Noch drei Tage stehen im Prozess gegen Oscar Pistorius an: Der Ausgang ist immer noch ungewiss. Auch heute wurden wieder mehrere Zeugen zum Tod von Reeva Steenkamp befragt. Die drängendste Frage bleibt weiterhin offen: Hat der Sprintstar seine Freundin mit Absicht oder aus Versehen erschossen?

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Um 9:30 Uhr beginnt der Prozess mit der Vernehmung des Ballistikexperten Tom Wolmarans. Er beschäftigt sich in seiner Aussage nochmals mit den Einschusslöchern an der Badtür, ordnet die Einschläge den Wunden am Körper zu. Die Treffer an Steenkamps Kopf legen nahe, dass sie nicht gestanden haben kann, als sie getroffen wurde. Oscar Pistorius‘ Verteidiger Barry Roux hakt immer wieder beim Experten wegen Details nach, schließlich beendet er die Befragung.

Ankläger Gerrie Nel übernimmt die Befragung

Nach einer Unterbrechung geht der Prozess um 11 Uhr weiter. Polizeiexperte Christiaan Mangena hat eine eindrucksvolle Laseranlage im Gericht aufbauen lassen. Ankläger Gerrie Nel will die Schusskanäle mit den Einschlägen vergleichen und erläutern. Richterin Thokozile Masipa und Verteidiger Roux schauen sich den nachgebauten Tatort an. Nach einer kurzen Inspektion beginnt Nel schließlich mit der Befragung von Wolmarans.

Gleich zieht er die Daumenschrauben an: Er will wissen, wann der Experte seinen Bericht fertiggestellt hat und ob er im Gericht anwesend war, als die anderen Zeugen ausgesagt haben. Der Verdacht, der im Raum liegt: Wolmarans hat seinen Bericht erst nach den anderen Aussagen geschrieben. Der Zeuge kommt ins Wanken – beruft sich auf Erinnerungslücken und sein schlechtes Englisch. Allerdings gibt er unter Eid an, niemals Berichte auf Anfrage der Verteidigung abgeändert zu haben.

Schließlich wird es ernst. Nel ist erzürnt, dass Wolmarans in der Befragung erwähnt, dass sich Pistorius übergeben hat: "Sie sind parteiisch!" – die klare Antwort: "Nein." Dann geht der Ankläger in die Vollen, will wissen, ob Wolmarans Beweise vor Gericht bereits einmal abgewiesen wurden. Wolmarans fühlt sich angegriffen, regiert wie ein beleidigtes Kind und packt die gesamte Geschichte des zugrunde liegenden Falls aus. Nel hat anscheinend sein Ziel erreicht und bringt den Experten mit einer konkreten Frage zum Pistorius-Fall wieder auf Kurs.

Glaubwürdigkeit von Wolmarans ist angegriffen

Nachdem sich Nel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen abgearbeitet hat, wendet er sich der Interpretation des Tathergangs nach. Konkret geht es um die Schussfolge und Wolmarans Sicht auf den Ablauf der Tat. Dazu stellt sich der Experte in die Toilette, die Richterin kann ihn nicht sehen: "Ich stehe jetzt in der Toilette", sagt der Zeuge – Gelächter im Saal. Seinen Punkt kann Wolmarans aus Nels Sicht nicht deutlich machen. Der Raum, der in der Toilette zur Verfügung steht, ist für ein Unfall-Szenario zu klein, so der Ankläger.

Der Experte wiederholt seine Beurteilung: Steenkamp saß demnach nicht auf der Toilette, sie muss nach dem ersten Schuss in die Hüfte nach hinten gefallen seien. Während des Falls wurde sie dann in den oberen rechten Arm und im Kopf getroffen. Das sieht der Ankläger anders: Er will darauf hinaus, dass Steenkamp die Kopfwunde erlitt, als sie bereits am Boden lag. Das würde für den Mordvorwurf der Staatsanwaltschaft sprechen. Nach weiteren Ausführungen bittet Nel das Gericht um eine Unterbrechung für die Mittagspause.

Waffe im Fokus des Kreuzverhörs

Um 13:40 Uhr wird der Prozess fortgesetzt. Nel befragt Wolmarans nun zur abgefeuerten Waffe. Welche Flugbahnen hatten die einzelnen Kugeln? Immer wieder vergleicht der Ankläger die Version Wolmaran mit der von Mangena. Der Zeuge bleibt bei seiner Darstellung der Vorgänge in dieser Nacht, betont aber, dass beide Versionen lediglich Möglichkeiten des Tathergangs seien. Allerdings lässt Nel den Experten nicht so leicht von der Leine. Nun stellt sich heraus, dass Wolmarans den unberührten Tatort nie gesehen hat. Das lässt der Ankläger dem Zeugen nicht so einfach durchgehen, nagelt ihn auf diese Aussage fest und stellt die Glaubhaftigkeit seiner Untersuchung infrage. Auch die Schusstests überzeugen Nel nicht.

Damit beantragt er die Vertagung und der Verhandlungstag geht zu Ende. Erneut ist es dem Ankläger gelungen einen wichtigen Zeugen der Verteidigung zu demontieren. Nel konnte die Glaubwürdigkeit von Wolmaran untergraben, immer wieder flüchtete sich der Experte in Erinnerungslücken. Besonders schwer wiegt der Vorwurf, dass der Bericht erst nach anderen Zeugenaussagen vollendet wurde. Nun wird es für Pistorius' Verteidigung wirklich schwierig. Ein "Wunderzeuge", von dem Medien im Vorfeld des Verhandlungstages berichtet hatten, war Wolmaran definitiv nicht. Vielleicht bringen die letzten Prozessstunden noch die Wende. Es wird eng für Oscar Pistorius.

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