• Bei den Klimaprotesten in Lützerath wettern die Aktivisten gegen den Energiekonzern RWE.
  • Dabei hängt der laut einem Experten bei weitem nicht an seinem Kohlegeschäft.
  • Im Gegenteil: RWE wäre die Kohle wohl lieber schon los. Die treibende Kraft sei jemand anders.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Sie hängen sich in Bäumen fest, bilden Menschenketten und werfen mit Steinen: Im nordrhein-westfälischen Lützerath protestieren Klima-Aktivisten gegen den Braunkohleabbau. Die dortige Siedlung soll abgerissen werden, um die darunterliegenden Kohlevorkommen fördern zu können.

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Auf den Plakaten der Demonstranten sind Sprüche zu lesen wie: "RWE enteignen, Bagger zu Altmetall", "RWE begräbt die Zukunft unserer Kinder" und "123 Jahre RWE sind genug". Die Rechnung scheint einfach: Der RWE-Konzern ist böse und klammert an der gestrigen Kohle.

Kohlegeschäft ist Auslaufmodell

Analyst Guido Hoymann vom Bankhaus Metzler widerspricht dem. Das Kohlegeschäft sei für den Energieversorger ein Auslaufmodell, welches keine allzu große Bedeutung mehr habe. "Die Kohleverstromung aufrechtzuerhalten ist eher ein Anliegen der Bundesregierung gegenüber RWE, denn sie will die Versorgungssicherheit gewährleisten. Hier sind durch den Ukraine-Krieg Unsicherheiten entstanden", sagt der Experte.

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Deshalb seien drei Braunkohleblöcke im Rahmen des deutschen Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetzes (EKBG) im vergangenen Jahr wieder reaktiviert worden. "Die Kohle soll hier helfen, Gas einzusparen", sagt Hoymann. Neben diesem staatlich vorgegebenen Ziel der Versorgungssicherheit sieht er aber kein Eigeninteresse an dem Weiterbetrieb des Kohlegeschäfts.

Kohle: Rotes Tuch für Investoren

"RWE wäre die Kohle lieber los. Die Finanzmärkte achten inzwischen deutlich darauf, dass Unternehmen Kriterien aus den Bereichen Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung erfüllen", erklärt Hoymann. Kohleabbau sei in diesem Zusammenhang ein Malus und viele Fonds-Gesellschaften würden in diese Aktien nicht mehr investieren. Hier geht es um sogenannte "ESG-Kriterien", mit denen Geldanlagen bewertet werden.

"Es gibt Investoren, die gerne in RWE investieren würden, weil sie Fortschritte auf dem Weg zur grünen Energie machen. Solange ihnen die Kohle noch anhängt, können sie es aber nicht. Fossile Brennstoffe gehören zu den Ausschluss- oder Negativkriterien", führt Hoymann aus.

Auch die Gewinne, die aus dem Kohleabbau erzielt werden, würden vom Markt nicht mehr honoriert. "Das heißt: die Bewertung der Unternehmen steigt dadurch nicht", sagt der Experte.

RWE ist auf einem grünen Weg

Tatsächlich zeigt die Bilanz des Unternehmens, dass RWE auf einem grünen Weg ist: Das Geschäft mit Kohle und Kernenergie wird ausdrücklich nicht mehr zum Kerngeschäft gezählt. Im Vordergrund stehen stattdessen die Segmente Wind/Solar, Wasser/Biomasse/Gas und Energiehandel.

"RWE hat in den letzten 15 Jahren Kapazitäten von 13 Giga-Watt für Erneuerbare Energien aufgebaut. Zum Vergleich: 1 Giga-Watt entspricht ungefähr der Leistung eines Atomkraftwerks", sagt Hoymann. RWE verfüge außerdem über zahlreiche Gaskraftwerke und habe Wasserkraft- und Biomasse-Werke. "Wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht, sind diese Kapazitäten gefragt, um Ausgleich zu schaffen", erklärt der Experte.

Entschädigung war schon ausgemacht

RWE sei damit für die aktuelle Übergangsphase gut aufgestellt, aber auch für die reine Ausrichtung auf Erneuerbare. "Man kann die Gaskraftwerke dann zu einem späteren Zeitpunkt auch mit Wasserstoff betreiben", sagt Hoymann. Er ist sich sicher, dass es von RWE keine gesteigerten Interessen gibt, noch viel Profit aus dem Kohlegeschäft zu schlagen, es heimlich zu verlängern oder irgendetwas herauszupressen.

"Eine Entschädigung in Höhe von 2,6 Milliarden Euro für den geplanten Kohleausstieg war schon zugesagt und die Planung finanziell in trockenen Tüchern", erinnert Hoymann. Im vergangenen Herbst vereinbarten RWE, Bund und das Land Nordrhein-Westfalen, die Braunkohleverstromung im Rheinischen Revier auf 2030 vorzuziehen. Der gesetzliche Ausstiegsplan hatte die Beendigung erst acht Jahre später vorgesehen.

Übernimmt der Staat das Kohlegeschäft?

Außerdem werde der Staat bald möglicherweise Eigentümer des Kohlegeschäfts – denn eine staatliche Kohlestiftung, die Kraftwerke aufkaufe und den Rückbau der Kohleverstromung organisiere, sei politisch im Gespräch. Wegen des Ukraine-Kriegs waren die Verhandlungen unterbrochen worden, dürften nun aber Branchenkennern zufolge zeitnah wieder aufgenommen werden.

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Die Gewinne, die RWE mit Kohle erzielt, zum Beispiel auch mit der aus Lützerath, würden dann dem Bund zufließen. In den ersten neun Monaten des Jahres 2022 erzeugte RWE mit der Braun- und Steinkohle immerhin 42.447 Gigawattstunden (GWh) Strom und erzielte damit einen Anteil von 18 Prozent am Konzernumsatz.

Prognosen des Konzerns selbst zufolge beläuft sich das "positive operative Ergebnis der Sparte Kohle/Kernenergie" im Gesamtjahr auf 650 bis 750 Millionen Euro. RWE wird seine Prognosen nun wohl weiter anpassen. "Während man die Gewinne des Kohlegeschäfts für die kommenden Jahre vor dem Krieg mit null bis 200 Millionen Euro bezifferte, dürfte die Größenordnung nun eher bei über 500 Millionen im Jahr liegen", sagt Hoymann.

Über den Experten: Guido Hoymann ist Analyst beim Bankhaus Metzler und beschäftigt sich mit den Sektoren Transport und Versorger. Hoymann studierte Betriebswirtschaft an der Universität Mannheim mit den Schwerpunkten Finanzierung, Bankbetriebslehre, Marketing und Handelsrecht.
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