• Mehr als 200 Millionen Mädchen und Frauen sind weltweit beschnitten, fast 75.000 leben in Deutschland, in Österreich sind es Schätzungen zufolge rund 8.000.
  • Weibliche Genitalverstümmelung gilt als schwere Menschenrechtsverletzung.
  • Betroffene leiden oft ihr Leben lang unter den körperlichen und psychischen Folgen.

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Weibliche Genitalverstümmelung (englisch: female genital mutilation, kurz FGM) wird weitaus häufiger praktiziert als vielen bewusst ist. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass weltweit mehr als 200 Millionen Mädchen und Frauen beschnitten sind. In Deutschland sollen laut der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes fast 75.000 Betroffene leben. In Österreich sollen Schätzungen zufolge rund 8.000 Frauen und Mädchen betroffen sein, das Schweizer Bundesamt für Gesundheit geht davon aus, dass 22.400 Frauen im Land entweder bereits verstümmelt oder zumindest der Gefahr ausgesetzt sind. Die weibliche Genitalverstümmelung gilt als schwere Menschenrechtsverletzung.

In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist die weibliche Genitalverstümmelung verboten, ebenso wie in 26 Ländern Afrikas und des Nahen Ostens sowie in 32 weiteren Ländern mit Migrationsbevölkerung. Dennoch werden jährlich etwa drei Millionen Mädchen verstümmelt. Die meisten von ihnen sind unter 15 Jahre alt, einige werden bereits im Säuglingsalter beschnitten. Verbreitet ist FGM vor allem in den westlichen, östlichen und nordöstlichen Regionen Afrikas sowie in einigen Ländern des Nahen Ostens und Asiens. Allein in Afrika gibt es 30 Länder, in denen FGM durchgeführt wird.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert vier Formen der weiblichen Genitalverstümmelung:

Typ I – Entfernung oder Verletzung der Klitoris und/oder Klitorisvorhaut

Typ II – zusätzlich zu Typ I werden die inneren Schamlippen gekürzt oder komplett entfernt

Typ III – das komplette äußere Genital wird entfernt und bis auf ein kleines Loch zugenäht

Typ IV – alle anderen schädigenden Eingriffe an den weiblichen Genitalien zu nichtmedizinischen Zwecken, zum Beispiel Stechen, Piercen oder Einschneiden

In ländlichen Gebieten werden die jungen Frauen immer noch häufig mit nicht sterilisierten, meist schmutzigen Messern, Glasscherben oder Rasierklingen beschnitten. In den meisten Fällen ohne Betäubung. Allerdings wird der Eingriff auch zunehmend unter Narkose in Gesundheitseinrichtungen vorgenommen.

Ein Viertel der Frauen stirbt nach der Beschneidung

Laut Terre de Femmes sterben etwa 25 Prozent der betroffenen Mädchen und Frauen entweder während der Genitalverstümmelung oder an dessen Folgen. Je nach Typ und Praktik können verschiedene Komplikationen auftreten, unter anderem Blutverlust, Infektionen (zum Beispiel HIV/AIDS), Wucherungen und Fistelbildung. Viele leiden ihr Leben lang unter chronischen Schmerzen und Inkontinenz; häufig haben die Frauen Schwierigkeiten beim Urinieren und Menstruieren. Auch kommt es häufig zu Unfruchtbarkeit, dem Verlust der Libido oder einem hohen Geburtsrisiko für Mutter und Kind. Zu den körperlichen Folgen der Verstümmelung können außerdem psychische kommen, beispielsweise Ängste, Traumata, Schlaflosigkeit, Konzentrationsschwäche und Depressionen.

Nur eine beschnittene Frau gilt als reine Frau

Doch warum wird diese Praxis überhaupt angewandt? "FGM ist eine uralte Tradition in den jeweiligen Ländern", erklärt Dr. Cornelia Strunz, Oberärztin am Berliner Krankenhaus Waldfriede und ärztliche Koordinatorin am Desert Flower Center, einem ganzheitlichen Zentrum für betroffene Frauen. "Nur eine beschnittene Frau gilt als reine Frau. Ein unbeschnittenes Mädchen wird hingegen sozial nicht anerkannt."

Die Gründe, warum weibliche Genitalverstümmelungen durchgeführt werden, variieren von einer Region zur anderen und umfassen eine Mischung aus soziokulturellen Faktoren innerhalb von Familien und Gemeinschaften. Die am häufigsten angeführten Gründe sind: sozialer Druck, ein höheres Brautgeld und bessere Heiratschancen, kulturelle Ideale von Weiblichkeit und Bescheidenheit und medizinische Mythen.

Die Genitalverstümmelung zielt auch darauf ab, voreheliche Jungfräulichkeit und eheliche Treue sicherzustellen. FGM wird oft als notwendiger Teil der Erziehung eines Mädchens angesehen und als Vorbereitung auf das Erwachsensein und die Ehe. In vielen Gemeinschaften wird angenommen, dass FGM die Libido einer Frau reduziert und ihr daher hilft, außerehelichen sexuellen Handlungen zu widerstehen.

Der Ritus ist jedoch nicht religiös, denn er wurde bereits vor der Entstehung des Christentums und des Islams gepflegt. "Ökonomische Abhängigkeit und fehlende Aufklärung insbesondere in ländlichen Regionen führen dazu, dass diese Tradition bis heute Bestand hat", so die Fachärztin für Chirurgie weiter. "Ist Beschneidung in einer Region üblich, wird sie selten infrage gestellt."

Öffentlichkeit muss für das Thema sensibilisiert werden

Gegen FGM hilft vor allem Aufklärung. Deswegen hat die Chirurgin gemeinsam mit Dr. Roland Scherer, ärztlicher Leiter des Desert Flower Centers, und Dr. Uwe von Fritschen, Chefarzt der Abteilung für Plastische und Ästhetische Chirurgie im Helios Klinikum Emil von Behring, auch das erste deutsche Fachbuch zu weiblicher Genitalverstümmelung mit herausgegeben.

"Unser Ziel war es, unsere Erfahrungen mit diesem komplexen Thema zu teilen und Hilfestellungen für alle Professionen zu geben, die bei der Bewältigung der vielschichtigen Probleme beschnittener Frauen helfen können", so Strunz. "Da die Anzahl der Frauen mit Genitalverstümmelung infolge von Migration und Globalisierung auch in Deutschland zunimmt, werden viele Berufsgruppen hiermit konfrontiert, ohne bisher eine Ausbildung erhalten zu haben."

Zur Verdeutlichung: Fast alle Frauen, die seit der Eröffnung des Desert Flower Center im September 2013 behandelt wurden, kamen ursprünglich als Migrantinnen aus Afrika. Einige sind für die medizinische Versorgung aus dem Ausland angereist. Die Mehrzahl der bisher behandelten Frauen lebt jedoch in Deutschland.

"In Deutschland sollte die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisiert werden. Es sollten Angebote zu FGM interdisziplinär gebündelt und weiterentwickelt werden und Fachkompetenzen gestärkt werden."

Verwendete Quellen:

  • Who.int: Female genital mutilation
  • Frauenrechte.de: Dunkelzifferstatistik zu weiblicher Genitalverstümmelung in Deutschland
  • Frauenrechte.de: Beweggründe und Risiken
  • Frauenrechte.de: Vier Formen der weiblichen Genitalverstümmelung
  • Dr. Cornelia Strunz, Oberärztin am Berliner Krankenhaus Waldfriede und ärztliche Koordinatorin am Desert Flower Center

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