2018 lässt ein Mann im indischen Bundesstaat Telangana seinen Schwiegersohn von einem bezahlten Killer umbringen. Der Grund: Der 23-Jährige war ein Dalit, ein laut dem hinduistischen Kastensystem "Unberührbarer". Seit etwa 70 Jahren ist Indiens Kastensystem zwar abgeschafft, diese Art von Ehrenmord geschieht in dem Land dennoch in beunruhigender Regelmäßigkeit.
Am Tag ihrer Hochzeit packt Amrutha Varshini ihr Kleid, ihren Ausweis und ihre Schulzeugnisse in einen Rucksack und verlässt ihr Elternhaus, um ihren Verlobten Pranay Perumalla zu heiraten. Die Hochzeit findet im kleinen Kreis statt, Amruthas Eltern sind nicht dabei. Schon damals befindet sich die junge Liebe in Gefahr.
Abgeschafft, aber nicht wirklich
Pranay ist ein Dalit. Für Inder, die noch am Kastensystem festhalten, gilt er aufgrund seiner Herkunft als "unrein". Amrutha gehört einer höheren Kaste an. Grund genug für ihren Vater, einen Killer mit der Ermordung seines Schwiegersohns zu beauftragen. Der "Washington Post" hat Amrutha ihre Geschichte erzählt.
Zwar wurde das indische Kastensystem mit dem Erlangen der Unabhängigkeit Indiens und der neuen Verfassung 1949 abgeschafft, in der Gesellschaft ist dies aber bis heute noch nicht endgültig akzeptiert. Ehen zwischen unterschiedlichen Kasten sind immer noch ungewöhnlich, Ehrenmorde passieren mehrmals im Jahr. Nur 5,8 Prozent von Indiens Ehen sind kastenübergreifend, so eine Studie aus dem Jahr 2017. Laut dem nationalen Kriminalstatistikbüro gab es alleine im Jahr 2015 etwa 251 dieser Morde.
Nach dem Kastensystem teilt sich die indische Gesellschaft in vier große Kategorien ein, die wiederum in zahlreiche Kasten und Unterkasten aufgeteilt sind. Etwa 3.000 Kasten und 25.000 Unterkasten gibt es. An oberster Stelle stehen die Brahmanen, traditionell Priester und Gelehrte, an zweiter die Kshatriyas, meist höhere Beamte, dann kommen die Vaishyas, die Kaste der Händler und Bauern und die letzte Kategorie, die Shudras, welche meist Knechte oder Dienstleister waren. Die Dalits, die "Unberührbaren", liegen außerhalb des Systems und verüben traditionell "unreine" Tätigkeiten wie Müllbeseitiger oder auch Friseur.
Seit der Abschaffung des Kastensystems sind Berufe nicht mehr an den Stand gebunden, trotzdem halten vor allem Menschen auf dem Land an den starren Strukturen fest.
Hinterrücks ermordet
Pranay und Amrutha sind nicht naiv, sie wissen um die Gefahr, die ihre Verbindung bedeutet. Das Paar plant auszuwandern, doch dann bemerkt Amrutha, dass sie schwanger ist. Sie wollen die Geburt des Kindes abwarten.
Am 14. September 2018 besucht das Paar gemeinsam mit Pranays Mutter ein Krankenhaus zur Geburtsvorsorge. Als sie das Gebäude verlassen, wird Pranay hinterrücks von einem Unbekannten mit einem Metzgermesser angegriffen. Der Mann trifft ihn am Hals und am Kopf. Pranay ist sofort tot.
Für Fälle wie jenen von Pranay und Amrutha gibt es in Indien die Organisation "Liebes-Kommandos". Sie helfen Paaren, die gegen den Willen ihrer Eltern heiraten wollen, bei der Eheschließung, in Rechtsfragen und dabei, vor ihren Familien unterzutauchen. 25.000 Paaren hat sie seit ihrer Gründung 2010 schon geholfen.
Pranay und Amrutha konnte nicht mehr geholfen werden. Nach der Tat ruft die 21-Jährige ihren Vater an: "Jemand hat Pranay attackiert. Was hast du getan?"
Inzwischen lebt die junge Frau bei den Eltern ihres ermordeten Mannes. Ihren Vater erwartet ein Gerichtsprozess. Er soll im September starten. (dar)
Verwendete Quellen:
- The Washington Post: "A young Indian couple married for love. Then the bride’s father hired assassins."
- planetwissen: "Kastensystem"
- Entwicklung und Zusammenarbeit: "Von den Schwiegereltern getötet"
- Focus Online: "'Liebes-Kommandos' retten verbotene Paare in Indien"
- Bundeszentrale für politische Bildung: "Kaste und Kastensystem in Indien"
- National Crime Records Bureau: "Crime in India 2015"
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