• Das derzeit geltende Beherbergungsverbot setzt der Hotel- und Gaststättenbranche extrem zu.
  • Trotzdem sind viele Kreuzfahrtschiffe auf den Meeren unterwegs.
  • Wir zeigen, was hinter der vermeintlichen Ungleichbehandlung steckt.

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Seit November 2020 gilt für Hotels ein weitreichendes Beherbergungsverbot. Zwar unterscheiden sich die Regelungen von Bundesland zu Bundesland, jedoch sind Übernachtungen zu touristischen Zwecken so gut wie überall verboten.

"Unsere gesamte Branche befindet sich in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg", sagt Thomas Lengfelder, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA) im Gespräch mit unserer Redaktion. Es machten sich zunehmend Wut und immer stärker werdende existenzielle Sorgen breit, sagt Lengfelder.

"Zwei Drittel aller Betriebe bangen um ihre Existenz. Jedes vierte Unternehmen zieht konkret die Geschäftsaufgabe in Erwägung. Die Verzweiflung wächst." Die Zahlen unterstreichen dies: So fiel der Umsatz pro verfügbarem Hotelzimmer 2020 im Vergleich zu 2019 um 63,8 Prozent.

Währenddessen waren den ganzen Winter über Kreuzfahrtschiffe unterwegs. Große Anbieter wie etwa TUI Cruises oder Hapag-Lloyd Kreuzfahrten hatten Reisen im Programm. Dabei sind Kreuzfahrtschiffe umgangssprachlich auch nur schwimmende Hotels.

Und sie sind durchaus nicht vor Infektionsfällen gefeit, wie ein aktueller Fall zeigt: Derzeit sitzen etwa 1.000 Arbeitende und Besatzungsmitglieder nach Corona-Infektionen auf dem Meyer-Kreuzfahrtschiff "Odyssey of the Seas" in Bremerhaven fest. Wie kommt es also zu der ungleichen Regelung?

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Sonderbehandlung für Kreuzfahrten?

Alexis Papathanassis, Professor am Lehrstuhl für Kreuzfahrttourismus an der Hochschule Bremerhaven, will Kreuzfahrtschiffe und Hotels nicht gleichsetzen. "Hotels beugen sich den Regeln des jeweiligen Landes", sagt Papathanassis.

"Bei Kreuzfahrtschiffen dagegen gilt die sogenannte 'Flag of Convenience': Wenn ein Kreuzfahrtschiff zum Beispiel unter der Flagge Panamas fährt, unterliegt es den Gesetzen Panamas. Sobald es sich in der jeweiligen Zwölf-Meilen-Zone eines Landes befindet, gelten die dortigen Gesetze", erläutert er.

Es gibt also keine Sonderbehandlung für Kreuzfahrtschiffe in Deutschland. Anders als Hotels haben die Cruiseliner jedoch die Möglichkeit, das Land einfach zu "wechseln".

Die Kanaren sind zurzeit das beliebteste Kreuzfahrtziel

Schiffen Passagiere an einem deutschen Hafen ein, greift die hiesige Gesetzgebung – eine Reise ist somit nicht möglich. Wohl aber in anderen Ländern. Im Augenblick sind das vor allem die Kanaren, weil dort die Häfen noch offen haben.

"Die überwiegende Anzahl der Kanarischen Inseln weist moderate Infektionszahlen auf. In Folge der weiter sinkenden Fallzahlen gilt gesamt Spanien seit dem 20. Februar 2021 als Risikogebiet – und nicht mehr als Hochinzidenzgebiet." So heißt es in einer Mitteilung auf der Website von TUI Cruises.

Touristen fliegen also mit dem Flugzeug auf eine der Inseln und betreten dort das Schiff. Die Reise führt durch internationale Gewässer und endet wieder auf den Kanaren.

Bereits im Sommer 2020 hatten mehrere Kreuzfahrtunternehmen begonnen – in beschränktem Umfang –, wieder Reisen anzubieten. Allein bei der "Mein Schiff"-Flotte von TUI Cruises hatten von Juli 2020 bis Februar 2021 mehr als 60.000 Gäste eingecheckt.

Strenge Hygienekonzepte sollen Kreuzfahrten möglich machen

Dennoch ließen die weltweiten Reisebeschränkungen infolge der Pandemie den Großteil der geplanten Reisen nicht zu, wie Godja Sönnichsen, Pressesprecherin bei TUI Cruises, erklärt.

Aktuell (März 2021) haben deshalb die meisten Anbieter ihre Reisen eingestellt. Bei AIDA Kreuzfahrten liegen alle Schiffe im Hafen.

Und auch Hapag-Lloyd Cruises, deren Luxusliner MS Europa 2 im Februar noch rund um Teneriffa unterwegs war, hat alle Fahrten eingestellt.

Und so ist im Augenblick TUI Cruises das einzige deutsche Kreuzfahrtunternehmen, dessen Schiffe auslaufen. "Wir bieten aktuell mit zwei Schiffen Kreuzfahrten auf die Kanaren an", sagt Godja Sönnichsen, "mit strengem Hygienekonzept."

