- Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind bei der Städteplanung längst ausschlaggebende Faktoren.
- Nun liegt ein neues Konzept im Trend: Die Idee der 15-Minuten-Stadt.
- Statt Ausbau von Wegen setzt die 15-Minuten-Stadt auf Wegeverkürzung – alles soll in einer Viertelstunde zu Fuß oder per Fahrrad erreichbar sein. Ist das realistisch oder sind die Hürden zu hoch?
Paris macht es schon vor, auch Wien, Berlin und Hamburg haben sich das Ziel gesetzt: Zur 15-Minuten-Stadt zu werden. Damit folgen die Städte einem Trend, der weltweit immer mehr Anhänger findet. Kernidee: Jeder Einwohner und jede Einwohnerin soll von seinem oder ihrem Wohnort aus innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad alle täglichen Bedarfe decken können – von Arbeitsplatz und Einkauf über Kindergarten, Arztbesuch und Kultur bis hin zu Sport, Freizeit und Erholung im Grünen.
Vordenker der "15-Minuten-Stadt" ist Smart-City-Experte Carlos Moreno, der an der Pariser Sorbonne-Universität lehrt. Das Auto will der Wissenschaftler mit seinem Konzept ersetzbar machen und dabei gleichzeitig die Lebensqualität steigern.
Alternative zur autogerechten Stadt
"Sein Konzept ist ein Alternativmodell zur autogerechten Stadt der Moderne mit ihrer Funktionstrennung", erklärt Stadtgeographin Uta Hohn. Heutige Städte seien immer noch durch eine Trennung von Wohn-, Versorgungs- und Arbeitsgebieten gekennzeichnet, auch wenn die Stadtplanung nun schon seit mehr als 30 Jahren auf nachhaltige Konzepte der Funktionsmischung setze. "Durch die Funktionstrennung sind lange Pendelzeiten entstanden", so die Expertin. Erst werde das Kind morgens mit dem Auto in den Kindergarten gefahren, dann der Arbeitsplatz angesteuert. Auch der Einkauf werde häufig mit dem Auto erledigt – anstatt zu Fuß oder mit dem Fahrrad vom Wohnort aus.
"Anstelle Lebenszeit im Stau zu verschwenden und dabei gleichzeitig die Umwelt zu verschmutzen, bestimmt bei der "15-Minuten-Stadt" der Mensch als Fußgänger und Radfahrer den Rhythmus der Stadt", sagt Hohn. Ein Stadtteil, in dem Arbeitsplatz, Arztpraxis, Supermarkt und Parkanlage innerhalb von 15 Minuten erreichbar seien, biete viele Vorteile. "Das ist nicht nur kind-, senioren-, familien- und behindertengerecht, sondern auch gesünder." Zudem erleichtere es Begegnung und Partizipation, so die Expertin.
Realisierbarkeit zweifelhaft
Mit Blick auf die Realisierbarkeit der "15-Minuten-Stadt“ könnte das Konzept aus Sicht von Hohn aber schnell desillusioniert werden. "Unsere heutigen Lebensstile sind multilokal, nicht jeder Arbeitsplatz kann in 15 Minuten erreicht werden und wir verbringen auch unsere Freizeit nicht nur im Nahraum des Quartiers“, sagt sie.
Gleichzeitig erwartet die Wissenschaftlerin Konflikte, wenn die Bereitschaft zum Verzicht auf Autos gefordert wird. "Wenn alle Menschen das Fahrrad, den ÖPNV und Car-Sharing nutzen würden, kann man sich leicht eine autofreie "15-Minuten-Stadt“ erträumen", sagt Hohn. Das entspreche aber noch nicht der Realität. Wenn Städte entsprechend des 15-Minuten-Konzepts umgestaltet werden sollen, erfordere das außerdem eine Menge an Ressourcen. In durchmischten innerstädtischen Quartieren sei das Konzept leichter umsetzbar als in Einfamilienhausgebieten am Stadtrand. Es eigne sich vor allem als Leitbild für eine nachhaltige, resiliente Stadtteilentwicklung im Bestand und für den Neubau von Stadtquartieren auf Brachflächen.
Anschub durch Pandemie
Durch die Pandemie und den damit verbundenen Trend zum Home-Office sowie die Digitalisierung sieht Hohn neue Chancen für die Stadt der kurzen Wege, für die in der Stadtplanung schon seit den 1990er Jahren plädiert wird: "Durch die Digitalisierung nimmt die Notwendigkeit, weite Distanzen zu überbrücken, ab. Das gilt zum Beispiel für berufliche Meetings und Konferenzen oder für Bildungsveranstaltungen im Hybridformat, aber auch für den Online-Handel", sagt Hohn.
Zwar werde es nach der Pandemie wieder deutlich mehr Begegnungen und Veranstaltungen in Präsenz mit der Notwendigkeit, größere räumliche Distanzen zu überwinden, geben, der Nahraum habe aber an Bedeutung gewonnen und werde weiter profitieren.
