Stuttgart (dpa) - Es ist ein Albtraum: Ein Altstadtbummel in der türkischen Hauptstadt Istanbul. Dann eine jähe Explosion. Ein Selbstmordattentäter sprengt sich inmitten einer Gruppe Touristen in die Luft. Acht Deutsche sterben.
Es ist nicht das erste Attentat auf Urlauber in diesem Jahr. Erst wenige Tage zuvor hatten zwei junge Männer Touristen im beliebten ägyptischen Badeort Hurghada mit einem Messer angegriffen und verletzt.
"Der Terrorismus wendet sich direkt und ohne Umschweife gegen Touristen. Das ist eine neue Dimension", sagt Martin Lohmann vom Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Kiel. Fünf Jahre nach dem arabischen Frühling kommt der südliche und östliche Mittelmeerraum nicht zur Ruhe. In der Branche ist von "Unsicherheiten" die Rede. Im Fachmagazin FVW hieß es im Dezember, der Ausblick falle deutlich vorsichtiger aus als im Vorjahr. Ziele im östlichen Mittelmeer liefen deutlich schleppender an als etwa Spanien und Portugal.
Dabei gehörte die Türkei in den vergangenen Jahren eigentlich zu den Gewinnern unter den Mittelmeerländern. Seit 2012 strömten jedes Jahr mehr Deutsche in das Land. 2015 waren es nach türkischen Behördenangaben 5,5 Millionen Gäste aus Deutschland. Das Land war nach Spanien und Italien zuletzt das beliebteste Auslandsreiseziel der Deutschen. Ob das allerdings nach dem tragischen Jahresauftakt so bleiben wird, ist noch unklar. Derzeit laufen die Buchungen für den Sommer. "Die Wirkung solcher Anschläge ist meist regional und zeitlich begrenzt", sagt Lohmann.
Das Auswärtige Amt sprach keine Reisewarnung, wohl aber einen Reisehinweis aus. Reisenden in Istanbul und anderen Großstädten der Türkei werde dringend geraten, Menschenansammlungen auch auf öffentlichen Plätzen und vor touristischen Attraktionen zu meiden.
Mehr als 95 Prozent des Tourismus spiele sich an den Mittelmeerstränden im Westen der Türkei ab, sagt ein Sprecher des größten deutschen Reiseveranstalters Tui. Istanbul sei in der Vergangenheit schon häufiger Zielscheibe von Anschlägen gewesen. Trotzdem habe sich die Türkei sehr gut entwickelt. Ob das in diesem Fall genauso sein wird, sei allerdings "schwer zu sagen".
Wie schnell sich Urlauber von einem Reiseland abwenden können, zeigt das Beispiel Tunesien: Das Land zählt mit mehr als 400 000 Urlaubern aus Deutschland in den vergangenen Jahren zu den beliebtesten Reisezielen in Nordafrika und erholte sich nach einem Einbruch im Jahr des arabischen Frühlings schnell wieder.
Nach den Attacken auf das Bardo-Museum in Tunis und auf wehrlose Urlauber am Strand von Sousse im vergangenen Jahr blieben die für Tunesien so wichtigen Touristen allerdings erneut weg. Einen Rückgang im zweistelligen Prozentbereich sieht der Deutsche Reise-Verband (DRV) für 2015 - dabei hatte Deutschland keine Reisewarnung für das Land ausgesprochen. Und das Land hätte nach Einschätzung des Tui-Sprechers durchaus Chancen: "Die Hotels sind besser geworden, das Angebot ist besser geworden."
Auch Ägypten hatte sich von den Einbrüchen nach dem arabischen Frühling wieder erholt. Die aus Deutschland gebuchten Reisen legten im vergangenen Jahr trotz des Flugzeugabsturzes auf der Sinai-Halbinsel zweistellig zu. Ob das Attentat in Hurghada Wirkung zeigen wird, bleibt abzuwarten, so der Tui-Sprecher. Zeigt sich ein Effekt, könnte das verheerende Wirkung haben. Mehr als 90 Prozent der deutschen Urlauber reisen nach Angaben eines Sprechers des DRV an die Strände der Festland-Region am Roten Meer um Hurghada und Marsa Alam.
Das relativ stabile Marokko profitierte dagegen von der Unsicherheit anderer Länder in der Maghreb-Region. Die Zahl der deutschen Urlauber konnte sich von 2012 bis 2014 mehr als verdoppeln. Im vergangenen Jahr notierte der DRV noch einmal zehn Prozent Plus.
Den Urlaub ganz vermiesen lassen sich die Deutschen nicht - das zeigen die stetig wachsenden Ausgaben für Reisen in den vergangenen Jahren. Allerdings ist man sich in der Branche jetzt schon sicher, dass sich die Reiseströme am Mittelmeer in diesem Jahr weiter nach Westen verlagern werden. Spanien dürfte von der Unsicherheit in den arabischen Ländern profitieren - und auch das liebste Reiseland der Deutschen: Deutschland selbst. © dpa
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