"Wer bin ich, dass ich urteile?" Papst Franziskus hat mit seinen Worten die Hoffnungen auf einen neuen Umgang mit Homosexualität in der katholischen Kirche beflügelt. Die Kirchenreformer in Deutschland und der Vatikan-Kenner David Berger sind jedoch skeptisch, ob sich im Vatikan auch inhaltlich etwas an der Haltung gegenüber Schwulen und Lesben ändern wird.
"Wenn jemand Gott mit gutem Willen sucht, wer bin ich, dass ich urteile?" So antwortete
Christian Weisner von der Bewegung "Wir sind Kirche" äußert sich vorsichtig optimistisch: "Es kann so etwas wie ein Türöffner sein." Er erhofft sich von dem neuen Papst mehr Respekt für Homosexuelle. "Die Diskriminierung muss aufhören", sagt Weisner. Auch für schwule Priester wäre es eine große Erleichterung, wenn sie keine Angst mehr vor einer Entdeckung haben müssten. In Franziskus sieht Weisner einen Kirchenführer, dessen Botschaften mehr Dialog zwischen Gesellschaft und Kirche und Inklusion aller gesellschaftlichen Gruppen bedeuten könnte.
Was Diskriminierung bedeutet, hat David Berger selbst erlebt. Er arbeitete früher als katholischer Theologe und schrieb einen Bestseller über sein Leben als Homosexueller in der Kirche ("Der heilige Schein"). Sein eigenes Outing nennt er einen "Befreiungsvorgang". Jahrelang sei er von der Kirche wegen seiner Veranlagung unter Druck gesetzt worden. Heute arbeitet der 45-Jährige als Chefredakteur beim Schwulenmagazin "Männer".
Was denken Sie über die Worte von Papst Franziskus?
David Berger: Ich habe mich gefreut, dass sich der Ton geändert hat. Bei seinem Vorgänger Benedikt schwang bei seinen Aussagen zu dem Thema immer ein neurotischer Schwulen-Hass mit. Es ist schön, dass nun etwas Freundliches dazu gesagt wird. Allerdings hat sich an der kirchlichen Lehre nichts geändert: Ein homosexueller Mensch ist zu akzeptieren, aber wer seine Veranlagung ausübt, ist immer noch ein Sünder. Das diskriminiert weiter Homosexuelle. Darum kann ich den Jubel, der jetzt ausgebrochen ist, nicht ganz verstehen.
Glauben Sie, dass sich die Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität ändern wird?
David Berger: Man geht jetzt im Ton freundlicher miteinander um. Aber die Strukturen, die in den letzten 20 Jahren aufgebaut wurden, sind viel zu homophob.
Sie behaupten, jeder zweite Priester ist schwul.
David Berger: Das sage nicht nur ich, das geht auch aus zwei Studien aus den USA und den Niederlanden hervor, die von einem Anteil zwischen 30 bis 60 Prozent ausgehen. Das ist weit über dem gesellschaftlichen Durchschnitt. Nach meiner Erfahrung gibt es in der Kirche und im Vatikan überdimensional viele Homosexuelle.
Gibt es auch eine Schwulenlobby, wie von Papst Franziskus und italienischen Medien spekuliert wird?
David Berger: Ich würde es nicht als Schwulenlobby bezeichnen, sondern eher als Netzwerk von schwulen Priestern. Das Netzwerk ist vor allem dazu da, sie mit Sex zu versorgen. Ich habe selbst mitbekommen, dass es auf dem Monte Mario eine Wohnung nur für Sex-Dates gab.
Warum kämpfen die schwulen Priester nicht für mehr Akzeptanz in der Kirche?
David Berger: Sie haben alles andere im Sinn, als die Kirche zu verändern. Die meisten schwulen Priester sind besonders papsttreu und loyal gegenüber der Kirche. Viele leiden aber auch unter ihrer homosexuellen Veranlagung und flüchten sich in Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit. Manche bekommen Depressionen bis hin zu Selbstmordgedanken. Andere haben sich mit der Situation abgefunden, da sie abgesichert sind und Angst haben, ihren Job zu verlieren. Es gibt sogar Priester, die ihre Homosexualität sublimieren, indem sie sich in eine besondere Frömmigkeit reinsteigern.
Sie haben nach Ihrem Outing Morddrohungen erhalten. Gleichzeitig gibt es aber auch eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung zu Homosexuellenrechten. Glauben Sie, dass das Thema die Kirche spalten könnte?
David Berger: Nicht das Thema allein, sondern ganz viele Themen spalten die Kirche, wie Sex vor der Ehe oder auch die Rolle der Frau. Das ist ja noch wichtiger, weil es viel mehr Menschen betrifft.
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