Jordanien macht seine Drohung wahr: Mit einer Großoffensive reagiert König Abdullah auf die Ermordung eines Piloten, die Luftwaffe bombardiert Ziele des Islamischen Staats. Doch die Regierung wird von Furcht und Rache getrieben - und riskiert damit eine Gewaltspirale in der ganzen Region.

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Der König steht unter Druck. Nach der grausamen Ermordung eines Kampfpiloten hat der jordanische Herrscher Abdullah einen Großangriff gegen den Islamischen Staat (IS) veranlasst. Bis zu 30 Kampfjets bombardierten Munitionsdepots und Ausbildungslager der Terrormiliz in Syrien. Medienberichten zufolge griffen die Kampfflugzeuge Ziele in der nördlichen Provinz Al-Rakka an. "Das ist erst der Anfang der Vergeltung", sagte Außenminister Nasser Judeh in einem Interview mit dem US-Fernsehsender CNN. "Wir werden sie angreifen, wo auch immer sie sind, mit allem, was wir haben."

Zwar hatte sich Jordanien schon in den vergangenen Monaten an Luftangriffen der US-geführten Koalition gegen den IS beteiligt. Doch die jüngste Offensive markiert eine neue Größenordnung. "Das Königshaus kann die Gefühle im Land nicht ignorieren und setzt deshalb ein politisches Zeichen", erklärt Florian Wätzel vom Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel (ISPK).

Das hatte Jordanien schon kurz nach der Ermordung seines Piloten getan, indem es zwei Terroristen hinrichten ließ. Doch der Wunsch nach Rache erlischt offenbar nicht: Die Angriffe auf IS-Ziele stehen für eine neue Stufe der Vergeltung, die sich aus Außen- und Innenpolitik speist - die aber auch eine gefährliche Eskalation der Gewalt riskiert.

Einflussreicher Stamm fordert Vergeltung für IS-Terror

Seit der IS im vergangenen Jahr seinen Vormarsch begann, fürchtet Jordanien, dass der Terror auch das eigene Land erfassen könnte. IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi hat explizit die Monarchien der Region zur Zielscheibe erklärt - und damit auch die jordanische. Zudem hat Baghdadi noch eine persönliche Rechnung offen: 2006 töten US-Spezialkräfte Abu Mussab al-Sarkawi, der den Vorgänger des IS gegründet hatte. Sarkawi stammt aus Jordanien - und Amman soll bei der US-Operation geholfen haben.

Die Furcht des Königs vor dem IS ist deshalb nicht neu. Sicherheitskräfte und Geheimdienste gehen seit Monaten rigoros gegen Verdächtige des Islamischen Staats im eigenen Land vor. Doch seit der brutalen Verbrennung des Kampfpiloten Muas al-Kasaba rückt nun auch die Innenpolitik stärker in den Fokus.

"Seine Familie gehört einem einflussreichen Stamm an und die haben in den vergangenen Wochen stark mobilisiert", sagte Anja Wehler-Schöck, Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Amman, im Interview mit der Deutschen Welle. Der Bararsheh-Stamm aus dem Süden Jordaniens steht dem Königshaus nahe, sein Wort findet Gehör. "Ich rufe die arabischen Staaten und die Koalition auf, den IS auszulöschen", forderte der Vater des Getöteten.

IS scheint entschlossen, gegen Jordanien zu kämpfen

Doch die Vergeltung Jordaniens birgt erhebliches Risiko. "Die Gefahr einer Gewaltspirale ist groß", sagt Nahost-Forscher Wätzel. Demnach habe der IS in seinem jüngsten Video die Namen weiterer jordanischer Piloten genannt und ein Kopfgeld für Ihre Ermordung ausgesetzt. Damit ist klar: Die Extremisten waren schon vor der jordanischen Großoffensive bereit zu handeln - die Bombardements dürften diese Entschlossenheit nur noch festigen. Und das gilt nicht nur für Jordanien, sondern könnte die Brutalität der Extremisten in der ganzen Region weiter anfeuern.

Niemand weiß, wo der IS als nächstes zuschlägt. Amman aber scheint auch einen stärkeren Einfluss radikaler Salafisten im Inland zu fürchten, wie die Freilassung von Scheich Abu Mohammad al-Makdisi zeigt. Makdisi stand einst Sarkawi nahe, kehrte ihm jedoch den Rücken, als dieser willkürlich Zivilisten erschießen ließ. Makdisi könnte sich auch diesmal gegen die Grausamkeit stellen und auf radikale Kräfte im Land einwirken, so ein mögliches jordanisches Kalkül.

Bodentruppen wären zu riskant für Amman

Dass auf die Luftangriffe nun auch eine Offensive am Boden folgt, gilt als unwahrscheinlich. Zwar gehören die jordanischen Streitkräfte zu den professionellsten in der Region, doch die Gefahren eines Einsatzes wären zu groß. "Ein neuer Vorfall oder der Verlust eines weiteren Flugzeugs würde die Führung dem Vorwurf der Fahrlässigkeit aussetzen", schreibt Shashank Joshi vom Londoner Royal United Service Institute in einer Analyse. Die Regierung werde ihre nächsten Schritte deshalb mit viel Bedacht wählen.

Bisher ist die jüngste Eskalation vor allem ein Kampf zwischen Jordanien und dem Islamischen Staat. Zwar flog die US-Koalition auch am Freitag wieder neue Angriffe gegen IS-Stellungen. Und Florian Wätzel glaubt ebenso: "Mit der Verbrennung hat der Islamische Staat an Sympathie in der arabischen Welt verloren." Allerdings war dort bisher wenig zu hören, sieht man von Beileidsbekundungen einmal ab. Eine stärkere Offensive? Die scheint außer Jordanien im Moment niemand wagen zu wollen.

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