• Die "Letzte Generation" sorgt immer wieder mit medienwirksamen Aktionen für Aufsehen und Kritik.
  • Protest ist dann gut, wenn die Öffentlichkeit das Anliegen versteht, sagt Protestforscherin Nina-Kathrin Wienkoop im Interview.
  • Doch die Botschaft der Klima-Kleber kommt nicht so richtig bei der Bevölkerung an.
Ein Interview

Die "Letzte Generation" hat Unterstützer, aber auch viele Kritiker. Sie hatte von Anfang an Schwierigkeiten, eine breite Akzeptanz für ihre Anliegen zu erzeugen.

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Woran das liegt und welche Protestbewegungen in der Vergangenheit mit welchen Mitteln erfolgreich waren, haben wir mit der Protestforscherin Nina-Kathrin Wienkoop besprochen.

Frau Wienkoop, Sie erforschen Protestbewegungen: Wie sie sich entwickeln und welche Faktoren dazu beitragen, ob sie mit ihrem Anliegen durchkommen. Seit einigen Monaten steht die "Letzte Generation" als Teil der Klimaschutzbewegung im Fokus, auch im Fokus der Ermittler. Aufmerksamkeit hat sie mit ihren Aktionen jedenfalls erregt – reicht das schon, damit eine Protestbewegung "erfolgreich" ist?

Nina-Kathrin Wienkoop: Aufmerksamkeit ist gut, wenn sie die Forderungen der Bewegung betrifft. Bei der "Letzten Generation" standen medial und in der öffentlichen Debatte aber schnell die Mittel im Vordergrund, also das Festkleben auf Straßen und Flugfeldern. Wenige wissen, was die Forderungen der "Letzten Generation" überhaupt sind.

Dazu kommt, dass die Gruppe es bislang nicht geschafft hat, ihre Forderungen mit ihren Aktionen in Verbindung zu bringen. Die Botschaft: Wir kleben uns fest, weil wir keinen anderen Weg sehen, den Klimawandel aufzuhalten, reicht für eine breite Akzeptanz oder Zustimmung in der Bevölkerung offenbar nicht aus.

Erfolg einer Protestbewegung

Wie bemisst sich überhaupt der "Erfolg" einer Protestbewegung?

Am Ende geht es darum, welche Rechte dadurch erkämpft wurden. Nehmen wir zum Beispiel die Frauenbewegungen: Sie haben erreicht, dass Frauen das Wahlrecht bekamen und dass das Ehe- und Scheidungsrecht reformiert wurde.

Oder nehmen wir die Umweltbewegungen der 1970er- und 1980er-Jahre: Sie haben es geschafft, das Thema Umwelt- und Naturschutz überhaupt erst auf die politische Agenda zu bringen und es zu institutionalisieren.

Ist das also auch ein Erfolg, wenn sich eine Bewegung institutionalisiert?

Zunächst führt Institutionalisierung zur De-Mobilisierung auf der Straße. Sie kann aber in einem Erfolg münden. Es muss ja nicht gleich eine ganze Partei entstehen, wie es bei den Grünen und der Umweltbewegung war. Aber es hat dem Anliegen der Umweltbewegung sehr geholfen, dass es nach und nach erfolgreiche, große NGOs gab, die dafür sorgten, dass das Thema immer präsent war und die bis heute Lobbyarbeit leisten.

Man kann sich auch vorstellen, dass so eine Institutionalisierung einer Bewegung erstmal den Schwung nimmt. Oft gibt es in der Folge eine gewisse Demobilisierung, also zum Beispiel weniger Teilnehmende an Demonstrationen. Die Aktionsformen verändern sich, aber das muss nicht schlecht sein – zumal Protestbewegungen meist einen langen Atem haben müssen, um ihre Ziele durchzusetzen. Es ist ein kontinuierlicher Kampf, der Zeit und Geduld erfordert.

Wirkungsvoller Protest

Welche Protestmittel sind besonders wirkungsvoll?

Am wirkungsvollsten sind Protestmittel, wenn sie so gewählt und ausgeführt werden, dass man sie versteht. Ein gutes Beispiel dafür waren die Proteste im Hambacher Forst: Mit ihren Baumhäusern haben die Aktivistinnen und Aktivisten ein konkretes Vorhaben gestört, nämlich dass der Wald abgeholzt wird. Das war eine begrenzte, sehr wirkungsvolle Aktion, die viele Menschen sehr gut verstanden haben, weil der Bezug klar war: Mit unseren Baumhäusern schützen wir den Wald.

Wann werden Proteste unterstützt?

Es waren dort aber auch nicht so viele Menschen in ihrem Alltag beeinträchtigt, wie das beispielsweise bei den Aktionen der "Letzten Generation" der Fall ist. Ist das auch ein Faktor, ob Proteste unterstützt werden oder nicht, ob man selbst in seinem Alltag davon beeinträchtigt wird?

Ich glaube, es ist auch hier wieder eher die Frage: Werden die Aktionen, also zum Beispiel das sich auf die Straße Kleben, mit den Anliegen der Bewegung verknüpft? Der Zusammenhang zwischen Straßenverkehr und Klimawandel ist zwar da, er ist aber nicht so unmittelbar wie zum Beispiel bei den Baumhäusern im Hambacher Forst. Wir nennen das in der Forschung "Framing".

Was die Frage der Beeinträchtigung angeht: Ein Gegenbeispiel wären Großdemonstrationen, die ja auch dazu führen, dass Verkehr umgeleitet werden muss, Staus entstehen und ähnliches. Das Verständnis dafür ist in der Bevölkerung meistens groß, weil das Demonstrations- und Versammlungsrecht einen hohen Stellenwert haben. Vor kurzem gab es Hausdurchsuchungen bei einigen "Letzte Generation"-Aktivisten. Es betrifft nicht viele und es ist ja erstmal nur der Verdacht, aber Kritiker werden sagen: Das passt genau ins Bild.

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Haben Sie einen Rat an die "Letzte Generation", wie sie nun weitermachen soll?

Keinen direkten Rat, ich kann nur zusammenfassen, was für Protestbewegungen normalerweise gut funktioniert: Menschen brauchen eine bildhafte Sprache, sie brauchen Beispiele, warum sie von einem Problem, das die Bewegung lösen will, direkt betroffen sind.

Zudem hilft es, politische Unterstützerinnen und Unterstützer zu generieren und Allianzen zu schmieden. Das ist auch wichtig, damit einer Bewegung nicht über kurz oder lang das Geld ausgeht. Die besondere Herausforderung bei einem Thema wie dem Klimawandel, das ja zudem ein internationales Anliegen ist, ist aber schlicht: dauerhaft präsent zu bleiben.

Über die Expertin:
Dr. Nina-Kathrin Wienkoop ist Mitglied im Institut für Protest- und Bewegungsforschung. Einer der Forschungsschwerpunkte der Politikwissenschaftlerin und Ethnologin sind Proteste, soziale Bewegungen und die Zivilgesellschaft.
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