Sie ist Fachärztin für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin sowie Reiterin – und sie verbindet ihren Beruf mit ihrer Leidenschaft für Pferde: Dr. Julia Schmidt bietet eine Spezialsprechstunde für Reiterinnen und Reiter an – einmalig in Deutschland. pferde.de sprach mit ihr über typische Reiterprobleme, den idealen Ergänzungssport und warum Sicherheit auf dem Pferd so wichtig ist.

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Mit drei Jahren saß sie zum ersten Mal auf einem Pferd: "Mein Onkel hatte Pferde und er hat mich damals auf seine Stute Florinda gesetzt. Ich war an der Longe, sie ging Schritt – und ich rutschte langsam runter. Dabei blieb mein Fuß im Steigbügel hängen und ich hing wie ein Kosake seitlich am Pferd", erinnert sich Dr. Julia Schmidt. Ihr Glück: Die Stute blieb sofort stehen. "Kaum stand ich wieder sicher auf dem Boden, rief ich nur ‚rauf, rauf!‘" Damit war klar: Der Pferdevirus hatte sie voll erwischt.

Und sie legte eine steile Reiter-Karriere hin: Erst voltigierte sie, dann ging es auf Schulponys und schließlich kam die erste Reitbeteiligung. "Ich hatte nie ein eigenes Pferd, aber das große Glück, dass mir immer tolle Pferde zur Verfügung gestellt wurden", erinnert sich Dr. Schmidt. Sie wurde Berliner Junioren Meisterin in der Dressur, nahm an der Deutschen Jugend-Meisterschaft in Soltau teil. "Ich wollte Bereiterin werden, aber davon waren meine Eltern nicht begeistert." So studierte sie Medizin. "Ich habe mir mein Studium mit Reitunterricht und Beritt von Pferden mitfinanziert."

Spezialsprechstunde für alle, die sich mit Pferden beschäftigen

Doch als Assistenzärztin am Krankenhaus wurde die Zeit für Pferde immer weniger. Aber ihre Leidenschaft blieb. Und heute kann sie am "UKE Athleticum" in Hamburg beides verbinden. Mit pferde.de sprach sie über Sitzprobleme, Sicherheit beim Reiten – und warum es sinnvoll ist, dass Reiter Reiter behandeln.

Sie bieten eine Spezialsprechstunde für Pferdesportler? Wie kam es dazu?

Ich habe immer wieder Reiterkollegen getroffen, die von einem ärztlichen Kollegen gehört hatten, dass sie nach einem Unfall oder zum Beispiel mit ihren Rückenproblemen nicht mehr reiten sollten. Für die Betroffenen war das oft sehr schlimm. Denn ein Pferd ist ja kein Tennisschläger, den man dann eben in die Ecke stellt. Es ist ein Familienmitglied. Und nun soll die Zeit, die man miteinander verbracht hat, vorbei sein? Daraus entstand dann bei mir die Idee für eine Sprechstunde für Pferdesportler – also für Reiterinnen und Reiter sowie für alle, die sich mit Pferden beschäftigen.

Reiten trainiert viele verschiedene Körperstellen.
Reiten trainiert viele verschiedene Körperstellen. © Foto: instagram.com/riderscoc_jule

Und dann gibt es ja auch immer noch das Vorurteil, dass Reiten kein Sport ist…

Ja, leider. Das ist schade, denn Reiten ist ein toller Sport. Dabei werden nicht nur viele Muskeln trainiert, sondern wir trainieren auch unsere Balance, sind an der frischen Luft und beschäftigen uns mit einer anderen Spezies, mit der wir uns nonverbal verständigen lernen müssen.

Spezialsprechstunde: Instagram brachte den Durchbruch

2015 haben Sie dann zum ersten Mal die Spezialsprechstunde angeboten. Wie war die Resonanz damals?

Wir haben sie zuerst einmal im Monat angeboten. Und es war damals auch mühselig. Es gab immer mal Durststrecken, aber ich habe nie an der Idee gezweifelt.

Was brachte den Durchbruch?

Ich habe einfach sehr aktiv die Werbetrommel gerührt. Ich war auf Messen wie der "Hanse Pferd" und der "Nordpferd", habe Flyer in Reitställen verteilt. Zum Glück hat mich der "Hamburger Landesverband" sofort unterstützt. Sie haben damals eine Kooperation für den sportmotorischen Reitertest gesucht. Und da habe ich gleich geholfen (lacht). Seitdem mache ich einmal im Jahr für alle Kadersportler aus Hamburg den Test, der vom "DOKR" für diese auch vorgeschrieben ist. Den Durchbruch hatte die Spezialsprechstunde aber auch, als ich als auf Instagram aktiv wurde. Mittlerweile ist die Sprechstunde gut bekannt. Ich habe Patienten aus ganz Deutschland, in meiner Videosprechstunde war sogar schon jemanden aus den USA.

Die Sprechstunde ist auch eine Video-Show

Mit welchen Problemen kommen die Pferdesportler zu Ihnen?

Das sind im Prinzip drei Bereiche. Zum einen die Akuten, also nach einem Reitunfall, zum Beispiel mit einer Wirbelkörperfraktur, dann kommen zum Beispiel Berufsreiter oder Amateure mit Überlastungsbeschwerden, zum Beispiel am Rücken oder den Adduktoren. Und dann kommen Reiterinnen und Reiter, die merken, dass ihr Pferd nicht so geht, wie es könnte – und den Fehler bei sich suchen. Sie wollen wissen, ob es wirklich an ihnen liegt, ob sie zum Beispiel Sitzprobleme haben.

