Wohl nie wieder wird die Stadt Srebrenica genannt werden können, ohne an den dortigen Völkermord im Juli 1995 zu erinnern. Mehr als 8.000 bosnische Männer und Jungen wurden damals von serbischen Soldaten auf grausame Weise hingerichtet und anschließend vergraben. 25 Jahre später sind viele der Verantwortlichen verurteilt, abgeschlossen sind die Ereignisse aber immer noch nicht.

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Es gilt als das größte Kriegsverbrechen seit Ende des zweiten Weltkrieges, und doch ist vielen Menschen der Genozid von Srebrenica noch immer kein Begriff. Nun jähren sich die Ereignisse in der bosnischen Stadt nahe der serbischen Grenze zum 25. Mal.

Zwar sind die Hauptverantwortlichen inzwischen verurteilt, abgeschlossen und ausreichend aufgearbeitet sind die Geschehnisse in den Augen der Überlebenden trotzdem noch nicht: Weiterhin werden tausende Menschen vermisst und erst im vergangenen Jahr bestritt die serbische Premierministern Ana Brnabić, dass es sich bei dem Massaker um einen Genozid gehandelt habe.

Was ist passiert?

Eigentlich war Srebrenica für seine dicht bewaldeten Berge bekannt, die im Hintergrund der Stadt bis zu etwa 1.000 Metern in die Höhe ragen. Spätestens seit Juli 1995 hat sich das auf traurige Weise geändert. Heute zeigt die Bildersuche bei Google vor allem Massengräber.

Grund dafür ist die dortige Hinrichtung von über 8.000 muslimischen Männern und Jungen durch serbische Soldaten Mitte Juli 1995, die systematisch geplant worden war.

Besonders verstörend: Der Völkermord geschah in Anwesenheit von Blauhelmsoldaten der Vereinten Nationen, die eigentlich Sicherheit vor Ort gewährleisten sollten. Die Leichen der etwa 13- bis 78-jährigen Jungen und Männer wurden anschließend in Massengräbern verscharrt.

Was sind die Hintergründe?

Es ist die Zeit des Zerfalls des Vielvölkerstaates Jugoslawien: Seit Anfang der 1990er Jahre erklärten sich vier der insgesamt sechs Teilrepubliken für unabhängig: Slowenien, Kroatien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina. Übrig bleiben nur Montenegro und Serbien, wo mit Belgrad die damalige jugoslawische Hauptstadt liegt.

Die Unabhängigkeitsbewegungen lösen einen Krieg an mehreren Fronten aus: Einerseits kämpft die jugoslawische Volksarmee gegen die Unabhängigkeitsbewegungen, andererseits entbrennt Streit zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in den einzelnen Republiken.

Vor allem im multi-ethnischen Bosnien und Herzegowina beginnt ein Bürgerkrieg zu toben: Soll das Land zu einem unabhängigen Staat werden oder sich mit Serbien oder Kroatien vereinigen?

Die drei größten Volksgruppen sind unterschiedlicher Meinung. Spannungen zwischen den bosnischen Serben, die laut einer Volkszählung des Jahres 1981 etwa 32 Prozent ausmachen und einen Anschluss an Serbien fordern, den bosnischen Kroaten (18,4 Prozent), die sich mit Kroatien vereinigen wollen und dem muslimischen Bevölkerungsanteil (39,5 Prozent), der eine Unabhängigkeit befürwortet, sind die Folge.

Als die beiden letztgenannten Gruppen 1992 in einem Referendum für die Abspaltung vom übrig gebliebenen Rumpf-Jugoslawien stimmten, eskaliert die Situation weiter.

Welche Rolle spielt Srebrenica?

Serbische Nationalisten reagieren und kontrollieren schnell mehr als Zweidrittel von Bosnien und Herzegowina. Bei den folgenden Ereignissen spielen vor allem Ratko Mladić, der Militärchef der bosnisch-serbischen Einheiten und Radovan Karadžić, der politische Führer der bosnischen Serben, die Hauptrolle. Unter ihrer Führung werden Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen vertrieben, Unterstützung finden sie bei dem Präsidenten der serbischen Republik, Slobodan Milošević.

Hier rückt Srebrenica in den Fokus: Die Stadt wird, vor allem für bosnische Muslime, zur Zufluchtsstätte, tausende Flüchtlinge strömen in den Osten Bosniens. Die Vereinten Nationen erklären die Stadt zur UNO-Sicherheitszone, zur sogenannten "safe area“. Niederländische Truppen sollen vor Ort für Sicherheit sorgen, doch das Mandat und die Ausrüstung der 350 stationierten UN-Soldaten reicht nicht aus.

Wie kam es zum Genozid?

So kommt es, dass die UN-Soldaten keine Gegenwehr leisten können, als bosnisch-serbische Truppen am 11. Juli Srebrenica einnehmen. Fahrzeuge werden ihnen mit Waffengewalt abgenommen.

Viele Menschen versuchen sich in das sechs Kilometer entfernte Dorf Potočari zu retten. Hier befindet sich auf dem ehemaligen Gelände einer Batteriefabrik eine UN-Basis. Doch schnell drängen sich dort fast 25.000 Menschen, Nahrung und Wasser werden knapp und die serbisch-bosnischen Einheiten beginnen von Srebrenica nach Potočari vorzurücken.

Dort beginnen die Soldaten in den folgenden Tagen Frauen und Männer zu trennen – vorgeblich, weil sie nach Kriegsverbrechern suchen. Die Frauen transportieren sie mit Kindern bis kurz vor bosnisch-muslimisch kontrolliertes Gebiet, die Männer werden in die ostbosnische Stadt Bratunac gebracht und in verschiedenen Gebäuden interniert. Nahrung und Wasser werden ihnen verweigert. Dort und in der umliegenden Region exekutieren Soldaten sie einzeln oder in Kleingruppen. Die meisten sterben in sorgfältig geplanten und durchgeführten Massenexekutionen, die bis zum 17. Juli stattfanden.

Was geschah im Anschluss?

Die Täter vergraben die tausenden Leichen mit schwerem Erdräumgerät an den Exekutionsplätzen und im Umkreis. Im Verlauf der nächsten Wochen öffnen sie einige Gräber jedoch erneut und verteilen die menschlichen Überreste zur Verschleierung des Massenmordes auf andere Gebiete. Seit 2003 erinnert ein Gedenkfriedhof in Potočari mit mehreren tausend Opfern an die Geschehnisse.

Bis die Taten gesühnt wurden vergeht viel Zeit: Zwar befasst sich der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien seit Mitte der 1990er-Jahre mit den Kriegsverbrechen und Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht, doch erst Ende 2017 wurde Armeebefehlshaber Mladić wegen Völkermord zu lebenslanger Haft verurteilt, Karadžić im März 2019. Zuvor hatten mehr als 1.000 Zeugen zu den Verbrechen in Srebrenica ausgesagt. Präsident Milošević starb noch bevor ein Urteil gefällt werden konnte.

Auch von der umfassenden Anerkennung als Genozid ist das Massaker von Srbrenica noch weit entfernt. Das Internationale Jugoslawien-Tribunal und auch der Internationale Gerichtshof haben das Massaker bereits als Genozid bewertet. In Teilen Serbiens aber werden Anführer und Generäle wie Mladić und Karadžić noch heute als Helden verehrt, die Resolution zur Einstufung als Völkermord im UN-Sicherheitsrat scheiterte am Veto Russlands.

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