- Im Windschatten der US-Wahl entsteht am Horn von Afrika weitgehend unbemerkt ein neuer Konfliktherd.
- In der Region fassen Großmächte wieder Fuß und es brechen alte Rivalitäten auf.
- Äthiopiens Premier Abiy Ahmed, der 2019 den Friedensnobelpreis bekam, lässt die Region Tigray bombardieren.
Ein Friedensnobelpreisträger macht mobil - und riskiert damit eine militärische Eskalation in einer Region, in der die Großmächte um Einfluss ringen. Während die Welt auf den Ausgang der US-Wahl wartete, schickte am Horn von Afrika Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed einigermaßen unbeachtet sein Militär in die rebellische Region Tigray. Die Begründung des Nobelpreisträgers von 2019: Mit dem Angriff auf einen Militär-Stützpunkt sei dort eine rote Linie überschritten worden.
Seither dringen trotz Abriegelung und gekappter Kommunikationswege aus Tigray schlimme Nachrichten über Massaker, Kämpfe, Bombardierungen und Vertreibung nach draußen. Unabhängig nachprüfbar sind sie kaum. Fakt ist: Tausende sind in Nachbarländer geflohen.
UN warnen vor völliger Eskalation
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, warnt: "Es besteht das Risiko, dass die Situation völlig außer Kontrolle gerät und zu vielen Toten und schwerer Zerstörung sowie Fluchtbewegungen innerhalb Äthiopiens wie auch über die Grenzen führt."
Am Mittwoch schlug auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) nach Vor-Ort-Besuchen in der Region Alarm. "Während die Kämpfe andauern, sehen wir die Entwicklung einer schlimmen humanitären Krise", betonte die IKRK-Delegationschefin Katia Sorin.
Erschwerend wirke der Kommunikations-Blackout, der auch unter Familienmitgliedern jeglichen Kontakt unmöglich mache und die Hilfe von außen beeinträchtige. In den vom IKRK besichtigen, hoffnungslos überfüllten Krankenhäusern der Region drängten sich inmitten der Corona-Epidemie Hunderte Verletzte in der Hoffnung auf Hilfe. Arzneien seien ebenso Mangelware wie Hygieneartikel aller Art.
Äthiopien ist umgeben von Konfliktherden
Was Äthiopien zunächst als interne Angelegenheit von kurzer Dauer ankündigt hatte, hat eine Dynamik entwickelt, die die gesamte Region zu destabilisieren droht. Am strategisch wichtigen Golf von Aden hat sich nach China, den USA, Frankreich und selbst Taiwan gerade auch Russland einen Militärstützpunkt gesichert.
Umgeben von Konfliktherden wie Jemen und Somalia geht es im Roten Meer um die Sicherung von Interessen auf einer der wichtigsten Handelsrouten der Welt. Neben den Vereinten Nationen warnen auch Hilfsorganisationen vor einer humanitären Katastrophe sowie dem Übergreifen des Konfliktes auf angrenzende Länder.
Aus Tigray wurden am Wochenende bereits Raketen auf die Hauptstadt des Nachbarstaates Eritrea, Asmara, abgefeuert. Es drohen weitere Luftschläge.
Friedensnobelpreisträger Ahmed setzt auf "Schlussoffensive"
Abiy Ahmed, der 2018 an die Macht kam und bei seinem Reformkurs Funktionäre der alten Garde von der Tigray-Volksbefreiungsfront TPLF von der Macht entfernte, stellt sich bei Appellen nach Einstellung der Kämpfe bislang taub. Er setzt jetzt auf eine "Schlussoffensive".
In dem Vielvölkerstaat Äthiopien mit seinen 112 Millionen Einwohnern sind ethnische Spannungen und Konflikte nichts Neues. Doch Abiys Offensive kommt zu einer Zeit, da es auch außenpolitisch nicht an Risiken mangelt. Die Nachbarländer Sudan und vor allem Ägypten sind vergrätzt über einen gigantischen Staudamm, mit dem Äthiopien das Wasser des Nils für die Stromgewinnung nutzen will. Beide Nachbarn zeigten mit Militärmanövern bereits ihre Muskeln.
Die TPLF und viele Menschen in der Region Tigray fühlen sich von der Zentralregierung nicht vertreten und wünschen sich mehr Autonomie. "Die Leute sind zum Kampf bereit, notfalls mit Stöcken", kündigte TPLF-Chef Debretsion Gebremichael an.
Nach seinen Angaben kämpfen die eritreischen Streitkräfte an der Seite der Äthiopier - was offiziell bisher unbestätigt bleibt. Die TPLF - einst dominante Partei in der Parteienkoalition, die Äthiopien mehr als 25 Jahre lang mit harter Hand regierte - sieht Eritrea daher als legitimes Ziel an. Vor Verhandlungen müsste die Zentralregierung in Addis Abeba erst mal alle Truppen aus der Konfliktregion abziehen, fordert der TPFL-Chef. (dpa/ank)
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