Bewohner zahlen geringe Steuern, anstelle des Staates regiert ein Unternehmen und Einwohner sind Kunden, keine Bürger. Privatstädte sind neue kapitalistisch orientierte Mikrostaaten innerhalb eines Staates mit eigenen Regeln. Ihr Konzept ist umstritten, weil es als undemokratisch gilt und sozial nicht gerecht. Allen Kritikern zum Trotz entsteht in Honduras nun ein solches Projekt.

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Das Konzept von Privatstädten ist schnell erklärt: Ihr Tun und ihre Ziele richten sich am Profit aus. Das Gebiet, auf dem sie errichtet werden, gehört einem oder mehreren Privatunternehmen. Grundlage des Handelns und Lebens bestimmen Gesetze, die die besitzenden Unternehmen selbst erlassen.

Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheitswesen, Polizei, Justiz, Medien, Versicherungen sind – wie der Name schon sagt – privat von den Einwohnern zu bezahlen. Um dort zu wohnen, muss ein Vertrag unterzeichnet und regelmäßig eine Aufenthaltsgebühr entrichtet werden.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Staaten finden in Privatstädten kaum bis keine demokratischen Abstimmungen statt. Medien sind – das liegt ebenfalls in der Natur der Sache – privatisiert. "Es wird weder öffentlich diskutiert noch demokratisch über etwas abgestimmt. Stattdessen stimmt das Geld ab", erläutert Andreas Kemper, Autor des Buches "Privatstädte. Labore für einen neuen Manchesterkapitalismus".

"Da in Privatstädten nur ganz geringe Gebühren erhoben werden, gibt es keine Umverteilung. Bildung, Sicherheit und Co. sind nicht für jedermann zu haben, sondern müssen gekauft werden. Deshalb schließen Privatstädte Menschen aus, die wenig oder kein Geld haben, wie Kranke und Alleinerziehende."

Erste Privatstadt der Welt in der Karibik

Zwar sollen die Einwohner des Hochglanzprojekts Prospera auf der honduranischen Karibikinsel Roatán zwei Drittel des Stadtrates selbst wählen können, sobald dort 10.000 Menschen leben. Medien mit Presseausweisen erhalten freien Zugang. Und Arbeitgeber zahlen in einen Fonds für Sozialleistungen ein.

Wie gut das abgemilderte Konzept einer Privatstadt in der Realität aber tatsächlich ankommt, wird sich erst in Kürze zeigen.

In zwei Monaten, sagt Chris Wilson, Chief Marketing Officer bei Próspera, soll der erste Wohnturm von Duna Towers eröffnet werden, der über 80 Wohnungen beherbergt. Im Sommer kommen mit den Pristine Heights weitere Luxuswohnungen hinzu. Ende 2023 erwartet Próspera dann den Startschuss für das Wohnprojekt Beyabu der Star-Architektin Zaha Hadid, die unter anderem auch die beeindruckende Promenade im Hamburger Hafen entwarf.

Eine Oase für Reiche

Das klingt nach einer neuen Oase für Reiche, sagt Andreas Kemper. Er sieht vor allem die Rechte ärmerer Menschen vor Ort in Gefahr. "Man will hier ein neues Monaco oder Liechtenstein werden, eine neue Steueroase für die, die sehr viel Geld haben. Doch welche Rechte haben die, die Klos putzen in der Stadt für Reiche? Der Chef von Zaha Hadid Architects, Patrik Schumacher, sprach sich öffentlich gegen Arbeiterrechte und für eine 'Radikalisierung des Neoliberalismus' aus."

Der Ansicht, die neue Privatstadt sei ein Ort für besonders Wohlhabende, widerspricht Chris Wilson. Zwar "genießen die Einwohner einige der wettbewerbsfähigsten Steuersätze der Welt. Dennoch sind wir keine Enklave für Menschen mit einem bestimmten Wohlstand oder einer bestimmten Ideologie." Für Chris Wilson ist Próspera unpolitisch.

