Das Landgericht Darmstadt will ab 25. April einen unglaublichen Justizirrtum zurechtrücken: Der Lehrer Horst A. war 2002 wegen einer angeblichen Vergewaltigung zu fünf Jahren Haft verurteilt worden und verließ nach abgesessener Strafe als gebrochener Mann Ende 2006 das Gefängnis. Im Juli 2011 hob die Kasseler Justiz das Urteil auf, die Richter befanden Horst A. für unschuldig. Jetzt wird der vermeintlich vergewaltigten Frau, Heidi K., damals eine Kollegin von Horst A., der Prozess gemacht.
Wenn am 25. April im hessischen Darmstadt das Verfahren beginnt, ist auf jeden Fall einer der Hauptpersonen nicht anwesend: Der vermeintliche Sexualstraftäter Horst A. starb Ende Juni 2012 an Herzversagen, fast ein Jahr genau nach seinem Freispruch. Nach dem entlastenden Urteil im Juli 2011 hatte sich A. sichtlich gefreut. Dem "Stern" hatte er damals gesagt: "Ich habe mein verloren gegangenes Vertrauen in die deutsche Justiz wiedergefunden."
Doch da war der Pädagoge längst ein gebrochener Mann. Der Hesse hatte nach seiner Haftentlassung im Oktober 2006 nicht mehr in ein normales Leben zurückgefunden. Seine Bewerbungen an verschiedenen Schulen hatten wegen seiner Vorstrafe keinen Erfolg. Also lebte er von Hatz IV. Das Haus von A. hatten dessen Eltern wegen der hohen Verfahrenskosten verkaufen müssen, so "Stern". Als verurteilter Vergewaltiger gebrandmarkt zog der Lehrer ins Saarland.
Das angebliche Opfer Heidi K. hatte im Prozess 2002 dem Gericht geschildert, wie ihr Kollege Horst A. sie in einem Biologie-Vorbereitungsraum der Georg-August-Zinn-Schule in Reichelsheim (Odenwald) brutal zum Analverkehr gezwungen habe. Nach nur wenigen Prozesstagen verurteilte die 12. Große Strafkammer des Landgerichts Darmstadt den damals alkoholkranken 43-Jährigen wegen Vergewaltigung, Körperverletzung und Nötigung zu einer Haftstrafe sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.
Die Vergewaltigung war ein Lügenmärchen
Der Frauenbeauftragten des zuständigen Schulamts, Anja Keinath, kamen "Stern" zufolge an dieser Version große Zweifel, als Horst A. schon entlassen war. Keinath hatte Heidi K. auf deren Wunsch beim Prozess 2002 begleitet. Nachdem Anja Keinath jedoch die Lehrerin danach mehrmals bei gravierenden Lügen erwischte, wandte sich die Frauenbeauftragte Ende 2007 an ihren Bruder, Rechtsanwalt Hartmut Lierow. War es möglich, dass Heidi K. die Vergewaltigung nur erfunden hatte?
Als sich Lierow dann bei Horst A. meldete, war dieser zuerst misstrauisch, witterte eine Falle. Der Berliner Jurist gewann jedoch schließlich das Vertrauen des entlassenen Lehrers. Bei der Auseinandersetzung mit dem Fall fand Lierow schon bald große Widersprüche. Der erzwungene Analverkehr soll zum Beispiel im Stehen stattgefunden haben. "Ich empfehle jedem Paar, diesen Vorgang mal zu simulieren. Sorry, es ist schlichtweg nicht möglich", berichtete der Rechtsanwalt dem "Stern".
Direkt nach der Tat habe Heidi K. nach eigener Schilderung starke Schmerzen gehabt. Trotzdem soll sie laut dem Nachrichtenmagazin danach zwei Stunden Unterricht gegeben haben. Den bei dem Vorfall getragenen Stringtanga soll sie zudem sofort im Müll entsorgt und ihren Wickelrock gewaschen haben. "Als Biologin musste sie aber wissen, dass an diesem Slip und sicherlich noch am Rock Beweisspuren feststellbar gewesen wären", so Lierow zum "Stern".
Heidi K. drohen bis zu zehn Jahre Haft
Im Juli 2011 stellte das Landgericht Kassel die Unschuld von Horst A. fest. Ein Jahr später verstarb der gebrochene Mann. Jetzt machen die hessischen Richter Heidi K. den Prozess. Die falschen Verdächtigungen können der Biologie-Lehrerin nicht mehr zur Last gelegt werden, sie sind verjährt. Der Vorwurf in dem neuen Prozess in Darmstadt lautet dem Nachrichtensender N-TV zufolge Freiheitsberaubung. Der 48-Jährigen, die mittlerweile in Niedersachsen lebt, droht eine Gefängnisstrafe zwischen einem Jahr und zehn Jahren.
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