Erst wurde Sudans Langzeitherrscher Al-Baschir abgesetzt, und nur einen Tag später musste der Chef des militärischen Übergangsrates seinen Hut nehmen. Warum hören die Demonstrationen nicht auf?
Im Sudan kehrt auch nach dem zweiten Machtwechsel binnen eines Tages keine Ruhe ein. Die Proteste richten sich gegen einen militärischen Übergangsrat, der nach dem Sturz von Langzeitherrscher Omar al-Baschir am Donnerstag die Macht übernommen hat. Der Anführer des Übergangsrates, der frühere Verteidigungsminister und Al-Baschir-Vertraute Awad Ibn Auf, trat am Freitagabend überraschend zurück.
Abgang wird bejubelt
Tausende Menschen in der Hauptstadt Khartum reagierten mit Applaus und Jubel auf den Abgang des Generals. Das gewerkschaftliche Bündnis SPA, eine treibende Kraft der Proteste der vergangenen Wochen, sprach von einem "Sieg des Willens des Volkes".
Neuer starker Mann im Sudan ist jetzt der bisherige Generalinspekteur der Armee, Abdel Fattah Burhani. Der Militär zeigte während der Proteste etwas Bürgernähe und sprach mit Demonstranten, wie Fotos in sozialen Netzwerken zeigen. Aus Militärkreisen hieß es, Burhani genieße innerhalb der Streitkräfte größeres Vertrauen als der vorherige Anführer des Übergangsrates Ibn Auf.
Die Demonstrationen sollen dennoch weitergehen, bis das Militär die Macht komplett an eine zivile Übergangsregierung übergeben hat. Am Samstag versammelten sich wieder Zehntausende Menschen vor der Zentrale der Streitkräfte in Khartum zu einer Sitzblockade, wie ein dpa-Reporter berichtete. Die Menschen warteten gespannt auf eine Ankündigung des Übergangsrates, wie es weitergehen und ob die neue Führung mehr Macht an zivile Kräfte übergeben werde.
Der Rat teilte am Samstag mit, der Chef des verhassten Geheimdienstes NISS, Abdallah Gusch, habe seinen Rücktritt erklärt. Zunächst war unklar, ob dies auf einen Machtkampf zwischen den unterschiedlichen Sicherheitsorganen hindeutet oder ein Anzeichen dafür ist, dass das Militär auf Oppositionsforderungen eingeht.
Mit dem Wechsel an der Spitze des Übergangsrates hofft die Militärführung wohl darauf, dass die Proteste abflauen. Das scheint zurzeit eher unwahrscheinlich. Sollte die Militärführung nicht schnell die Macht an zivile Kräfte übergeben, würden die Menschen weiter protestieren, warnt die Denkfabrik International Crisis Group (ICG). Und dies erhöhe das Risiko von Zusammenstößen, "die das Land in ein tieferes Chaos stürzen könnten".
Preiserhöhung war Auslöser
Auslöser der Massenproteste war im Dezember 2018 eine Erhöhung der Benzin- und Brotpreise gewesen. Der Sudan mit rund 41 Millionen Einwohnern gehört zu den 25 ärmsten Länder der Welt. Das Land durchlebt eine schwere Wirtschaftskrise.
Die Proteste richteten sich dann gegen den autoritären Präsidenten Al-Baschir, der 30 Jahre lang an der Macht war. Als Al-Baschir gestürzt wurde, machte sich zunächst Euphorie breit. Doch diese schlug schnell in Enttäuschung und Widerstand gegen die neue Militärführung um. Diese erklärte, für zwei Jahre die Macht zu übernehmen und den Weg für Wahlen zu ebnen. Sie löste das Parlament auf und verhängte einen Ausnahmezustand und eine Ausgangssperre.
Das Militär führte die Proteste als Rechtfertigung an, warum es die Macht ergriffen hat. Al-Baschir wurde als Machthaber dargestellt, der kein Ohr mehr für die Probleme der Menschen gehabt habe. Die Staatsführung habe mit Gewalt reagieren wollen und jegliche politischen und wirtschaftlichen Probleme ignoriert, hieß es. Deshalb habe man entschieden, dass "eine Veränderung stattfinden muss".
Die Streitkräfte versicherten, sie wollten nur übergangsweise an der Macht bleiben und lediglich für Stabilität und Sicherheit sorgen. Sie versprachen, möglichst bald einer zivilen Regierung Platz zu machen. Doch Demonstranten und Zivilgesellschaft schenkten diesen Versprechen wenig Glauben. Sie sahen die Militärführung mit Ibn Auf an der Spitze lediglich als eine Neuauflage des alten Regimes.
Ibn Auf gehörte zu Al-Baschirs innerem Zirkel: Seit 2015 war er sein Verteidigungsminister, zuletzt auch sein Vizepräsident. Im blutigen Darfur-Konflikt mit rund 300.000 Toten war er zudem der US-Regierung zufolge als Chef des Militärgeheimdienstes und Mitglied der Führung in Khartum dafür verantwortlich, Aktionen mit der brutalen Dschandschawid-Miliz abzustimmen. Die USA setzten den Militär wegen seiner Rolle bei dem Blutvergießen in Darfur 2007 auf eine Sanktionsliste.
Seit vergangenem Samstag hatten sich die Demonstrationen mit einer Sitzblockade Zehntausender Menschen vor der Militärzentrale und Residenz Al-Baschirs in Khartum zugespitzt. Tausende Demonstranten wurden festgenommen. Nach Angaben des UN-Menschenrechtsbüros kamen bei den Protesten seit Dezember bis zu 70 Menschen ums Leben. © dpa
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