Ein Kunstschatz, jahrzehntelang versteckt in einer Münchner Wohnung: Über 1.500 Bilder haben die bayerischen Behörden beschlagnahmt. Für Kunstexperten ist der Fund eine Sensation. Doch der Fall gibt viele Rätsel auf.

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Funde, wie der in München, kommen oft durch Zufall zustande: Eine Routinekontrolle macht den Zoll auf Cornelius Gurlitt, den Sohn eines Kunsthändlers, aufmerksam. Wenig später stoßen Ermittler in seiner Wohnung auf den spektakulären Fund. Doch rund um die Entdeckung gibt es noch viele ungeklärte Fragen.

Warum wurde die Entdeckung so lange geheim gehalten?

Im Februar 2012 finden die Münchner Beamten in der Schwabinger Wohnung von Gurlitt knapp 1.500 Bilder. Doch erst fast zwei Jahre später wird die Entdeckung des milliardenschweren Kunstschatzes durch einen Bericht im "Focus" in der Öffentlichkeit bekannt. Einzelne Stellen wissen aber schon frühzeitig Bescheid. "Wir wurden im Frühjahr 2012 informiert", sagt Dr. Michael Franz von der Koordinierungsstelle Magdeburg, die auch die Datenbank "Lost Art" für verschollene Kunstgegenstände aus der NS-Zeit betreibt. Auch die Bundesregierung ist seit Monaten informiert. Die Entscheidung, ob der Fund öffentlich gemacht wird, liegt aber bei den Behörden in Bayern. Auf der Pressekonferenz berufen sich die Anwesenden auf die anhaltenden Ermittlungen.

Was bedeutet der Fund für den Kunstmarkt?

"Die Bilder sind von ganz außerordentlicher Qualität und haben einen hohen wissenschaftlichen Wert", teilt die Kunstexpertin Dr. Meike Hoffmann auf der Pressekonferenz mit. Viele Werke seien noch nicht bekannt und könnten die Einzelforschung zu den verschiedenen Künstlern vorantreiben. So ist ein im Fund enthaltenes Bild von Marc Chagall noch nicht im Werksverzeichnis des Künstlers enthalten, ebenso ein Gemälde von Henri Matisse. Auch ein bisher unbekanntes Selbstporträt von Otto Dix ist für Hoffmann eine Überraschung.

Immer wieder tauchen unbekannte oder verschollene Kunstwerke durch Zufall auf. Aber der Umfang des Münchner Fundes versetzt auch die Fachwelt in Staunen. Für Dr. Uwe Hartmann von der Berliner Arbeitsstelle für Provenienzforschung ist es eine "kleine Sensation". Ob die Werke aber mal in einem Museum zu sehen sein oder bei einer Auktion versteigert werden, bleibt offen. "Wir können noch gar nicht abschätzen, ob der Fund auf dem Kunstmarkt landen wird oder ob einzelne Werke von den Nachfahren jüdischer Sammler beansprucht werden. Das müssen wir abwarten", sagt Hartmann.

Wie konnte Cornelius Gurlitt jahrzehntelang einzelne Kunstwerke verkaufen, ohne entdeckt zu werden?

Lange Zeit gab es keine klare Forschung über die durch die Nationalsozialisten geraubten oder durch die Wirren des zweiten Weltkriegs verschwundenen Kunstgegenstände. "Erst Anfang der 1990er Jahre wurde durch das Auftauchen deutscher Kulturgüter in Russland die Thematik der Beutekunst aktuell – wie der 'Schatz des Priamos' zum Beispiel und die Sammlung Siemens oder Thyssen", sagt Franz. 1998 unterzeichnet Deutschland gemeinsam mit 43 Staaten die Washingtoner Prinzipien, die die Rückgabe von Vermögenswerten aus der Zeit des Holocaustes regeln und "gerechte und faire Lösungen" finden sollen. "Über das Internet konnten Datenbanken wie 'Lost Art' entwickelt werden, die Transparenz herstellen und Such- und Fundmeldungen zusammenführen", führt Franz aus.

Renommierte Auktionshäuser gleichen angebotene Kunstwerke normalerweise mit den öffentlichen Datenbanken ab. "Es gibt aber natürlich schon eine Reihe von Händlern und kleineren Häusern in kleineren Städten, bei denen nicht geprüft wird", räumt Hartmann ein. "Die Privatpersonen wie auch der Kunsthandel sind aber nicht wie wir an die Washingtoner Prinzipien über den Umgang mit Nazi-Raubkunst gebunden."

Warum ist die Rechtslage so schwierig?

Zunächst muss mittels der Provenienzforschung der Lebenslauf des Bildes rekonstruiert werden. Erst dann können mögliche Besitzansprüche geklärt werden. "Wer gegenüber wem einen Anspruch haben könnte lässt sich seriös nicht beurteilen, wenn die Provenienz des Objektes nicht oder noch nicht lückenlos geklärt ist", erklärt Franz. "Das ist wie bei einem Urteilsspruch: Der Richter stellt erst den Sachverhalt fest und dann kommt die rechtliche Würdigung auf der Grundlage des Sachverhalts."

Im Falle der "Entarteten Kunst" dürfte Gurlitt die Bilder aber wohl behalten. Laut "Focus" gehören 300 seiner Kunstwerke in diese Kategorie. Sein Vater Hildebrand Gurlitt war einer der vier Kunsthändler, die ab 1937 vom Reichspropagandaministerium beauftragt worden sind, die aus den Museen beschlagnahmten Werke der sogenannten "entarteten Kunst" zu verkaufen. Als "entartet" bezeichneten die Nationalsozialisten praktisch alle Strömungen der klassischen Moderne wie den Expressionismus oder den Surrealismus. "Die Enteignung der Museumsbestände ist in der Bundesrepublik nie juristisch angezweifelt worden. Also gehe ich davon aus, dass Herr Gurlitt rechtmäßiger Eigentümer ist", stellt Hartmann fest. Die Museen haben also keine Möglichkeit, die Bilder zurückzufordern.

Experten halten es nicht für unwahrscheinlich, dass es noch weitere Funde ähnlicher Art geben könnte. Oft lässt sich gar nicht feststellen, welche Kunstwerke in der Zeit des Nationalsozialismus und im zweiten Weltkrieg vernichtet worden sind. Ein berühmtes Beispiel ist das Bernsteinzimmer, von dem noch immer jede Spur fehlt.

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