Ein wichtiger Baustein dieses Konzepts sind umfassende Tests. "Sowohl von der Crew als auch den Gästen kommt keiner ohne ein negatives Testergebnis an Bord", sagt Sönnichsen. "Die Crew-Mitglieder gehen sogar zwei Wochen in Einzel-Isolation auf der Kabine, bevor sie ihren Dienst antreten."

Trotz Corona-Ausbrüchen: Kreuzfahrten bleiben begehrt

Generell werden die Schiffe nur zu 60 Prozent belegt. Außerdem gebe es an Bord eine umfassende Kontaktnachverfolgung. "Für den unwahrscheinlichen Fall, dass es eine Corona-Infizierung gibt, können wir schnell nachvollziehen, wo diese stattgefunden hat", sagt Sönnichsen.

Und doch kann ein Corona-Ausbruch nie zu 100 Prozent ausgeschlossen werden. Das musste just auch TUI Cruises erfahren, als es im Februar zu vier Corona-Fällen an Bord der "Mein Schiff 2" gekommen war.

Trotzdem sei das Interesse an Reisen nach wie vor groß, sagt Sönnichsen. "Wir planen, so bald wie möglich wieder mit mehr Schiffen unterwegs zu sein."

Einschränkungen wie Abstandsregeln oder regelmäßige Temperaturmessungen werden wohl vorerst bestehen bleiben. Dazu kommt die Gefahr, dass bei einem tatsächlichen Corona-Ausbruch ein ganzes Schiff unter Quarantäne gestellt werden könnte. Wie kommt es also, dass trotz alldem das Interesse an den Reisen ungebrochen ist?

Ein Tourismus-Experte bestätigt: Immer mehr Kunden drängen auf den Markt

Kreuzfahrt-Experte Alexis Papathanassis hat eine relativ simple Erklärung: "Ich glaube, dass die Kunden Kreuzfahrten einfach toll finden. Der Drang zu reisen ist stark vorhanden."

Kreuzfahrten bieten eine der wenigen Möglichkeiten, Reisen noch zu genießen. Vor allem, da sich die Branche in den letzten Jahren stark verändert hat.

"Es gab eine Demokratisierung des Produktes", sagt Papathanassis. "Früher waren Kreuzfahrten sehr teuer und – zumindest in Europa – sehr elitär. Mit dem Kapazitätszuwachs, den die Branche in den letzten zehn Jahren erlebt hat, wurden die Schiffe größer. Damit konnte man die Preise reduzieren, der Markt ist breiter geworden."

Es drängen also immer mehr Kunden auf den Kreuzfahrtmarkt. Und solange andere Arten von Reisen nicht möglich sind, werden eben Kreuzfahrten gebucht.

Vielleicht zeigt sich hier sogar ein Modell mit Zukunftspotenzial. Denn bei Kreuzfahrten befinden sich Passagiere und Crew in einer Art "Bubble". Auch Landausflüge sind auf diese Art durchführbar.

Sind Kreuzfahrten bald nur noch für Geimpfte möglich?

"Kreuzfahrten sind ein geschlossenes System", bestätigt Papathanassis. "Es ist sehr einfach zu kontrollieren, wer rein- und wer rauskommt. So lassen sich die Hygienevorgaben relativ leicht umsetzen."

Urlaub in der Bubble könnte also Normalität werden. Vor allem, wenn man davon ausgeht, dass wir noch lange mit dem Virus leben müssen.

Denkbar ist auch, dass nur noch geimpfte Passagiere an Bord dürfen. Die britische Kreuzfahrtreederei Saga kündigte bereits Ende Januar ein solches Modell an. Amerikanische Reedereien wollen folgen.

Die Beliebtheit der Reiseform wird wohl nicht leiden. Papathanassis erwartet mit der Lockerung der Reisebestimmungen sogar ein Phänomen, das er "Revenge Travel" nennt. "Man will reisen, was das Zeug hält. Man will sich etwas gönnen. Und dafür sind Kreuzfahrten eine attraktive Möglichkeit."

Kreuzfahrtbranche will im Frühling durchstarten

Und so bereiten sich die meisten Kreuzfahrtunternehmen darauf vor, im Frühjahr ihre Schiffe wieder auf die Weltmeere zu entsenden. "Wir sprechen intensiv mit den Verantwortlichen aller Sommerfahrtgebiete und gehen davon aus, in diesem Frühjahr wieder mehr Fahrt aufnehmen zu können", sagt Godja Sönnichsen von TUI Cruises.

Auch bei AIDA soll es ab Ende März wieder losgehen, dann mit den Zielen Kanaren, Adria und Nordeuropa. Und die Europa 2 soll am 27. März zu ihrer nächsten Reise starten.

Selbst DEHOGA-Vertreter Thomas Lengfelder findet versöhnliche Worte: "Es ist ja Gott sei Dank den Deutschen nicht verboten, Urlaub zu machen."

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Alexis Papathanassis
  • Interview mit Godja Sönnichsen
  • Interview mit Thomas Lengfelder
  • ndr.de: "Quarantäne nach Corona-Fällen auf der "Mein Schiff 2"
  • Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Auf diesen Kreuzfahrten müssen Reisende gegen Corona geimpft sein"
  • TUI Cruises: "Aktuelle Reiseinformationen"
  • Website von TUI Cruises
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