Wie können Sie das beurteilen – die Reiter bringen ja ihr Pferd nicht mit in die Sprechstunde…?

(lacht) Stimmt! Deshalb lasse ich mir Videos zeigen.

Das heißt, die Sprechstunde ist eine Video-Show?

Nicht nur. Zuerst mache ich eine Reiter-Anamnese. Da kläre ich ab, wie lange jemand bereits reitet, welche Disziplin, wie intensiv und frage auch immer nach, welche Sicherheitsausrüstung getragen wird und natürlich was das Problem ist. Dann lasse ich mir die Videos zeigen. Dabei gucke ich mir Schritt, Trab und Galopp auf beiden Händen an. Und dann kommt die Untersuchung. Nach der Verdachtsdiagnose spreche mit meinem Medical Physio-Team Reitsport, die übrigens auch alle reiten. Sie gucken dann auch noch mal ganz genau drauf. Dazu kriegt jeder Reiter von uns Übungen an die Hand, die individuelle auf sein Problem abgestimmt sind.

Sie haben es schon angesprochen: Bei Ihnen behandeln Reiter Reiter. Warum?

Weil wir als Reiter genauer verstehen, warum bestimmte Beschwerden für einen Reiter so problematisch sind und wie Reiten genau funktioniert. Warum zum Beispiel ein Bandscheibenvorfall einem Reiter erstmal besondere Angst macht . Ich hatte schon Patienten, die vor Glück geweint haben, weil sie bei mir erfuhren, dass sie weiter reiten dürfen. Ein Bandscheibenvorfall braucht Zeit, aber er ist nicht das Aus für Reiter. Im Gegenteil: Es gibt auch Bandscheibenvorfälle, mit denen man zum Beispiel Schritt reiten kann und das sogar die Beschwerden lindert.

Auch Sitzprobleme werden behandelt

Können Sie in der Spezialsprechstunde auch bei Sitzproblemen helfen?

Ja. Es gibt zum Beispiel den Klassiker, das Einknicken in der Taille. Das stand auch bei mir im Protokoll (lacht). Ich weiß also aus Erfahrung, wie schwer es ist, einen Fehler, der sich eingeschlichen hat, wieder abzutrainieren. Denn das Problem ist: Das Gehirn speichert den falschen Sitz als richtig ab. Man sagt, dass es etwa 10.000 Wiederholungen braucht, um die Korrektur abzuspeichern. Bei der einknickenden Hüfte gibt es übrigens einen Trick. Wer mit der rechten Hüfte einknickt, sollte die linke Hand mal tiefer, also unter dem Widerrist führen. Dadurch sitzt man gerader.

Zweimal die Woche gibt es einen Ergänzungskurs.
Zweimal die Woche gibt es einen Ergänzungskurs. © Foto: instagram.com/riderscoc_jule

Gibt es einen Ergänzungssport, den Sie Reitern empfehlen?

Ja. Denn auch wenn Reiten ein toller Sport ist – wer reitet, sollte zusätzlich Ergänzungstraining machen, zum Beispiel den Rumpf stabilisieren. Denn: Die tiefe Muskulatur, die an der Wirbelsäule entlangläuft, lässt schon mit 25 bis 30 Jahren nach. Dafür sind zum Beispiel Coretraining und Pilates ideal. Und dann ist ein Abduktoren-Training gut. Die Abduktoren brauchen wir Reiter nämlich nur zum Auf- beziehungsweise Absteigen. Beim Reiten selbst trainieren wir die Adduktoren, auch wenn wir nicht klemmen sollen, sind sie einfach bei der Fixierung im Sattel mehr oder weniger beteiligt. Sie brauchen als Gegenspieler aber zur Balance die Abduktoren. Bei uns im "Athleticum" bieten wir deshalb auch zweimal die Woche den Kurs "Athletisch im Sattel" als Ergänzungssport an. Da wird ganz individuell auf die jeweiligen TeilnehmerInnen eingegangen.

Sie organisieren mittlerweile auch Symposien für Reiter und Reitinteressierte. Warum?

Ich liebe den Sport immer noch, auch wenn ich selbst vielleicht alle zwei Wochen mal auf dem Pferd sitze. Ich möchte alles tun, um den Reitsport auch in der Wahrnehmung zu verbessern. Wir sind alle verantwortlich dafür, dass wir unseren Sport positiv darstellen. – Und immer wieder klarmachen, dass wir einen umsichtigen Umgang mit dem Pferd haben. Dazu gehört auch, sich selbst zu reflektieren und auch den Fehler bei Problemen bei sich abklären zu lassen.

Dazu liegt Ihnen das Thema Sicherheit am Herzen…

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Richtig. Als Unfallchirurgin habe ich auch viele Kopfverletzungen zum Beispiel nach einem Sturz vom Pferd gesehen. Deshalb setzte ich mich dafür ein, dass jeder immer eine Reitkappe trägt. Denn noch immer gibt es Reiter, die sagen: "Ich reite seit 30 Jahren ohne, ich bleibe dabei." Deshalb machen wir da viel Aufklärungsarbeit. Beim Skifahren gibt es auch keine Helmpflicht und trotzdem geht fast niemand mehr ohne Helm auf die Piste.  © Pferde.de

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