Die Nebenklage ist im deutschen Strafrecht ein bedeutendes Instrument für Geschädigte und deren Angehörige, um die Folgen einer Straftat zu bewältigen. Sie ermöglicht den Betroffenen nicht nur eine aktive Mitwirkung am Verfahren, sondern gewährt ihnen auch zahlreiche besondere Rechte. Allerdings ist die Zulässigkeit der Nebenklage auf bestimmte Straftaten und Bedingungen beschränkt.

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Insbesondere in medienwirksamen Prozessen hört man oft von Personen, die sich der Nebenklage anschließen. Ein Beispiel hierfür ist der Fall Niels Högel, der angeklagt war, als Krankenpfleger zwischen Februar 2000 und Juni 2005 100 Morde begangen zu haben. Im Juni 2019 wurde er für 85 Morde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. In diesem Prozess vertraten insgesamt 17 Anwälte 120 Nebenkläger.

Doch was bedeutet es eigentlich, eine Nebenklage zu erheben? Und wer hat überhaupt das Recht dazu?

Der Nebenkläger erhebt im Strafverfahren keine eigene Klage gegen die angeklagte Person. Vielmehr schließt er sich der bereits von der Staatsanwaltschaft erhobenen öffentlichen Anklage an. Im Gegensatz zur Zivilklage, die darauf abzielt, finanzielle Entschädigungen oder zivilrechtliche Ansprüche geltend zu machen, dient die Nebenklage dem Opferschutz und ermöglicht den Betroffenen eine aktive Mitwirkung am Strafverfahren.

Nebenklage: Darum geht es

Die Berliner Rechtsanwältin Barbara Petersen, die Mitglied bei "Nebenklage e.V." ist - einem Zusammenschluss von Anwälten mit dem Ziel, die Rechte von Straftatopfern zu stärken und zu verbessern -, erläutert im Gespräch mit unserer Redaktion: "Den wenigsten Geschädigten geht es um Rache, sondern vielmehr darum, dass festgestellt wird, was passiert ist. Besonders bei Sexualstraftaten erleben Betroffene häufig, dass ihnen nicht geglaubt wird – oder ihnen gar unterstellt wird, sie würden lügen. Viele wollen einfach die offizielle Anerkennung der Tat durch ein Gericht."

Für die meisten Betroffenen sei es essenziell, am Verfahren beteiligt zu werden, da sie sonst keine Stimme haben. "Die Staatsanwaltschaft vertritt zwar die Gesellschaft, aber sie kennt und beachtet die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Geschädigten oft nicht. Ein zentraler Punkt der Nebenklage ist es daher, diesen Perspektiven Raum zu geben."

Der Bundesgerichtshof entschied im September 2020, dass Nebenkläger nicht unbedingt ein Interesse an der Verurteilung des Angeklagten haben müssen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn eine familiäre oder emotionale Bindung besteht oder der Nebenkläger primär an einer therapeutischen Aufarbeitung interessiert ist.

Besondere Rechte des Nebenklägers

Ein Nebenkläger hat eine Reihe von wichtigen Rechten im Strafverfahren. Zu den bedeutendsten zählen:

  • Akteneinsicht: Der Nebenkläger hat grundsätzlich das Recht, in der Regel über seinen Anwalt Einsicht in die Akten des Verfahrens zu nehmen. Doch nicht immer wird diese Einsicht gewährt, was laut Barbara Petersen besorgniserregend ist: "Während einem Angeklagten das Recht zu schweigen zusteht, müssen Geschädigte die Wahrheit sagen und sich umfangreichen Befragungen stellen. Wenn ihnen dann auch noch Akteneinsicht verweigert wird, erschwert das nicht nur die Wahrheitsfindung, sondern zeigt auch ein ungerechtfertigtes Misstrauen gegenüber den Geschädigten."
  • Anwesenheitsrecht: Das Anwesenheitsrecht ermöglicht es dem Nebenkläger, während des gesamten Strafverfahrens anwesend zu sein. Der Nebenkläger hat das Recht, die Verhandlung zu verfolgen, Beweise zu hören und sich über den Verlauf des Verfahrens zu informieren.
  • Zeugenbefragung und Einfluss auf die Beweisaufnahme: Der Nebenkläger hat das Recht, Fragen an den Angeklagten zu stellen, Zeugen zu befragen und Beweisanträge zu stellen. In der Praxis erfolgt dies in der Regel über seinen Anwalt.
  • Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit: Der Nebenkläger kann einen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit stellen. Die Entscheidung darüber, ob diesem stattgegeben wird, obliegt dem Gericht, das prüft, ob der Ausschluss im jeweiligen Fall erforderlich ist.
  • Anspruch auf rechtliches Gehör: Der Nebenkläger kann Anordnungen des Vorsitzenden beanstanden und das Recht auf ein eigenes Plädoyer wahrnehmen.

