Ist das ursprüngliche Ziel der "Rente mit 63" gescheitert? Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ziehen eine negative Bilanz – bieten aber auch einen Lösungsvorschlag an.

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45 Jahre arbeiten und dann abschlagsfrei in Rente gehen. So sieht es die "Rente mit 63" vor. Inzwischen ist zwar das abschlagsfreie Renteneintrittsalter auf 64 Jahre und zwei Monate angestiegen, aber das Prinzip bleibt gleich. Besonders Menschen mit körperlich, aber auch psychisch anspruchsvollen Berufen wie in der Pflege oder im Handwerk soll damit ermöglicht werden, früher in Rente gehen zu können. Eine neue Studie des DIW kommt jedoch zu dem Schluss, dass dieses Ziel verfehlt wurde.

Nur wenige Rentnerinnen und Rentner erreichen 45 Beitragsjahre

In der Pressemitteilung zur Studie heißt es: "Allerdings bleiben Menschen, die lange in solchen Berufen mit sehr hohen Belastungen gearbeitet haben, oft außen vor, da sie gar nicht auf 45 Versicherungsjahre kommen." Generell wurde die "Rente für besonders langjährig Versicherte" laut "Focus" nur selten in Anspruch genommen. Von rund 950.000 Menschen, die im vergangenen Jahr in Rente gegangen sind, kamen nur 280.000 von ihnen auf die 45 Beitragsjahre.

Von diesen etwa 280.000 Neu-Rentnerinnen und -Rentnern arbeiteten weniger als ein Drittel in besonders belastungsreichen Berufen, heißt es in der Studie weiter. 40 Prozent waren leicht bis mäßig belastet.

"Die Dauer der Erwerbskarriere ist ein unzureichender Indikator, um berufliche Belastungen zu messen", sagt Hermann Buslei, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Staat im DIW Berlin und einer der Studienautoren. "Hohe Belastungen beobachten wir bei kürzeren Erwerbskarrieren anteilig häufiger, während bei längeren Laufbahnen die Bedeutung von Beschäftigungsphasen mit geringeren Belastungen zunimmt. Als Kriterium für eine vorgezogene Altersrente wäre ein Instrument, das an der tatsächlichen Beschäftigungsfähigkeit der Versicherten ansetzt, sinnvoller", ergänzt Johannes Geyer.

Informationen zur Studie

  • Für die Studie haben Buslei und Geyer gemeinsam mit Lars Felder und Peter Haan Arbeitsmarktbiografien von fast 8.000 Männern des Geburtsjahrgangs 1957 mit deutscher Staatsangehörigkeit ausgewertet. In dieser Stichprobe erreichte gut ein Fünftel 45 oder mehr Versicherungsjahre.
  • Frauen konnten nicht einbezogen werden, da die IAB-Daten keine Informationen zu Kindern und Kindererziehungszeiten enthalten, die für den Anspruch auf eine Rente nach 45 Versicherungsjahren aber mitzählen. Männer machen diese Erziehungszeiten kaum bis gar nicht geltend.
  • Die Analyse konzentriert sich auf westdeutsche Männer, da für ostdeutsche entsprechende Daten nicht durchgehend vorliegen.

Ein Kriterium für die Bemessung war der sogenannte Kroll-Index. Dabei wurde sich die Arbeitslaufbahn der untersuchten Männer angesehen. Der Kroll-Index gibt dabei einen Indikator an, wie hoch die Belastung für die jeweiligen Berufe ist. Dieser Indikator wird durch regelmäßige Befragungen unter Berufstätigen festgelegt. Dabei wird sich nicht nur die körperliche und psychische Belastung angeschaut, sondern auch der zeitliche Aufwand und die soziale Belastung. Besonders belastet sind dabei Handwerks- und Pflegeberufe so wie Angestellte in der Gastronomie. Bürokräfte haben tendenziell eine niedrigere Belastung.

Flexibler Lösungsansatz und Vorbild Österreich

Die Belastung nimmt auch im Alter ab. 41,9 Prozent der untersuchten Männer hatten eine hohe Belastung in den ersten zehn Arbeitsjahren. Dieser Wert steigert sich noch auf 44 Prozent bei 20 bis 30 Arbeitsjahren – dann nimmt er ab. Am niedrigsten ist er mit 25 Prozent bei 35 bis 40 Arbeitsjahren. Diese Entwicklung zeigt, dass viele Menschen in besonders belastenden Berufen nur selten die 45 Beitragsjahre erreichen.

Wie könnte nun eine Lösung aussehen? "Wir brauchen zielgerichtete Instrumente, die sicherstellen, dass besonders belastete Berufsgruppen, die oft gar nicht auf 45 Versicherungsjahre kommen, nicht durchs Raster fallen", so Lars Felder vom DIW. Ein Blick zu unseren Nachbarn könnte da helfen, heißt es weiter. In Österreich gibt es eine sogenannte Schwerarbeitspension, für die neben der Dauer einer Tätigkeit auch deren Belastung eine Zugangsvoraussetzung ist. Hier ist jedoch nur die körperliche Belastung von Bedeutung. Würde man diese Variante auch für Deutschland in Betracht ziehen, müsste man die psychische Belastung noch mit einbeziehen, so die Studienautoren.

Der Lösungsansatz der DIW-Forscher: "Denkbar wäre auch ein altersabhängiges Berufsunfähigkeitskriterium, das belasteten Menschen frühere Rentenzugänge ermöglicht, ohne die Kosten des Systems zu sprengen." Das Schlüsselwort ist hierbei Flexibilität. Menschen in besonders belastenden Berufen müsste die Möglichkeit einer frühen Verrentung, aber auch die Chance, in anderen Berufen weiterzuarbeiten, gegeben werden.

Das erfordere zwar einen größeren Verwaltungsaufwand, "die Kosten dürften im Vergleich zur derzeitigen Rente nach 45 Versicherungsjahren aber dennoch geringer ausfallen". "Eine solche Reform würde für mehr Gerechtigkeit sorgen und die Rentenversicherung langfristig zukunftsfähiger machen", resümiert Peter Haan, ebenfalls Studienautor. (the)

Verwendete Quellen

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