- Jahrzehntelang war die Fünf-Tage-Bürowoche das Maß aller Dinge in der Arbeitswelt.
- Für die meisten wird sie aber wohl nicht wiederkommen, auch wenn die Pandemie beendet ist.
- Inzwischen planen erste größere Firmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Arbeitsalltag überhaupt nicht mehr im Büro ein.
Die Arbeitswelt der Zukunft schien den meisten Menschen bis zum Frühjahr 2020 wie eine Utopie. Und dann wurde sie schlagartig Realität: Binnen weniger Tage drängte die Corona-Pandemie zu Beginn der Krise Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ins Homeoffice.
Inzwischen haben sich viele an die Heimarbeit gewöhnt. Angestellte wie Firmen haben die Vorteile zu schätzen gelernt. Einen Weg zurück in eine klassische Fünf-Tage-Woche im Büro dürfte es vielerorts auch nach der Pandemie kaum geben.
Flexibles Arbeiten wird für Tausende zur neuen Normalität
Etliche Unternehmen haben ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schon flexiblere Arbeitsmodelle für die Zukunft zugesichert - einige gehen noch weiter und wollen das Homeoffice dauerhaft als neue Normalität etablieren.
Zu sehen ist das besonders in der IT-Branche. So versucht Europas größter Softwarekonzern SAP, der seinen Beschäftigten schon vor der Pandemie die Möglichkeit von bis zu vier Homeoffice-Tagen pro Woche einräumte, nochmals an Flexibilität zuzulegen.
"Bei den meisten SAP-Mitarbeitern spielt es keine Rolle, von wo aus sie arbeiten. Wenn es die Tätigkeit nicht zwingend verlangt, an einem bestimmten Ort präsent zu sein, haben die Mitarbeiter bei der Wahl ihres Standorts alle Freiheiten", sagt Cawa Younosi, der als Deutschland-Personalchef bei dem Konzern für rund 25.000 Beschäftigte zuständig ist.
IT-Konzern HPE macht Homeoffice zum neuen Standard - und gestaltet auch die Büros um
Noch etwas weiter geht das IT-Unternehmen Hewlett Packard Enterprise (HPE). Bei der US-Firma, dessen deutscher Ableger in Böblingen rund 2.000 Mitarbeiter beschäftigt, wird das Homeoffice generell zum neuen Standard-Arbeitsort für die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erklärt.
Sofern es die Tätigkeit erlaubt, sollen die Beschäftigten künftig möglichst immer von daheim arbeiten, wenn sie nicht gerade unbedingt im Büro anwesend sein müssen. Sie müssen dieser Umstellung laut HPE vorab jeweils zustimmen.
Im Zuge des Konzepts sollen auch die Büros optisch umgestaltet werden - zu Orten "der Begegnungen und des Austauschs", wie es heißt. "Man geht dort also vor allem hin, um an Besprechungen, Team-Meetings, Workshops, Trainings oder Feiern mit Kollegen, Kunden und Partnern teilzunehmen", sagt ein HPE-Sprecher. Man wisse aus Mitarbeiterumfragen, dass ortsunabhängige Arbeit von einer großen Mehrheit nicht nur sehr geschätzt werde, sondern obendrein zu einer höheren Produktivität führe.
SAP-Personalchef: "Jetzt ist die Sache klar: Homeoffice funktioniert für viele Berufe"
SAP-Personalchef Younosi sieht es ähnlich und argumentiert im dpa-Interview auch mit einer gestiegenen Erwartungshaltung junger Talente auf dem Arbeitsmarkt. "Während viele Firmen vor der Pandemie möglicherweise Bedenken hatten, ob es funktionieren kann, wenn jemand regelmäßig von ganz woanders als im Büro arbeitet, ist die Sache doch jetzt klar: Ja, es funktioniert für viele Berufe."
Nach den positiven Erfahrungen in der Pandemie habe ein Betrieb, in dem Homeoffice von der Tätigkeit her generell möglich ist, doch "gar keine Argumente mehr, wenn er einem talentierten Mitarbeiter jetzt sagt: 'Wenn du für uns arbeiten willst, musst du aber von Berlin zum Beispiel nach Schwäbisch Hall umziehen, weil da unsere Firma sitzt'".
Umfrage: Großteil der Arbeitnehmerinnen will flexibler arbeiten
Der Wunsch nach flexibleren Modellen ist in der Arbeitnehmerschaft ausgeprägt. Vier von fünf Beschäftigten, die bisher regulär im Büro arbeiten, wollen einer Erhebung des Beratungsunternehmens EY zufolge künftig zumindest einen Teil ihrer Arbeitszeit im Homeoffice verbringen. 38 Prozent möchten pro Woche nur noch drei- bis viermal, 36 Prozent nur noch ein- bis zweimal ins Büro.
