In dubio pro reo - im Zweifel für den Angeklagten, lautet das Credo der Justiz. Doch auch in einem Rechtsstaat wie dem deutschen kommt es immer wieder zu Justizirrtümern. Menschen sitzen zum Teil viele Jahre hinter Gittern, ohne zuvor tatsächlich eine Straftat begangen zu haben. Aber was wird aus den Justizopfern, die für unschuldig erklärt werden?

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Aktuell sorgt die Klage eines zu Unrecht wegen Kindesmissbrauchs Verurteilten in Saarbrücken für Aufsehen: Der heute 71-Jährige saß auf Grund eines psychologischen Gutachtens fast zwei Jahre im Gefängnis, bevor das Urteil gegen ihn aufgehoben wurde. Nun klagt er auf 80.000 Euro Schmerzensgeld und 38.000 Euro Schadensersatz von der Gutachterin.

Juristisch betrachtet kann, wer in Deutschland zu Unrecht in einem Strafverfahren verfolgt wurde, eine finanzielle Entschädigung fordern, wenn ihm durch die Haft Schäden entstanden sind.

Doch die Ausgleichssumme bezeichnen Experten als "Witz" oder gar "Frechheit" und den bürokratischen Aufwand als "zum Teil unüberwindbare Hürde" für die Justizopfer.

Wem steht was zu?

Stellt sich heraus, dass ein Unschuldiger fehlerhaft verurteilt wurde, dann erhält der Betroffene proportional zu seiner Haftdauer eine Entschädigung für die Haftzeit. Entsprechend den Bestimmungen des "Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen" (StrEG) beträgt diese Summe zur Zeit 25 Euro pro Tag Freiheitsentziehung, also rund 750 Euro im Monat. Erst 2008 wurde der Satz angehoben: Von damals 11 Euro auf 25 Euro pro Tag.

Damit gehört Deutschland eindeutig zu den Schlusslichtern im Internationalen Ranking. Zum Vergleich: Die Österreicher zahlen im Schnitt 100 Euro pro Tag, in Luxemburg gibt es bis zu 200 Euro, in den Niederlanden zwischen 70 und 95 Euro und in Spanien kann der Tagessatz bei längerer Haft auf bis zu 253 Euro pro Tag steigen.

Die finanzielle Entschädigung ist Schmerzensgeld und Schadensersatz zugleich

Zusätzlich zu den 25 Euro kann ein Betroffener eine Entschädigung für den Vermögensschaden fordern, der ihm nachweislich durch die Strafverfolgungsmaßnahme entstanden ist. Dazu zählen beispielsweise die Kosten für die Verteidigung oder den Verdienstausfall aber auch für die Verluste bei der Rentenversicherung.

Voraussetzung ist, dass der zuvor unschuldig Inhaftierte alles genau belegen kann: In einem bürokratischen Verfahren muss er jede einzelne Schadenposition belegen und beweisen, dass die Schäden ohne die Strafverfolgungsmaßnahme nicht entstanden wären. Weil der Aufwand so groß und die Beweislage gerade bei längerer Haft schwierig ist, verzichten einige Justizopfer sogar von vornherein auf das Geld.

Dazu kommt: Gemäß dem sogenannten Vorteilsausgleich kann der Gesetzgeber das infolge einer Haft für Unterkunft und Verpflegung ersparte Geld gegen den Vermögensschaden anrechnen.

Was passiert nach einer Haftentlassung?

Wenn ein unschuldig Inhaftierter seine Freiheit zurückerlangt, dann steht er häufig vor den Trümmern seines Lebens. Familie und Freunde haben sich abgewendet, im Lebenslauf klafft eine große Lücke und Arbeitsplatz und Wohnung sind gekündigt. Trotzdem unterstützt ihn der Staat bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft in keinster Weise. Während für entlassene Straftäter nach Verbüßung ihrer Haft zum Beispiel Bewährungshelfer vorgesehen sind, stehen Justizopfer gänzlich allein da.

Aufsehen erregte der Fall Horst Arnold, der nach seiner Haftentlassung dafür kämpfte, wieder als Lehrer eingestellt zu werden. Das hessische Kultusministerium aber wies darauf hin, dass laut Strafgesetzbuch jeder, der zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt wurde, "für die Dauer von fünf Jahren die Fähigkeit" verliere, "öffentliche Ämter zu bekleiden". Da half auch der Freispruch Arnolds nicht.

Wenn der Betroffene Falschaussagen getätigt hat

Schlimmer ist die Situation eines Opfers eigentlich nur dann noch, wenn derjenige ein falsches Geständnis abgelegt hat. Die Anreize dafür sind reichlich vorhanden, denn Hafterleichterungen, beispielsweise Ausgang und Hafturlaub, werden meist nur genehmigt, wenn sich der Gefangene mit seiner Tat auseinandersetzt. Wer aber als therapieunwillig und nicht resozialisierbar gilt – und dazu zählen die meisten unschuldig Inhaftierten – wird keinesfalls frühzeitig in die Freiheit entlassen werden. Also gestehen einige Opfer eine Tat, die sie nicht begangenen haben.

Wozu das führen kann, zeigt der Fall der Familie Rupp, die angab, den Vater der Familie getötet, die Leiche zerstückelt und an die Hofhunde verfüttert zu haben. Alle gelten als minderbegabt und wurden schließlich, als die Leiche gefunden wurde, freigesprochen. Dennoch aber sollte keiner von ihnen je eine Entschädigung für die Jahre im Gefängnis erhalten. Sie seien wegen ihrer falschen Aussagen selbst schuld an der Verurteilung, begründete das Landgericht Landshut.

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