Mit Blick auf den Terroranschlag in Halle erklärt der 28-jährige Angeklagte, er sei ein Versager. Zu Beginn des Prozesses gibt er seine Weltsicht zu Protokoll. Er weiß dabei genau, welche Botschaft er auf der großen Bühne des Prozesses senden möchte.

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Was am 9. Oktober in Halle geschehen ist, ist einigermaßen klar. Der rechtsextreme Attentäter von Halle filmte, wie er an der Tür der Synagoge scheiterte, er filmte, wie er zunächst eine Frau und später einen jungen Mann erschoss.

Das Ganze streamte er live ins Internet. "Es ist eine neue Dimension der Menschenverachtung, die durch diese Tat hier in Deutschland stattgefunden hat", sagt Kai Lohse von der Bundesanwaltschaft. Es sei ein Anschlag gewesen, der uns allen gegolten habe, allen Menschen in Deutschland.

Prozessbeginn verzögerte sich um zwei Stunden

Doch um die Frage "Was ist passiert?" geht es vielen Beobachtern, Nebenklägern und sonstigen Betroffenen des Prozesses gar nicht so sehr, der am Dienstag in Magdeburg begann. Sie wollen vor allem verstehen, wie aus dem Angeklagten, einem hageren, eher kleinen Mann mit fliehendem Kinn, hoher Stimme und kurz geschorenem Haar, ein rechtsextremer Terrorist werden konnte. Der erste Prozesstag gibt darüber einiges preis.

Lange hatten die Nebenkläger, die Besucher, Journalisten und auch der Angeklagte selbst am Dienstag auf den Prozessbeginn warten müssen: Das Gericht war nicht gut auf den Andrang der schon vor Tagen akkreditierten Journalisten vorbereitet, der Prozessbeginn verzögerte sich um zwei Stunden.

Das Oberlandesgericht Naumburg hat sich für den vielleicht bedeutendsten Prozess in der Geschichte Sachsen-Anhalts einiges vorgenommen: Für die zunächst 18 geplanten Verhandlungstage sind 147 Zeugen benannt.

Angeklagter erklärt seine Weltsicht

In der 121-seitigen Anklage wirft die Bundesanwaltschaft Stephan B. 13 Straftaten vor, er soll unter anderem die 40-jährige Jana L. und den 20-jährigen Kevin S. ermordet haben.

21 Anwälte vertreten insgesamt 43 Nebenkläger, die Bundesanwaltschaft ist mit einem Bundesanwalt und einem Staatsanwalt vertreten. Richterin Ursula Mertens leitet die Verhandlung und wird dabei von zwei Richterinnen und zwei Richtern unterstützt.

Ein Massaker hatte der Angeklagte anrichten wollen, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur wollte er - wie er vor Gericht freimütig einräumt - eine Synagoge stürmen und möglichst viele Juden töten. Minutenlang lässt sich der Angeklagte bei jeder Gelegenheit über Muslime und Schwarze aus.

Der Mann aus einem 1.000-Seelen-Dorf in Sachsen-Anhalt sieht in ihnen Eroberer, die ihn aus der Gesellschaft verdrängen wollten. In seiner absurden Logik macht er Juden für diese vermeintliche Eroberung verantwortlich.

Zahlreiche Pannen mit selbstgebauten Waffen

Schlussendlich tötete er keine Juden, weil er es mit seinen selbstgebauten Waffen und Sprengsätzen nicht schaffte, die Tür der Synagoge zu überwinden. "Jetzt hab ich mich global lächerlich gemacht", habe er gedacht, als er nicht in die Synagoge kam.

Als er dann aus einer "Kurzschlussreaktion" heraus, wie er sagt, eine Frau erschoss und dabei auch die Reifen seines Mietwagens zerstörte, sei ihm endgültig klar geworden, dass er seinen Plan nicht werde umsetzen können.

Um wenigstens noch überhaupt etwas "zu erreichen", sei er einfach die Straße herunter gefahren und bei der ersten Gelegenheit, einem Dönerimbiss, ausgestiegen.

Auch sein zweites Mordopfer habe er nicht absichtlich getötet, überhaupt habe er ja viele Weiße getroffen, das sei überhaupt nicht der Plan gewesen. Dass dem Mann am 9. Oktober nicht noch mehr Menschen zum Opfer fielen, lag an den zahlreichen Pannen mit seinen selbstgebauten Waffen.

Angeklagter weiß, welche Botschaft er senden möchte

Das Internet sei sein einziger sozialer Kontakt jenseits der Familie gewesen, sagt der Angeklagte. Schon seit Teenager-Jahren sei das so. Dort könne er offen kommunizieren, das könne er im echten Leben in Deutschland nicht.

Dort habe er auch seine Waffen oder die Teile dafür besorgt, dort lud er vor der Tat ein sogenanntes Manifest hoch und dort streamte er auch das Video seiner Tat. Warum? "Weil die Aufnahme, die Übertragung wichtiger ist als die Tat selbst", sagt er ganz selbstverständlich.

Ein einzelner allein sei der Polizei natürlich immer unterlegen, sagt der 28-Jährige. Aber ein Video könne Menschen zeigen, dass sie eben nicht allein sind und sie zum Nachahmen animieren.

So sei das auch in seinem Fall gewesen mit dem Attentäter, der in Neuseeland zwei Moscheen angegriffen und dabei 51 Menschen getötet hat. "Es wehrt sich ein weißer Mann, obwohl er weiß, dass er nicht gewinnen kann", beschreibt Stephan B. seinen Eindruck vom Video des Mannes, den er als sein Vorbild nennt.

Der 28-Jährige, das wird zu Prozessbeginn deutlich, weiß genau, welche Botschaft er auf der großen Bühne des Prozesses senden will. Es ist eine Botschaft, die viele rechtsextreme Verschwörungstheoretiker seit Jahren verbreiten, mit den Schlagworten Weltherrschaft, Verdrängung und 2015. Wenn er davon loslegt, kann er sich kaum halten.

Angeklagter nennt sich selbst einen Versager

Kleinlaut und kurz angebunden ist der Angeklagte hingegen, wenn es um ihn geht, um sein Leben und seine Angehörigen. "Die Tat hat keinen Bezug zu meiner Familie", beteuert der Angeklagte.

Nur knapp beantwortet er die persönlichen Fragen der Richterin und sagt dabei, dass er schon immer ein Einzelgänger war, mit durchschnittlichen Schulnoten aber ohne Freunde.

Er erzählt von seiner kurzen Zeit bei der Bundeswehr, wie er danach nach Magdeburg ging um zu studieren, dann nach Halle wechselte und das Studium aus gesundheitlichen Gründen abbrach.

Wie er seitdem nichts mehr machte, nicht arbeitete, nicht studierte und mit 27 in einem Zimmer im Haus seines Vaters wohnte. Er sei offensichtlich ein Versager, sagte der Angeklagte. Auch wenn ihm dieser Gedanke erst nach dem gescheiterten Angriff auf die Synagoge gekommen sei. (ff/dpa)

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