Voraussetzungen und Zulässigkeit der Nebenklage

Die rechtliche Grundlage für die Zulässigkeit einer Nebenklage findet sich in Paragraf 395 der Strafprozessordnung (StPO). Demnach ist die Nebenklage nur bei bestimmten Straftaten zulässig, insbesondere bei:

  • Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit (zum Beispiel Mord, Totschlag, Körperverletzung mit schweren Folgen)
  • Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (zum Beispiel Vergewaltigung, sexueller Missbrauch)
  • Straftaten gegen die persönliche Freiheit (zum Beispiel Menschenhandel, Freiheitsberaubung)

Zusätzlich können auch andere Straftaten zulässig sein, wenn sie besonders schwerwiegende Folgen für die geschädigte Person hatten und eine Nebenklage zur Wahrung ihrer Interessen als notwendig angesehen wird.

Nebenklage im Jugendstrafrecht und Beteiligung von Angehörigen

Eine Nebenklage ist im Jugendstrafrecht nur in Ausnahmefällen zulässig, was Barbara Petersen bemängelt: "Wenn eine 14-Jährige von einem 16-Jährigen vergewaltigt wird, hat sie in der Regel kein Recht auf Nebenklage, weil diese im Jugendstrafrecht (nach Paragraf 80 JGG) nur in wenigen Fällen zugelassen ist. Begründung für diese gesetzliche Regelung ist, dass im Jugendstrafrecht der Erziehungsgedanke im Vordergrund stehe. Ich finde aber nicht, dass dieser Gedanke mit der Nebenklage kollidiert – im Gegenteil."

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Neben den direkten Geschädigten einer Straftat können auch Angehörige des Opfers, wenn dieses – wie im Fall Niels Högel – durch eine vorsätzliche Straftat getötet wurde, als Nebenkläger auftreten. Hierzu zählen Ehepartner, Lebenspartner, Eltern, Kinder oder Geschwister des Opfers.

Opferschutzgesetz als wichtiger Meilenstein

Die Nebenklage wurde mit der Einführung der Strafprozessordnung am 1. Oktober 1879 gesetzlich verankert und hat seitdem zahlreiche Reformen erfahren. Ein wichtiger Meilenstein war das Erste Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren, das sogenannte Opferschutzgesetz, welches am 18. Dezember 1986 verabschiedet wurde. Dieses erweiterte den Kreis der Nebenklageberechtigten und führte das Recht auf einen Nebenklagevertreter ein. Das bedeutet, dass mehr Opfergruppen die Nebenklage nutzen können und auf Antrag rechtliche Unterstützung durch einen Anwalt erhalten. Weitere Reformen der Opferrechte haben die Rechte der Betroffenen in den folgenden Jahren weiter gestärkt.

Im Jahr 2019 führte die Große Koalition aus Union und SPD eine Reform als Reaktion auf sogenannte "Mammutprozesse" ein, etwa der NSU- oder Loveparade-Prozess mit über 90 beziehungsweise 60 Nebenklägern, die das Verfahren erheblich in die Länge zogen. Ziel der Reform war es, das gerichtliche Strafverfahren zu beschleunigen und zu verbessern. Dabei wurde beschlossen, dass die Vertretung der Nebenkläger durch einen gemeinschaftlichen Nebenklagevertreter gebündelt werden kann. Im Fall Niels Högel wurden beispielsweise fast 100 der 120 Nebenkläger durch die Rechtsanwältin Gaby Lübben vertreten.

"In sehr großen Prozessen wie dem NSU-Verfahren kann eine Bündelung ausnahmsweise sinnvoll sein, aber dies muss jeweils genau geprüft werden", sagt Barbara Petersen. Die Bündelung sei oftmals problematisch, beispielsweise bei Missbrauchsfällen innerhalb einer Familie. "Wenn etwa mehrere Geschwister von demselben Stiefvater missbraucht wurden, ist eine gemeinsame anwaltliche Vertretung oft unangebracht. Die Interessenlage der Geschädigten im Strafverfahren ist häufig sehr unterschiedlich und im Falle einer gemeinsamen Nebenklagevertretung werden durch die Verteidigung immer wieder Vorwürfe vorgebracht, dass es Absprachen oder gar eine 'Verschwörung' gäbe."

Was kostet eine Nebenklage?

Das Erstatten einer Strafanzeige sowie die Erhebung einer Nebenklage sind grundsätzlich kostenfrei. Wer jedoch einen Anwalt beauftragt oder Rechtsmittel einlegt, muss in der Regel selbst für die entstehenden Kosten aufkommen.

In schwerwiegenden Fällen wie Sexual- oder Gewaltdelikten haben Opfer einen Anspruch auf eine kostenlose Nebenklagevertretung, unabhängig vom Einkommen. In anderen Fällen kann Prozesskostenhilfe beantragt werden.

Über die Gesprächspartnerin

  • Barbara Petersen ist eine in Berlin tätige Rechtsanwältin mit den Schwerpunkten Strafrecht und Familienrecht. Im Bereich des Strafrechts übernimmt sie Strafverteidigungen (außer bei Sexualstraftaten) und vertritt Opfer von Straftaten sowohl als Nebenklagevertreterin als auch als Zeugenbeistand.

Verwendete Quellen