• 2020 brachten in Deutschland so viele Frauen ein Kind außerhalb eines Krankenhauses zur Welt, wie nie zuvor in den letzten beiden Jahrzehnten.
  • Doch Gynäkologen und Hebammen sind sich uneins: Ist eine Hausgeburt sicher oder nicht? Wir haben mit beiden Seiten gesprochen.

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Wie viele Kinder genau in den vergangenen Jahren in Deutschland zu Hause das Licht der Welt erblickten, ist unklar. Zum Sammelbegriff "außerklinische Geburten", die in einem jährlichen Qualitätsbericht veröffentlicht werden, zählen nämlich auch Entbindungen in Geburtshäusern und Hebammenpraxen. Feststeht aber: Hausgeburten liegen im Trend.

Kamen noch 2001 in Deutschland nur 1,1 Prozent der Neugeborenen außerhalb eines Krankenhauses zur Welt, waren es 2020 bereits 1,8 Prozent – nämlich 13 969 der 776 306 geborenen Babys. Der Großteil davon war geplant. Die Zahlen basieren auf Umfragen der Hebammenverbände bei ihren Mitgliedern. Amtlich erfasste Zahlen zu Hausgeburten gibt es nicht.

Hebamme: "Es spricht nur wenig dagegen"

"Aus meiner Sicht spricht ziemlich viel für eine Hausgeburt und nur wenig dagegen", sagt Heidi Bösel. Die Hebamme ist seit Jahrzehnten tätig, hat selbst bereits Hausgeburten begleitet. Aus der Erfahrung weiß Bösel: Für eine Hausgeburt entscheiden Frauen sich vor allem aus zwei Gründen.

"Die gewohnte Umgebung zu Hause schafft Ruhe und Sicherheit", sagt die Hebamme. Frauen könnten sich besser öffnen und seien nicht so verspannt. Solange alles in Ordnung sei, könnte die werdende Mutter machen, was sie wolle – essen, in die Badewanne oder auf die Toilette gehen. "Im Kreißsaal wird oft ein Katheter gelegt, weil niemand Zeit hat, die Frau aufs Klo zu begleiten", weiß Bösel.

Bessere Betreuung bei Hausgeburt

Ein weiterer Beweggrund sei eine selbstbestimmte Entbindung mit 1:1 Betreuung. "Die Frauen wünschen sich eine Hebamme, die nur Aufmerksamkeit für ihre Geburt hat und nicht von einem Kreissaal zum nächsten rennen muss", sagt die Hebamme. Die Frauen wollten keinen Wehentropf, nur weil das Kind bis zum Schichtwechsel geboren sein müsse.

"Das macht die Natur alles von alleine und man muss ihr die Chance dazu geben", betont Bösel. Es gehe darum, sich mehr auf seine Intuition zu verlassen und nicht auf Leitlinien. "Frauen haben von der Natur die Gebärfähigkeit bekommen, ein Kind auf die Welt zu bringen", erinnert die Hebamme.

Hausgeburt kann abgebrochen werden

Uneingeschränkt rät jedoch auch Bösel nicht zur Hausgeburt. " Wenn eine Frau nicht gesund ist und eine Schwangerschaft nicht normal verlief – bei Mehrlingen, bei Beckenendlage, bei Bluthochdruck oder Blutungen in der Vorgeschichte – dann machen wir Hebammen keine Hausgeburt", sagt sie. Frauen hätten außerdem zu jedem Zeitpunkt die Option, sich dafür zu entscheiden, doch in die Klinik zu fahren.

"Wenn ich als Hebamme während einer Geburt merke, dass es einer Frau oder dem Kind nicht gutgeht – weil etwa Fieber auftritt, der Blutdruck entgleist oder grünes Fruchtwasser austritt – breche ich eine Hausgeburt in Ruhe ab", erklärt Bösel. Auch, wenn die Plazenta nach einer Stunde nicht komme, stehe eine Fahrt in die Klinik an.

Schwierig, Hebamme zu finden

Besonders in Süddeutschland sind außerklinische Geburten beliebt: Im bayerischen Postleitzahlen-Gebiet 91, zu dem die Städte Erlangen, Schwabach und Ansbach gehören, kamen 2020 über 600 Kinder außerklinisch zur Welt.

Auch, wenn der Anteil außerklinischer Geburten insgesamt zugenommen hat: Bei Hebammen sind sie nicht besonders beliebt. Eine Hebamme zu finden, die eine Hausgeburt begleitet, kann mitunter zum Problem werden. Grund sind allerdings keine Bedenken seitens der Hebammen, sondern versicherungstechnische Gründe: Für Hebammen wird es immer schwieriger, einen Haftpflichtschutz für Hausgeburten zu bekommen.

Großteil der Mediziner rät ab

Zwar hält auch Gynäkologin Johanna Hartmann (Name geändert) eine Hausgeburt durchaus für das schönere Erlebnis, bei dem die Geburt durch die entspannte Atmosphäre sogar schneller vonstatten gehen könne.

Aber: "Als Medizinerin habe ich viel gesehen und weiß, was alles passieren kann. Ich würde deshalb in erster Linie zur Krankenhausgeburt raten", sagt sie. Die Krankenhausgeburt sei die sicherere Variante. "Es ist schließlich ein ganzes Ärzteteam vor Ort", erinnert die Medizinerin, die als Assistenzärztin in der Geburtshilfe arbeitet.

Nicht notwendige Interventionen

Damit entspricht Hartmanns Einschätzung auch der Empfehlung der Berufsverbände. Sowohl der Berufsverband der Frauenärzte als auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe stehen der außerklinischen Geburt kritisch gegenüber und raten nur in wenigen Fällen dazu.

