung, meint Mitaev, sei hochwirksam.

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