Der deutsche Leitindex DAX bewegt sich auf einem Rekordhoch. Dabei sprechen alle Kennzahlen für eine Eintrübung der wirtschaftlichen Lage in Europa. Was steckt hinter der Entwicklung? Und wie sollten Anleger reagieren?

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Es ist ein Fest für die Bullen – und ein Drama für die Bären: Der deutsche Leitindex DAX hat in den letzten Wochen zu einer robusten Jahresendrallye angesetzt. Am Dienstag erreichte der Index am dritten Handelstag in Folge eine neue Bestmarke, die am Mittag bei rund 16.830 Punkten (Stand: 11 Uhr) lag. Damit hat der wichtigste deutsche Börsenindex seine positive Entwicklung der vergangenen Wochen weiter ausgebaut. Seit dem Korrekturtief vom 23. Oktober (14.630 Punkte) waren es innerhalb von sieben Wochen in der Spitze 15 Prozent.

Die Kursrallye an der Börse trifft damit auf eine Zeit, die eigentlich von schlechten Nachrichten dominiert wird. Krieg in Nahost, Sorgen vor einer Rezession in Deutschland sowie die anhaltend hohe Inflation sind allesamt Anzeichen, die dem Gefühl steigender Börsenkurse widersprechen. Was also sind die Gründe, die den DAX trotzdem steigen lassen? Welche Unternehmen profitieren besonders? Und was sollten Anleger jetzt tun? Wir klären die wichtigsten Fragen.

Warum hat der DAX ein neues Allzeithoch erreicht?

Kurze und kalte Tage mögen die Stimmung im letzten Viertel des Jahres trüben – für Aktionäre ist die dunkle Jahreszeit aber meist attraktiv. Denn statistisch gesehen sind die drei letzten Monate des Jahres am Aktienmarkt die stärksten. So hat der Dax seit seiner Einführung im Jahr 1987 im Durchschnitt in den letzten drei Monaten des Jahres sieben Prozent gewonnen – also fast so viel wie im gesamten Jahr. Dieses Phänomen, das auch als Jahresendrallye bezeichnet wird, lässt sich nicht nur beim deutschen Leitindex beobachten, sondern trifft auf fast alle großen Indizes zu. Erklärungen für das Phänomen gibt es zahlreiche: So spricht einiges dafür, dass viele Menschen ihre Bonuszahlungen, die sie meistens am Ende des Jahres erhalten, in den Index investieren. Dazu kommt, dass viele Aktionäre ihre Depots aufgrund von Steuerersparnissen zum Jahresende umschichten. Und nicht zuletzt gibt es die Praxis, dass bestimmte Fonds im Jahr gut laufende Aktien am Jahresende zukaufen, um ihr Produkt aufzuhübschen – auch "window dressing" genannt.

Für Sven Streibel, Chef-Aktienstratege bei der DZ Bank, gibt es über die klassische Jahresendrallye hinaus einen weiteren Grund: Im laufenden Jahr seien Aktien insgesamt zu stark abgestraft worden. "Hohe Konjunktur- und Zinssorgen haben die Kurse des zyklischen DAX in der zweiten Jahreshälfte zunächst auf ein Bewertungsniveau gedrückt, das ungerechtfertigt niedrig war, besonders in Bezug auf die robuste Gewinnentwicklung", so Streibel im Gespräch mit unserer Redaktion. "Dann folgten aber positive Überraschungen, die den Effekt umgekehrt haben." Als Beispiele nennt der Analyst die Luxus-Autohersteller und Finanzunternehmen, die von robusten Quartalszahlen und – im Fall der Finanztitel – hohen Zinsen profitiert hätten. Dazu kämen eine starke US-Konjunktur und insgesamt solide Ausblicke für das kommende Jahr. "Die Börse lebt von Erwartungen – und diese haben sich von einem sehr schwachen Niveau verbessert", sagt Streibel.

Wie passt der Rekord zur gesamtwirtschaftlichen Lage?

Die Wirtschaftsdaten der vergangenen Tage sprechen eine eindeutige Sprache: Nach einer leichten Erholung in den Sommermonaten zeigen alle Indikatoren für die deutsche Wirtschaft nun wieder nach unten. Erst am Mittwoch meldete das Statistische Bundesamt einen Rückgang der Industrieaufträge um 3,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Längst macht das böse Wort von der Rezession wieder die Runde.