"Wir wollen politisch neutrale Gerichtsbarkeiten schaffen, die sich auf wirtschaftliches Wachstum und menschliches Wohlergehen konzentrieren, nicht auf politische Machtspiele. Deshalb bauen wir auch Wohnmöglichkeiten, die das gesamte Einkommensspektrum abdecken.“

Eine Aufenthaltserlaubnis gibt es ab 130 US-Dollar

Vor Ort in Próspera zu leben, kostet für Nicht-Honduraner jährlich 1.300 US-Dollar, für Honduraner gilt eine reduzierte Gebühr in Höhe von 260 US-Dollar. Ebenso ist eine digitale Einwohnerschaft möglich, die sogenannte "eResidency". Ohne ständig vor Ort zu leben, darf man in Próspera für 130 US-Dollar im Jahr etwa Immobilien kaufen, pachten und verkaufen.

Die steuerlichen Abgaben für die Bewohner sind gering: Einwohner zahlen pauschal fünf Prozent des Bruttoeinkommens, Unternehmen ein Prozent. Die Mehrwertsteuer für den Einzelhandel beträgt 2,5 Prozent. Mit den Gebühren wird der Betrieb der Privatstadt langfristig finanziert, das dem US-amerikanischem Unternehmen Honduras Próspera gehört und vom Investment-Fond Pronomos Capital finanziert wird.

Inspirieren ließen sich die Gründer von Próspera von Städten wie Hongkong: Próspera ist ebenfalls ein Stadtstaat mit politischer und wirtschaftlicher Autonomie.

"Unser Verhältnis ist ähnlich dem zwischen Hongkong und China. Es hat sich gezeigt, dass derartige Sonderwirtschaftszonen ausländische Investitionen und den Wohlstand auf breiter Ebene kräftig ankurbeln und das Wohlergehen aller Bürger verbessern. Próspera baut auf diesem Erbe in Honduras auf", erläutert Chris Wilson.

Interessant für hoch regulierte Branchen

Besonders Unternehmen, deren Branchen in den USA und der EU stark reguliert sind, eröffnen derzeit Büros in Próspera. Über 100 Firmen haben sich bereits dort niedergelassen. Ein Beispiel dafür ist das Biotechnologieunternehmen Minicircle. Das Start-up entwickelt umstrittene Gentherapien und gründete jüngst eine Dependance auf der Karibikinsel.

Chris Wilson begründet das in der unternehmensfreundlichen Ausrichtung seiner Privatstadt: "Sonderwirtschaftszonen wie Próspera, die auf Innovation ausgerichtet sind und eine unternehmensfreundliche Politik verfolgen, können Fortschritte in der Biotechnologie, der Finanztechnologie oder anderen Branchen ermöglichen, die weltweit hoch reguliert sind. Wir stehen für weniger Bürokratie, weniger Kosten und weniger Verzögerungen, die der Entwicklung dieser Branchen im Wege stehen können."

Ausgang ungewiss: Honduras will Próspera verbieten

Ob das umstrittene Profit-Projekt auf der traumhaften Karibikinsel tatsächlich wie geplant in Kürze durchstarten kann, steht allerdings in diesen Tagen in den Sternen. Denn die seit letztem Jahr gewählte Regierung von Honduras möchte Próspera verbieten. Ihr Vorwurf: Die Genehmigung durch die frühere Regierung sei verfassungswidrig.

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Dagegen klagt die Privatstadt nun. Ihre Forderung an die honduranische Regierung: Schadensersatz in Höhe von 10,77 Milliarden US-Dollar. Das entspricht mehr als einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts von Honduras.

Tatsächlich hat Próspera ein gewichtiges Argument in der Tasche: Honduras hätte der Privatstadt für mindestens 50 Jahre Rechtssicherheit garantiert. Die Klage liegt nun bei einem internationalen Schiedsgericht, das Urteil hierzu steht aus.

Über die Gesprächspartner:
Andreas Kemper ist Soziologe und deutscher Publizist. Er veröffentlichte unter anderem das Buch "Privatstädte. Labore für einen neuen Manchesterkapitalismus".
Chris Wilson ist Chief Marketing Officer bei Próspera.

Verwendete Quellen:

  • amerika21.de: Privatstadt Próspera verklagt Honduras auf 10,77 Milliarden US-Dollar
  • technologyreview.com: This biohacking company is using a crypto city to test controversial gene therapies
  • zeit.de: "Der Neoliberalismus muss jetzt radikalisiert werden"
  • eprospera.hn: Residency
  • pzgps.hn: services
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