Hamburg macht schon mit
Neuen Schub hat die "15-Minuten-Stadt" auch durch die Pariser Bürgermeisterin und Präsidentschaftskandidatin Anne Hidalgo bekommen. Sie machte das Konzept zum Kernstück ihrer Wahlkampagne in Paris.
Hamburg hat sich das Modell ebenfalls bereits als Vorbild gesetzt – will etwa den ÖPNV so schnell takten, dass kein Fahrplan mehr nötig ist und das Auto überflüssig wird. Auf der Website "15-minuten-stadt.de" lassen sich auf einer Karte Wohnorte bereits hinsichtlich ihrer Mobilität bewerten. Städte wie Aachen, Frankfurt und Essen sind dabei bereits grün gefärbt. Je weiter man das Stadtzentrum aber verlässt und die Randregionen betrachtet, desto schlechter wird die Mobilität beurteilt.
Expertin: Konzept "nicht ausgereift"
Hohn hält das Konzept insgesamt jedoch für nicht ausgereift. "Eine Mobilitätswende im Stadtteil kann nicht losgelöst von der Region gedacht werden. Der 15-Minuten-Stadtteil muss in eine Stadt und eine Region der kurzen Wege eingebettet sein. Das setzt die Einbindung in dichte und leistungsstarke ÖPNV- und Radwegenetze voraus", sagt sie. Erst durch eine Vernetzung mehrerer Ebenen könne man dem Vorwurf, eine "15-Minuten-Stadt" fördere die Verinselung der Stadtteile oder "Verdorfung der Stadt“, angemessen begegnen.
Volker Steude zählt zu den Anhängern der "15-Minuten-Stadt". Der Lokalpolitiker will seine Heimatstadt Bochum zur Stadt der kurzen Wege umbauen. Er gibt zu: "Das bleibt natürlich ein Idealbild und ist sicher eine Aufgabe für die kommenden Jahrzehnte."
Dennoch sei es in Sachen Klimaschutz sinnvoller, das, was man brauche, in die Stadt zurückzuholen, anstatt immer nur neue und bessere Verkehrswege zu schaffen, um die Bedarfe außerhalb des Quartiers zu decken.
"Einen schnell getakteten und gut vernetzten öffentlichen Nahverkehr stampft man nicht einfach so aus dem Boden. Da erscheint es einfacher, wenn die Menschen erst gar nicht so weit fahren müssen", sagt er.
Arbeitsplatz ist größte Hürde
Um die Stadtteilzentren zu stärken, müsse man fragen: "Was fehlt, warum ist es nicht dort und wie holen wir es zurück?". Anstelle der Überlegung, eine weitere Autobahnspur auszubauen, solle man fragen: "Warum fahren die Menschen überhaupt so weit?".
Auch aus Sicht von Steude stellt die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes dabei die größte Herausforderung für das Planungskonzept dar. "Man kann als Pendler natürlich nicht einfach den Job wechseln oder einen Industriebetrieb im Wohngebiet ansiedeln", gibt er zu Bedenken.
Es gäbe zwar reine Gewerbegebiete, wo der Bebauungsplan nichts anderes zulasse, aber in Gebieten mit kleinen Betrieben, die keinen Lärm verursachten, könne man Arbeiten und Wohnen intelligenter miteinander verknüpfen.
"Ansonsten müssen Städte für Pendler Verkehrswege zur Verfügung stellen, ohne von ihnen als Bewohnerinnen und Bewohnern in Form etwa von Steuern zu profitieren", erinnert Steude. Unternehmen müssten dafür bei der Stadtplanung mit ins Boot geholt werden. Den größten Teil des Verkehrs hält Steude dann für abbaubar.
Neue Nutzung von Räumen
"Es ist ein Gewöhnungsprozess, dass vieles wieder vor Ort stattfinden kann und eine Gemeinschaft im Stadtteilzentrum muss sich erst entwickeln", sagt er. Den Zugewinn an Lebensqualität müsse man den Menschen erst erlebbar machen.
Durch das "15-Minuten-Konzept" ergeben sich aus Sicht der Anhänger neue Chancen für die Raumnutzung. Anstatt Gebäude über große Strecken des Tages leerstehen zu lassen, sollen sie neue Aktivitäten beherbergen. Schulen könnten so an Wochenenden zum Beispiel für Sprachkurse genutzt werden, stillgelegte Gebäude als Co-Working-Spaces, Cafés an Abenden für Trommelkurse, öffentliche Gebäude für kulturelle Veranstaltungen oder Sporthallen als Diskotheken.
Verwendete Quellen:
- Interview mit Prof. Dr. Uta Hohn
- Interview mit Dr. Volker Steude
- Projektwebsite 15-Minuten-Stadt
- Die Stadtgestalter: Sollte Bochum zur 15-Minuten-Stadt werden? 10.Januar 2021
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