• Das Thema Impfen spaltet nicht nur die Gesellschaft, sondern sorgt auch innerhalb so mancher Familie für Streit.
  • Das eigene Kind gegen Corona impfen lassen oder nicht? Wie es weitergeht, wenn sich Eltern bei dieser Frage nicht einig sind.

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Die Mutter wünscht sich für die siebenjährige Tochter eine Schutzimpfung gegen Corona, am liebsten sofort. Der Vater ist strikt dagegen. So ein Streit könnte in diesen Tagen bei vielen Eltern auftreten. Denn die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat den Impfstoff von Biontech/Pfizer für Fünf- bis 11-Jährige zugelassen. Damit steht auch hierzulande offiziell ein Impfstoff für die Altersgruppe bereit.

Das bedeutet, dass nun wohl mehr Kinderärztinnen und Kinderärzte in der Lage sein werden, diese Impfungen für unter Zwölfjährige anzubieten. Eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) dazu steht allerdings noch aus. Richtig Fahrt aufnehmen sollen die Kinderimpfungen kurz vor Weihnachten. Ab dem 20. Dezember sollen 2,4 Millionen Dosen des Impfstoffes für Kinder verfügbar sein.

Streit kann vor Gericht landen

So ist also der Stand: Der Impfstoff ist für diese Altersgruppe zugelassen, in wenigen Wochen soll eine Menge davon zur Verfügung stehen, eine Stiko-Empfehlung gibt es noch nicht. Damit zurück zum geschilderten Szenario: Die Mutter möchte die Impfung, der Vater nicht. Wie geht es in solchen Fällen weiter?

"In intakten Familien wird es bei Unstimmigkeiten einen heftigen Austausch geben und schließlich eine Einigung", sagt Eva Becker, Rechtsanwältin und Expertin für Familienrecht. Wenn das nicht passiert, kann ein Elternteil vor Gericht ziehen. "Das muss die Person sein, die eine Impfung durchführen will, obwohl das andere Elternteil dagegen ist", sagt Becker. Der Grund: Diese Person möchte eine alleinige Entscheidung treffen, obwohl das bei einem geteilten Sorgerecht nicht erlaubt ist, erklärt die Anwältin.

Gericht prüft: Wer hat die besseren Argumente? Was sagt das Kind?

Mit solchen Fällen mussten sich Gerichte auch schon vor der Coronapandemie immer wieder beschäftigen - auch um Impfungen gegen Masern, Tetanus oder Keuchhusten kann es Streit in Familien geben. Das Gericht bestimmt in so einer Situation nicht, ob ein Kind geimpft wird oder nicht. "Sondern es entscheidet, wer die Entscheidung für das Kind treffen darf", sagt Eva Becker.

Außerdem spielen der Wille und natürlich das Wohl des Kindes eine Rolle. Im Alter von fünf bis elf Jahren dürfen Kinder zwar noch nicht selbst über medizinische Fragen wie Impfungen entscheiden. Erst ab 14 Jahren wird ihnen die geistige Reife dafür grundsätzlich zugetraut, dann spielt ihre Meinung eine größere Rolle.

Doch auch für Jüngere gilt: "Was sie sagen, hat Gewicht. Deshalb werden sie angehört", sagt Becker. Darüber hinaus sind vor allem die Argumente der Eltern entscheidend - und deren Grundlage. "Wer sich an der Wissenschaft und an Fach-Gremien orientiert, hat vor Gericht natürlich bessere Chancen als Eltern, die sich eher an Verschwörungstheoretiker halten", sagt Becker.

Stiko-Empfehlung hat großen Einfluss

Besteht eine Stiko-Empfehlung für eine Impfung, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese maßgeblichen Einfluss auf das Urteil hat. Das zeigt ein Blick in die bisherige Rechtssprechung.

So beschloss zum Beispiel das Oberlandesgericht Frankfurt am Main im August 2021 im Streit um die Corona-Impfung eines 16-jährigen Kindes: Liegen eine Stiko-Empfehlung und der Wille des Kindes vor, sich impfen zu lassen, wird die Impfentscheidung dem Elternteil übertragen, das für die Impfung ist (Az.: 6 UF 120/21).

Orientierungshilfen für Eltern

Mit Blick auf die Corona-Impfung für Kinder kann es in vielen Familien Unsicherheiten oder Streitigkeiten geben - ohne dass diese vor Gericht landen. Woran sollten sich Eltern orientieren, wenn sie über die Impfung ihrer Kinder entscheiden müssen?

Der Kinderarzt Jakob Maske rät Eltern, auf die Stiko-Empfehlung zu warten. Durch sie sei klar, ob die Impfung sinnvoll sei. "Ob ihr Nutzen also größer ist als das Risiko", so der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. "Es muss eine Studienlage geben, die zeigt, dass die Impfung für Kinder sicher ist und tatsächlich etwas bringt", sagt Maske.

Einigung ohne Richter

Doch auch mit vorhandener Stiko-Empfehlung kann es passieren, dass die Familie übers Impfen streitet. Was rät Maske in dieser Situation? "Man kann nicht immer Einigkeit zwischen zerstrittenen Eltern erzeugen, aber es ist immer sinnvoll, sich von einem unabhängigen Spezialisten beraten zu lassen", sagt der Mediziner. "Natürlich gibt es auch zwischen Kinder- und Jugendärzten unterschiedliche Meinungen, aber man sollte sich die Vor- und Nachteile schildern lassen und wertfrei darüber diskutieren."

Zusätzlich oder vorbereitend zur ärztlichen Beratung können sich Eltern selbst über die Vorteile und möglichen Risiken der Impfung informieren - hier sollte man auf fundierte Quellen achten. Gute Anlaufstellen im Internet sind beispielsweise die Website des Robert Koch-Institutes und das Portal "Infektionsschutz.de" von der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA).

Herrscht trotz guter Information und ärztlicher Beratung keine Einigkeit, muss der Familienstreit nicht gleich vor Gericht landen. Vorher könnten sich Eltern ans Jugendamt oder an andere Beratungsstellen wenden und versuchen, zu einer Einigung zu kommen, sagt Anwältin Eva Becker. "Das ergibt aber nur Sinn, wenn man offen für die Meinung des Anderen ist und bereit ist, diese zu erwägen." (dpa/af)

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