Hartmann gibt zu: "In der Klinik finden teilweise Interventionen statt, die im Nachhinein nicht notwendig gewesen wären." Gleichzeitig könne schnelles Handeln im Krankenhaus dem Kind im Notfall aber auch das Leben retten.

Variante "Nummer Sicher"

Die Gynäkoligin erklärt: "Es gibt Befunde in der Klinik, auf deren Grundlage sicherheitshalber Untersuchungen durchgeführt werden. Das kann zum Beispiel eine Mikroblutuntersuchung mit einem Blutstropfen aus dem Kopf des Kindes sein. Oder man entscheidet sich wegen eines schlechten CTGs für eine Saugglockengeburt oder einen Kaiserschnitt".

Man entscheide in der Klinik auf "Nummer Sicher" – bei einer Hausgeburt komme es nicht zu solchen "unnötigen" Interventionen. "Allerdings findet bei einer Hausgeburt oft auch keine kontinuierliche CTG-Überwachung statt", erinnert Hartmann. Bei schlechten Befunden könne sofortiges Handeln aber lebensrettend sein.

Keine Hausgeburt bei Risikofaktoren

Ein Sauerstoffmangel beim Neugeborenen könne gravierende Folgen haben. "An viele Krankenhäuser sind deshalb direkt Kinderkliniken angebunden, die das Neugeborene im Ernstfall schnell versorgen können", sagt die Gynäkologin.

Auch das Risiko für die Mutter schätzt sie bei einer Krankenhausgeburt als geringer ein. Komme es zu einer späten Schwangerschaftsvergiftung, einer Eklampsie oder würden andere Vorerkrankungen relevant, könne man im Krankenhaus sofort reagieren. "Das Hauptrisiko ist aber, dass eine Frau zu stark blutet. Wenn sich nach der Geburt der Mutterkuchen löst, kann die Frau so stark bluten, dass sie schnell Hilfe braucht", weiß Hartmann.

Entfernung zur Klinik relevant

Dann könne auch der Weg zum Krankenhaus mit dem Auto noch zu lange dauern. "Es geht hier um wenige Minuten", weiß die Medizinerin. Die Entfernung zur nächsten Klinik sollte deshalb bei der Entscheidung für eine Hausgeburt miteinbezogen werden. Zwar sind 90 Prozent der Geburtshäuser in Deutschland maximal zehn Kilometer von einer Klinik entfernt – aber nur 66 Prozent der Hausgeburten.

"Zudem kann man im Krankenhaus medikamentös besser nachhelfen, manchmal sind auch operative Eingriffe notwendig", sagt Hartmann. Das könne beispielsweise bei einer Schulterdystokie der Fall sein, bei der nach der Geburt des Kopfes eine eingeklemmte Schulter für einen Geburtsstillstand sorge.

Niedrigere Kaiserschnittrate

Laut "Qualitätsbericht für außerklinische Geburtshilfe" mussten im Jahr 2019 immerhin 2.232 von 14.319 Frauen, die die Geburt außerhalb des Krankenhauses begonnen hatten, wegen Erschöpfung oder Komplikationen doch noch in eine Klinik verlegt werden – knapp jede Sechste also. 18 Kinder starben.

Zwar liegt die Kaiserschnittrate bei außerklinisch begonnenen Geburten mit etwa fünf Prozent deutlich unter der klinischen Kaiserschnittrate von 30 Prozent, in Krankenhäusern entbinden aber auch deutlich mehr Risikoschwangere.

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"Auf eigenes Gefühl hören"

Das Fazit von Medizinerin Hartmann deshalb: "Eine Frau mit Risiken sollte niemals eine Hausgeburt machen". Eine Risikoschwangerschaft liegt bereits vor, wenn die Gebärende älter als 35 Jahre oder stark übergewichtig ist. Auch bei besonders kleinen oder großen Kindern, Herzfehlern, Diabetes oder einer ungünstigen Kindslage raten Mediziner dringend von einer Hausgeburt ab.

Liegt die Plazenta vor dem Muttermund oder deutet ein Ultraschall darauf hin, dass die Nabelschnur um den Hals des Kindes gewickelt ist, sollte ebenfalls eine Geburt im Krankenhaus angestrebt werden. "Eine Hausgeburt würde ich erst ab dem zweiten Kind empfehlen, eine erste Geburt dauert meist am längsten", rät Hartmann. Schließlich sollte die Gebärende auf ihr eigenes Gefühl hören und abwägen, wie sicher sie sich zu Hause fühle.

Über die Expertinnen:
Heidi Bösel ist freiberufliche Hebamme und seit mehreren Jahrzehnten tätig. Sie betreibt eine eigene Hebammenpraxis in Bochum.
Johanna Hartmann (Name geändert) ist Gynäkologin. Sie arbeitet als Assistenzärztin in der Geburtshilfe in einer Klinik im Ruhrgebiet.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Heidi Bösel
  • Interview mit Johanna Hartmann
  • Gesellschaft für Qualität in der Außerklinischen Geburtshilfe e.V. (QUAG): Geburtenverteilung im Jahr 2020 nach zweistelligen Postleitzahlgebieten
  • Gesellschaft für Qualität in der Außerklinischen Geburtshilfe e.V. (QUAG): Geburtenzahlen in Deutschland
  • Gesellschaft für Qualität in der Außerklinischen Geburtshilfe e.V. (QUAG): Qualitätsbericht 2019
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