Die Wirtschaftsleistung in Deutschland ist in zwei Quartalen nacheinander gesunken. Die konjunkturellen Aussichten bleiben trübe – auch wenn eines Deutschland wohl erspart bleibt: eine neue Welle der Arbeitslosigkeit.
Wirtschaftlich gesehen geht Deutschland seit Monaten durch ein Wechselbad der Gefühle. Die Folgen des russischen Krieges gegen die Ukraine und der Stopp russischer Gas- und Öl-Lieferungen sorgten im vergangenen Jahr für düstere Aussichten auf Energiekrise und Deindustrialisierung.
Dann schien es doch nicht so schlimm zu kommen wie befürchtet: Die sogenannten Wirtschaftsweisen rechneten im März noch mit einem Mini-Wachstum der deutschen Wirtschaft um 0,2 Prozent. Das Statistische Bundesamt hoffte im April, dass die Bundesrepublik an einer Winterrezession vorbeischrammt.
Jetzt ist sie aber doch da: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte in den ersten drei Monaten 2023 gegenüber dem ersten Quartal 2022 um 0,3 Prozent. Das teilte das Statistische Bundesamt am Donnerstag mit.
Rezession: Was bedeutet das für Bürgerinnen und Bürger?
Das Bruttoinlandsprodukt ist der Wert aller im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen. Sinkt dieser Wert in zwei Quartalen in Folge (im Vergleich zu den entsprechenden Quartalen des Vorjahres), spricht man von einer technischen Rezession. Dieser Fall ist nun eingetreten, weil das BIP sowohl im vierten Quartal 2022 als auch im ersten Quartal 2023 geschrumpft ist.
Für die Bürgerinnen und Bürger hat eine Rezession zunächst keine direkten Folgen. Wenn Unternehmen weniger produzieren und damit weniger Einnahmen haben, kann das allerdings dazu führen, dass sie Arbeitskräfte entlassen. Steigende Arbeitslosigkeit kann daher eine Folge einer Rezession sein. Im vergangenen April waren in Deutschland rund 2,6 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet – das waren 276.000 mehr als im April 2022.
Trotzdem gilt der Arbeitsmarkt in Deutschland als stabil. Weder die Corona-Krise noch die Energiekrise in Folge des russischen Krieges gegen die Ukraine haben zu einer neuen Welle der Arbeitslosigkeit geführt. Ein Grund ist das Kurzarbeitergeld. Es soll Betrieben helfen, Arbeitskräfte zu halten – auch wenn sie vorübergehend zu wenig Arbeit für sie haben.
Hinzu kommt: Viele Unternehmen haben eher mit einem anderen Problem zu kämpfen: Sie finden zu wenig Fachkräfte. Wer heute seinen Job verliert, hat gute Chancen, einen neuen zu finden; zumindest dann, wenn man die passende Ausbildung für die aktuellen Bedürfnisse der Wirtschaft hat.
Inflation drückt Kauflaune
Eine trübe wirtschaftliche Lage kann Unternehmen auch dazu verleiten, die Preise für ihre Produkte zu senken. Das ist bisher aber offenbar nicht der Fall, im Gegenteil. Dem Statistischen Bundesamt zufolge sind steigende Preise der Hauptgrund für die schlechte wirtschaftliche Stimmung.
Die Menschen halten ihr Geld derzeit offenbar lieber zusammen und konsumieren weniger. Für Nahrungsmittel und Getränke, für Bekleidung, Schuhe und Einrichtungsgegenstände gaben die privaten Haushalte weniger aus als im ersten Quartal 2022.
Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist die hohe Teuerung eine Herausforderung: Sie zehrt an ihrer Kaufkraft. Die Menschen können sich für einen Euro weniger leisten. Die Inflation schwächte sich zuletzt zwar ab, die Teuerungsrate lag im April mit 7,2 Prozent aber immer noch auf vergleichsweise hohem Niveau.
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Weniger Bürokratie oder mehr Geld für Beschäftigte?
Und was muss der Staat jetzt unternehmen? Die Antworten darauf fallen erwartungsgemäß höchst unterschiedlich aus. Die Wirtschaft müsse entlastet werden, schrieb der FDP-Politiker Benjamin Strasser, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium, beim Kurznachrichtendienst Twitter: "Überbordende Bürokratie hemmt zunehmend unser Wachstum und muss deshalb schnellstmöglich abgebaut werden."
Der wirtschaftspolitische Sprecher der Linken,
Die Aussichten für das Gesamtjahr? Eher wechselhaft
Auf das komplette Jahr gesehen kann Deutschland noch der Rezession entgehen. Positive Impulse sieht das Statistische Bundesamt zum Beispiel beim Außenhandel: Deutsche Unternehmen exportierten 0,4 Prozent mehr Waren und Dienstleistungen als im letzten Quartal 2022.
Auch wurde mehr investiert: Die Bauinvestitionen etwa stiegen auch wegen der vergleichsweise milden Temperaturen im ersten Quartal kräftig um 3,9 Prozent. Die Investitionen in Ausrüstungen wie Maschinen und Fahrzeuge kletterten um 3,2 Prozent.
Auch die Bundesbank sieht Grund für Optimismus: "Im zweiten Quartal 2023 dürfte die deutsche Wirtschaftsleistung wieder leicht ansteigen", schreibt sie in ihrem Monatsbericht für Mai. Nachlassende Lieferengpässe und sinkende Energiepreise seien Zeichen für eine Erholung. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will die Energiepreise für Unternehmen mit einem "Industriestrompreis" niedrig halten.
Trotzdem bleiben die Aussichten für Europas größte Volkswirtschaft unklar. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht davon aus, dass sich das Wirtschaftswachstum um die Nulllinie herum bewegen dürfte. Das wirtschaftliche Wechselbad der Gefühle wird womöglich noch eine Weile andauern. (fab/dpa)
Verwendete Quellen:
- dpa
- bundesbank.de: Deutsche Wirtschaftsleistung dürfte im zweiten Quartal 2023 wieder leicht ansteigen
- destatis.de: Bruttoinlandsprodukt: Ausführliche Ergebnisse zur Wirtschaftsleistung im 1. Quartal 2023
- Twitter-Profile von Benjamin Strasser und Christian Leye (Stand: 25. Mai 2023)
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