Entsprechend schlecht beschreibt die Entwicklung des DAX nach Meinung von Analysten die deutsche Konjunktur. "Das Allzeithoch spiegelt nicht die tatsächliche wirtschaftliche Lage in Deutschland wider", sagt Tobias Krieg, Chefanalyst beim Broker LYNX. "Die meisten DAX-Konzerne sind international aufgestellt und erzielen einen bedeutenden Teil ihrer Gewinne im Ausland." So entfallen über 30 Prozent der Umsätze, die durch DAX-Unternehmen generiert werden, auf die USA, weitere 15 Prozent sind es in China. Insbesondere westlich des Atlantiks wurden zuletzt aber deutlich bessere Wirtschaftsdaten vermeldet als in Europa, die sich wiederum in den Kursen deutscher Unternehmen widergespiegelt haben. Außerdem werden vor allem in Übersee Premiumprodukte ungeachtet der gesamtwirtschaftlichen Lage gekauft, wovon die im DAX stark vertretenen Premium-Autohersteller profitieren. DZ Bank-Analyst Streibel weist auf einen weiteren Punkt hin: Weil DAX-Unternehmen oftmals über hohe Marktanteile verfügen, können sie weiterhin hohe Preise durchsetzen und damit zeitweise auch rückläufige Absatzmengen überkompensieren.

Welche Unternehmen tragen maßgeblich zur aktuellen DAX-Rallye bei?

Blickt man auf die einzelnen DAX-Titel, so stechen wenige Schwergewichte hervor, auf die die Rallye maßgeblich zurückzuführen ist. Seit dem Tief Anfang November waren es vor allem der Mischkonzern Siemens und der Softwarekonzern SAP, die durch ihre schiere Größe die Rallye zu mehr als einem Drittel angetrieben haben. Zusammen mit dem Finanzsektor und Automobilherstellern bilden diese Unternehmen in Summe rund 60 Prozent der jüngsten Performance ab. Auch Titel wie Airbus und Allianz, deren Gewichtung im Index sehr hoch ist, haben im Jahresverlauf teils erheblich gewonnen.

Welche Maßnahmen sollten Anleger jetzt ergreifen?

Wie richtig und wie falsch man auch mitten in einer Rallye liegen kann, zeigt ein Blick auf die besten und schlechtesten Aktien im DAX. So konnten sich im laufenden Jahr besonders die Aktionäre von Adidas (+ 44 Prozent), Heidelberg Materials (+39 Prozent) und Rheinmetall (+35 Prozent) über satte Gewinne freuen. Aktionäre des Pharmariesen Bayer griffen mit einem Minus von 40 Prozent hingegen deutlich daneben. Entsprechend gilt auch bei der Wahl der richtigen Anlagestrategie für die kommenden Monate der berühmte Satz von Mark Twain: "Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen."

Dennoch gibt es einige Indikatoren, an denen sich Anleger orientieren können. So rät LYNX-Analyst Tobias Krieg, sich auf "kostengünstige ETFs, mit denen man diversifiziert investieren kann", zu konzentrieren, um die Risiken hoher Inflationsraten und politischer sowie wirtschaftlicher Umwälzungen zu glätten. Dazu rät er, bei Einzeltiteln auf profitable Unternehmen mit geringer Verschuldung zu setzen: "Dann lassen sich Krisen besser abfedern und hohe Schulden sind bei steigenden Zinsen Gift."

DZ Bank-Anlyst Streibel rät Anlegern hingegen, zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu verkaufen und etwaige Rücksetzer zum Positionsaufbau zu nutzen. "Die Investorenstimmung ist dem realen Umfeld und der Nachrichtenlage entsprechend an einem Tiefpunkt angelangt", sagt Streibel. "Dies birgt ein enormes positives Überraschungspotenzial, insbesondere für konjunktursensible Segmente." Konkret hält Streibel eine Mischung aus günstigen europäischen zyklischen Aktien, deren Gewinnentwicklung vor allem von der Konjunktur abhängt (z.B. Autohersteller), sowie den großen US-Technologietiteln für sinnvoll. Erstere könnten von der Aufhellung des Wirtschaftsumfelds profitieren, letztere seien "ein Wachstumszentrum in einer sonst wachstumsarmen Welt." Von Anlagen im Gesundheitssektor rät Streibel mit Blick auf den anstehenden US-Wahlkampf sowie einer abnehmenden Dollar-Stärke hingegen ab.

Über die Gesprächspartner

  • Sven Streibel verantwortet als Chef-Aktienstratege der DZ BANK AG die Analyse und Prognose globaler Trends am Aktienmarkt.
  • Tobias Krieg ist Chefanalyst bei LYNX Broker und Gründer von longterm-value.de
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