Zwei Drittel der deutschen Bürgermeister sind bereits beleidigt oder bedroht worden, wie eine neue repräsentative Umfrage zeigt. Auffällig: In Großstädten kommt es besonders häufig auch zu Gewalttaten gegen Rathauschefs.
Arnd Focke hat aufgegeben. "Ich werde kein öffentliches Amt mehr übernehmen, ich bin raus", sagte der SPD-Kommunalpolitiker Anfang Januar unserer Redaktion. Acht Jahre lang war Focke ehrenamtlicher Bürgermeister der niedersächsischen Gemeinde Estorf gewesen. Nach massiver rechter Hetze, Todesdrohungen und Hakenkreuzschmierereien auf seinem Auto trat er Ende 2019 von seinem Amt zurück.
Focke ist keine Ausnahme. Im Gegenteil, wie eine am Dienstag veröffentlichte repräsentative Umfrage der Zeitschrift "Kommunal" im Auftrag des ARD-Politmagazins "report München" zeigt.
Demnach wurden 64 Prozent und damit fast zwei Drittel der Bürgermeister in Deutschland nach eigenen Angaben bereits beleidigt, beschimpft, bedroht oder tätlich angegriffen. Bespuckt oder geschlagen wurden neun Prozent der Bürgermeister. In Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern berichteten sogar 32 Prozent von tätlichen Angriffen.
Bedrohungen auch außerhalb des Internets
Die Beleidigungen und Bedrohungen gegen die Rathauschefs finden bei Weitem nicht nur aus der Anonymität des Internets heraus statt. So berichteten 59 Prozent der Befragten von Beleidigungen oder Übergriffen bei öffentlichen Veranstaltungen, 57 Prozent erlebten dies in den Diensträumen.
Auch Mitarbeiter der Verwaltung und Gemeindevertreter werden vermehrt zur Zielscheibe: In 20 Prozent der Kommunen wurden diese körperlich angegriffen, bespuckt oder geschlagen. An der Befragung nahmen rund 2500 Bürgermeister teil, was etwa einem Fünftel aller Bürgermeister entspricht.
"Die Gewalt verlässt das Internet"
"Wir sehen ein dramatisches Element: Die Gewalt verlässt das Internet", sagte Andreas Zick zu "report München". Er leitet das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Ihm zufolge würden die Angriffe aus dem Netz näher an die Bürgermeister heranrücken.
Ein Drittel der befragten Bürgermeister will dem Bericht zufolge nicht mehr zu einer weiteren Wahl antreten. Fünf Prozent dieser Gruppe begründeten dies auch mit konkreten Bedrohungen, zwölf Prozent mit dem Anspruchsdenken der Bürger und neun Prozent mit der Diskussionskultur im Alltag.
"Ich bin nur die Zielscheibe gewesen", glaubte Focke. Auch er sieht die Ämter beschädigt. Nach seinem Rücktritt strebte er einen unbelasteten Übergang zu seinen Nachfolgern an. "Die auf Social Media weniger präsent sind als ich", bemerkte Focke. (afp/mf)
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