Er kann kaum noch reden, ist immer wieder im Krankenhaus. Trotzdem will Bouteflika an der Macht bleiben. Bisher macht er keine Anstalten einzulenken. Doch die Wut der Straße wird größer.
Neue Massenproteste in Algerien haben den Druck auf den altersschwachen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika und die Führung des Landes weiter erhöht. Trotz eines starken Sicherheitsaufgebots zogen auch am Freitag nach dem Mittagsgebet in vielen Städten Zehntausende gegen Bouteflika auf die Straße. Nach Einschätzung von Beobachtern handelte es sich um die bislang größten Demonstrationen seit Beginn der Protestwelle Ende Februar.
In der Hauptstadt Algier verlangten Demonstranten, dass der 82 Jahre alte Staatschef auf seine Kandidatur bei der Präsidentenwahl am 18. April verzichtet. Journalisten berichteten am Abend aus Algier, die Polizei habe Tränengas eingesetzt. Lokalen Medien zufolge gab es mindestens drei Verletzte. Lokale Medien berichteten über Proteste auch in anderen Regionen.
Verschärfte Sicherheitsmaßnahmen
Im Zentrum Algiers waren Straßen und Plätzen am Freitagnachmittag bis zum Bersten gefüllt. In Sprechchören forderten die Menschen den "Sturz des Regimes". Viele von ihnen schwenkten die grün-weiße Nationalfahne oder hüllten sich in sie ein. Getragen werden die Proteste vor allem von Studenten. Auch die Opposition unterstützt die Demonstrationen und fordert eine Rückzug Bouteflikas.
Die Regierung hatte zuvor die Sicherheitsmaßnahmen verschärft. Am Morgen fuhren Dutzende Mannschaftswagen der Polizei in Algier auf und postierten sich an zentralen Stellen. Mit Menschenketten versuchten die Sicherheitskräfte, Straßen abzusperren. Am Himmel kreisten Hubschrauber. Metro und Straßenbahnen stellten ihren Betrieb ein, so dass sich die Demonstranten zu Fuß auf den Weg machen mussten. Am Nachmittag zogen sich die Polizeieinheiten dann teilweise zurück.
Seit Ende Februar kommt es in dem nordafrikanischen Land immer wieder zu Protesten gegen die Kandidatur des Staatschefs bei der Abstimmung am 18. April. Bouteflika ist seit 20 Jahren im Amt; nun geht es um eine fünfte Amtszeit.
Gesundheitszustand des Präsidenten umstritten
Seine Gegner sehen ihn nicht mehr in der Lage, das Land zu regieren. Nach einem Schlaganfall sitzt der Präsident im Rollstuhl und hat große Probleme beim Sprechen. In der Öffentlichkeit zeigte er sich in den vergangenen Jahren nur selten. Derzeit hält er sich wieder einmal zu einer medizinischen Untersuchung in Genf auf. Die Demonstranten forderten deshalb am Freitag, ihm die Rückkehr nach Algerien zu verbieten.
Die Menschen empfänden es als Provokation, dass ein Präsident, der in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr sichtbar sei, noch einmal kandidieren wolle, sagte die Algerien-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Isabelle Werenfels, am Freitag dem Deutschlandfunk. Um die Wut der Demonstranten zu besänftigen, versprach Bouteflika zwar, keine volle Wahlperiode mehr regieren und Reformen vorantreiben zu wollen - die Proteste gehen dennoch weiter.
Generell gilt Bouteflika nur als Fassade eines eng verknüpften Geflechts aus Politikern, Militärs und Geschäftsleuten, die das Land regieren und sich an die Macht klammern. Als einer der wichtigsten Strippenzieher gilt Bouteflikas jüngerer Bruder Said.
Vor allem aber die Armee spielt eine zentrale Rolle. 1999 hielt sie Bouteflika für den richtigen Mann, um dem Land nach Jahren eines blutigen Bürgerkriegs mit radikalen Islamisten wieder Stabilität zu bringen. Dass dies gelang, halten Bouteflikas Anhänger für sein Verdienst. Auch die arabischen Aufstände 2011, die in Nachbarländern Langzeitherrscher hinwegfegten, überstand der Präsident unbeschadet.
Bouteflika warnt vor Chaos
Vor den Protesten am Freitag hatten Aktivisten Aufrufe verbreitet, unter keine Umständen gewalttätig zu werden und Provokationen der Polizei zu unterlassen. Einige Demonstranten warfen den Polizisten Blumen entgegen und riefen: "Polizei und Volk sind Brüder."
Bouteflika selbst hatte am Donnerstag in einer schriftlichen Botschaft gewarnt, die Proteste könnten in Chaos enden. Versuche von ausländischer Seite, die friedlichen Märsche zu unterwandern, könnten zu Aufruhr führen. Wen genau er meinte, ließe der Präsident offen. Aber es war als Anspielung auf Bürgerkriegsländer wie Libyen und Syrien zu verstehen, wo zahlreiche ausländischen Kräfte mitmischen.
Hinter den Protesten verbirgt sich auch der Unmut über die schwierige Wirtschaftslage in Algerien. Das Land ist vom Ölexport abhängig und leidet unter dem Preisverfall der vergangenen Jahre. Unter den Jüngeren liegt die Arbeitslosenquote mittlerweile über 25 Prozent.
In Genf wurde in dem Krankenhaus, in dem Bouteflika behandelt wird, am Freitag ein Mann festgenommen. Es handele sich um eine Person, die "politische Forderungen" gehabt habe, sagte eine Polizeisprecherin. Nach Medienberichten ist der Mann ein Franko-Algerier, der bei den Präsidentenwahlen antreten wollte, aber disqualifiziert wurde. © dpa
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