Nach der Flucht von Regierungschefin Scheich Hasina infolge wochenlanger Massenproteste steht Bangladesch vor einer ungewissen Zukunft. Gelingt ein friedlicher Übergang zu einer demokratisch gewählten Regierung? Hoffnungen ruhen auf Nobelpreisträger Muhammad Yunus.

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Und jetzt? Vor dieser Frage steht Bangladesch, nachdem die Bevölkerung Regierungschefin Scheich Hasina mit wochenlangen gewaltsamen Protesten aus dem Amt gejagt hat. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zur Krise des Landes.

Wie ist die Situation in Bangladesch aktuell?

Nach Rücktritt der Premierministerin von Bangladesch
Nach der Flucht von Regierungschefin Scheich Hasina hat sich ein Anführer der Studentenproteste für den Nobelpreisträger Muhammad Yunus als Chef einer Übergangsregierung ausgesprochen. © Km Asad/ZUMA Press Wire/dpa

Die seit 15 Jahren herrschende Scheich Hasina (76) ist am Montag nach blutigen Protesten zurückgetreten und aus Bangladesch geflohen. Armeechef Waker-Uz-Zaman kündigte die Bildung einer Übergangsregierung an. Er will am Dienstag Studentenführer treffen.

Anführer der Studentenproteste haben den Nobelpreisträger Muhammad Yunus als Chef einer möglichen Übergangsregierung vorgeschlagen. Der "international anerkannte" Yunus, "der breite Akzeptanz genießt, könnte leitender Berater einer Interimsregierung sein", sagte Nahid Islam, Anführer der Vereinigung Studenten gegen Diskriminierung (SAD), am Dienstag in einer Videobotschaft. "Wir vertrauen Dr. Yunus", erklärte Asif Mahmud, ein weiterer SAD-Anführer auf Facebook.

Wer ist Muhammad Yunus?

Muhammad Yunus ist ein renommierter Wirtschaftswissenschaftler aus Bangladesch. Der heute 84-jährige Yunus hatte in den 1980er-Jahren die Grameen Bank gegründet, die Mikrokredite an die ärmsten Menschen in Bangladesch vergibt und Millionen Menschen aus der Armut half. 2006 wurde ihm dafür der Friedensnobelpreis verliehen. Er galt lange auch als möglicher politischer Widersacher von Regierungschefin Scheich Hasina, die ihn als "Blutsauger" bezeichnete.

Hoffnungsträger: Muhammad Yunus auf einem Foto aus dem März. © Imago/Sultan Mahmud Mukut

Yunus hält sich derzeit in Europa auf. Ein enger Mitarbeiter sagte am Montag, Yunus habe bislang kein Angebot des Militärs zur Führung einer Übergangsregierung erhalten.

Wie schätzt der Westen die Lage ein?

Beobachtern zufolge könnte der Prozess der Einigung hin zu einer Übergangsregierung durchaus holprig sein. Feindseligkeit zwischen den Parteien sei weit verbreitet und tief verwurzelt, selbst auf lokaler Ebene, schrieb etwa die "New York Times".

Die EU rief zu Ruhe und Zurückhaltung auf. "Es ist von entscheidender Bedeutung, dass ein geordneter und friedlicher Übergang zu einer demokratisch gewählten Regierung gewährleistet wird – unter voller Achtung der Menschenrechte und demokratischen Grundsätze", teilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrel in Brüssel mit. Willkürlich festgenommene Personen sollten sofort freigelassen werden.

Wogegen richteten sich die Proteste?

Die Proteste richteten sich zunächst gegen die geplante Wiedereinführung einer kontroversen Quotenregelung im Öffentlichen Dienst. Nach dieser sollten mehr als die Hälfte der Stellen für bestimmte Gruppen reserviert sein. Die Protestierenden warfen Hasina vor, dass dadurch besonders Anhänger ihrer Regierungspartei profitieren würden.

Wie hat Hasina reagiert?

Die Regierungschefin versuchte, die Proteste von Anfang an mit Härte niederzuschlagen: Sie verhängte Ausgangssperren und entsandte Armee sowie Polizei ins ganze Land. Diese setzten Gummigeschosse, Blendgranaten und Tränengas ein, um die Menschen auseinanderzutreiben. Sie ließ mehrfach über längere Zeiträume das Internet stark einschränken.

Zunächst hatten fast ausschließlich Studenten protestiert. Aufgrund der Unzufriedenheit vieler Bürger und des harten Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten weitete sich der Protest jedoch auf viele weitere Gruppen aus.

Örtlichen Medienberichten zufolge wurden mehr als zehntausend Menschen in den vergangenen Wochen festgenommen. Mehr als 400 Todesopfer gab es während der Demonstrationen, über 100 allein am Montag. Viele der Toten hätten Schusswunden aufgewiesen, hieß es. Gleichzeitig beschuldigte Hasina die Oppositionsparteien, ihre Regierung mit den Protesten zu sabotieren.

Warum ist die Unzufriedenheit im Land so groß?

Viele der 170 Millionen Einwohner des Landes haben Mühe, über die Runden zu kommen. Trotz eines bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwungs unter Hasina – das Land beheimatet die zweitgrößte Textilindustrie der Welt – macht vielen die hohe Inflation und auch weiter hohe Arbeitslosigkeit zu schaffen.

Wer ist Scheich Hasina?

Hasina gilt als die am längsten amtierende Ministerpräsidentin der Welt. Insgesamt war sie 20 Jahre Regierungschefin – erstmals im Jahr 1996 für fünf Jahre und dann ununterbrochen seit 2009. Immer wieder wurde ihr von der Opposition Wahlmanipulation vorgeworfen. Ihr Aufstieg begann schon in den 1970er Jahren, als ihr Vater Scheich Mujibur Rahman, der erste Präsident des Landes, zusammen mit fast seiner gesamten Familie bei einem Militärputsch ermordet wurde.

Hasina befand sich zu der Zeit in Deutschland mit ihrem Mann, der dort als Atomphysiker tätig war. 1981 wurde sie Chefin ihrer Partei Awami-Liga. Menschenrechtsorganisationen werfen ihr vor, gezielt gegen jegliche Kritiker vorgegangen zu sein, Tausende wurden verhaftet. So hätten auch die Meinungs- und Pressefreiheit unter ihrer Regierung gelitten. Gleichzeitig belohnte Hasina ihre Gefolgsleute stark. (dpa/bearbeitet von mcf)

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Teaserbild: © Km Asad/ZUMA Press Wire/dpa