Der erste Jahrestag der "Gelbwesten"-Bewegung in Frankreich ist vor allem in Paris von Szenen der Gewalt geprägt worden. Am Samstag wurden in einigen Vierteln der Hauptstadt Autos umgestoßen, Mülleimer in Brand gesetzt und Bushaltestellen verwüstet. In anderen Landesteilen blockierten tausende "Gelbwesten" Straßen und Kreuzungen, um weitere Reformen zu fordern. Kundgebungen am Sonntag - dem eigentlichen Jahrestag - verliefen friedlich.

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Schwerpunkt der Proteste war der Samstag, an dem nach Angaben des Innenministerium landesweit 28.000 Menschen auf die Straße gingen; in Paris waren es demnach 4700. Die "Gelbwesten"-Bewegung sprach von landesweit mehr als 39.500 Teilnehmern.

Demonstranten stürmen Kaufhaus

Am Sonntag versammelten sich im Zentrum von Paris rund 200 Menschen. Die Galeries Lafayette schlossen am frühen Nachmittag, nachdem mehrere Dutzend "Gelbwesten" kurzzeitig in das Luxus-Kaufhaus eingedrungen waren und Kunden in Sicherheit gebracht werden mussten. Die Demonstranten wurden kurz nach ihrem Eindringen wieder nach draußen gebracht.

Bis zum Mittag wurden nach Angaben der Polizei in Paris 20 Menschen festgenommen. Am Samstag wurden landesweit 254 Menschen festgenommen, 173 davon in Paris. Am Sonntagmorgen waren noch 155 Menschen in Gewahrsam, darunter acht Minderjährige.

Innenminister Christophe Castaner machte am Sonntag "Gauner" und "Schlägertypen" für die Gewalt am Vortag verantwortlich. Sie seien "gekommen, um sich zu schlagen, mit den Sicherheitskräften zu kämpfen, die Feuerwehr an der Arbeit zu hindern".

Polizei mit vermummten Randalierern konfrontiert

In Paris war die Lage am Samstagnachmittag an der Place d'Italie zwischenzeitig eskaliert. Polizisten gingen mit Tränengas und Wasserwerfern gegen Demonstranten vor und versuchten zeitweilig vergeblich, kleine, sehr mobile Gruppen von teilweise vermummten Randalierern auseinanderzutreiben. Demonstranten wurden verletzt, Feuerwehrleute an der Arbeit gehindert.

Mehrere dutzend vermummte, schwarz gekleidete Demonstranten zerstörten die Türen eines Einkaufszentrums auf dem Platz sowie die Fensterscheiben eines Hotels. Wegen der Gewalt und der Ausschreitungen untersagte die Polizei eine für den Nachmittag angekündigte Demonstration, die an der Place d'Italie beginnen sollte.

Im Nordwesten von Paris griffen Sicherheitskräfte in der Nähe der Porte de Champerret ein, als mehrere dutzend "Gelbwesten" kurzzeitig die Stadtautobahn besetzten. "Wir sind da, auch wenn Macron das nicht will", riefen sie an die Adresse von Staatspräsident Emmanuel Macron.

Mehrere Metro-Stationen waren am Samstag geschlossen, die Prachtmeile Champs Elysées war für Demonstranten gesperrt. Dort blieb es ruhig. Dafür herrschte zwischenzeitlich eine angespannte Lage auf der Place de la Bastille, wo ein Demonstrationszug von Sicherheitskräften gestoppt wurde.

Er sei nach Paris gekommen, "weil wir keine Antwort von Macron haben, außer völlige Geringschätzung", sagte der aus Dijon stammende Demonstrant John. Die Steuern und die Kraftstoffpreise würden weiter steigen. "Wir werden weiter demonstrieren, bis sich etwas bewegt", sagte er.

Landesweite Blockade-Aktionen

In zahlreichen Regionen des Landes wurden Kreuzungen und Einkaufszentren besetzt. Ausschreitungen gab es am Samstag unter anderem in Bordeaux, Toulouse, Nantes und Lyon. Landesweit hatte die Bewegung für das Wochenende 270 Blockade-Aktionen angekündigt.

Die "Gelbwesten" hatten anlässlich des ersten Jahrestages wieder auf größeren Zulauf für ihre Bewegung gesetzt. Zum ersten landesweiten Protesttag am 17. November 2018 waren nach offiziellen Angaben noch mehr als 280.000 Demonstranten in gelben Warnwesten auf die Straßen geströmt, um gegen hohe Kraftstoffpreise und soziale Ungleichheit vorzugehen.

Ihr Hauptziel haben die "Gelbwesten" nicht erreicht: den Rücktritt Macrons, der für sie ein "Präsident der Reichen" ist. Der Staatschef hat als Reaktion auf die Proteste Zugeständnisse gemacht, welche die Regierung auf 17 Milliarden Euro beziffert. Dazu zählen eine Senkung der Einkommensteuer und ein höherer Mindestlohn. Die "Gelbwesten" kritisieren, davon sei fast nichts bei den sozial Benachteiligten angekommen  © AFP

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