Hannah Schade vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der Technischen Universität Dortmund führt das auch auf eine gestiegene Job-Zufriedenheit der meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Homeoffice zurück. Das liege zu einem Großteil daran, dass die Menschen sich ihre Arbeit daheim besser einteilen könnten als im Büro. Zudem sende eine Firma durch freimütige Homeoffice-Angebote Signale des Vertrauens und der Wertschätzung.
"Man fühlt sich doch gleich viel ernster genommen, wenn man weiß: Mein Arbeitgeber traut mir und stellt mich nicht unter einen Generalverdacht, wonach ich vielleicht nicht genug arbeite, wenn man mich im Büro quasi nicht überwacht."
Auch in der Autobranche tut sich etwas, ebenso bei der Bahn
Längst nicht nur in der IT-Welt setzt sich das Homeoffice dieser Tage durch. Auch in der bei Arbeitszeitmodellen mitunter als gestrig verschrienen Autobranche bewegt sich einiges.
Beim Stuttgarter Sportwagenbauer Porsche können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beispielsweise künftig an bis zu zwölf Tagen im Monat mobil arbeiten, wenn sie nicht gerade in Bereichen wie der Produktion arbeiten. Vor der Pandemie waren zwei Homeoffice-Tage in der Woche erlaubt.
Auch bei Porsches Mutterkonzern Volkswagen gibt es Überlegungen, die Homeoffice-Möglichkeiten auszuweiten. Eine Sprecherin erklärt, VW strebe ein kombiniertes Modell aus Präsenz und mobilem Arbeiten an. Personalvorstand Gunnar Kilian äußerte zuletzt, die neue Arbeitswelt zeichne sich durch "weitaus mehr Freizügigkeit und Selbstbestimmung" als bisher aus.
In anderen Branchen wird das ähnlich gesehen. Die Deutsche Bahn teilt mit, Ziel sei es, mobiles Arbeiten dort möglich zu machen, "wo es die bestehenden Arbeitsanforderungen erlauben". Beim Technologiekonzern Siemens soll das mobile Arbeiten laut einer Sprecherin "dauerhaft als Standard etabliert" werden - mit dem Ziel, dass alle Beschäftigten weltweit im Schnitt stets zwei bis drei Tage pro Woche mobil arbeiten können. Und zwar immer dann, "wenn es sinnvoll und machbar" sei.
Auch beim Bosch-Konzern soll es mehr hybride Arbeitsmodelle - also eine Mischung aus Büroarbeit und mobilem Arbeiten - geben. "Im Fokus steht das Ergebnis, nicht die Präsenz", sagt Arbeitsdirektorin und Geschäftsführungsmitglied Filiz Albrecht. Ein Sprecher ergänzt, ungeachtet aller Vorteile im Homeoffice hätten interne Umfragen aber auch gezeigt, dass die Nähe und der direkte Austausch unter den Kollegen "live und in Farbe" zurzeit fehlten.
Gewerkschaften sehen auch die Schattenseiten von mehr Homeoffice
Gewerkschaften und Arbeitnehmerinnenvertreter sehen den Hype ums Homeoffice nicht unkritisch, zumal das Arbeiten von zu Hause leichter zu unbezahlten Überstunden führen könne. Auch könnten neue Homeoffice-Modelle zu verstärkten Einsparungen bei Firmenräumlichkeiten führen, was vielen Mitarbeitern bei Bedarf den Weg zurück ins Büro erschweren könnte.
VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo sagte zuletzt etwa, Volkswagen verbinde die Frage, "wo wir künftig arbeiten, durchaus auch mit einer möglichen Reduzierung von Büroraum und dem Einsparen von Kosten".
Obendrein lässt sich auch der Gesundheitsschutz der Mitarbeiter im Homeoffice schlechter sicherstellen. Das Thema war schon in der alten Arbeitswelt wichtig - und dürfte es in der neuen bleiben. Denn wer wann und wie lange arbeitet, lässt sich bei mobiler Arbeit oft gar nicht mehr überprüfen. Wissenschaftlerin Schade sieht hier eine Gefahr, zumal die im deutschen Arbeitsleben "stark verankerte" Präsenzkultur im Homeoffice-Zeitalter keineswegs überwunden sei.
"Auch wenn sich die Art und Weise ändert: Der Arbeitgeber freut sich weiter, wenn er weiß, dass seine Arbeitnehmer am Platz sind. Und viele Arbeitnehmer freuen sich weiter, wenn sie beweisen können, dass sie präsent und produktiv sind", sagt Schade.
Ihre Omnipräsenz könnten Mitarbeiter künftig etwa verstärkt dadurch demonstrieren, "dass sie sofort auf eine E-Mail antworten - sogar abends, sogar am Wochenende". Im Endeffekt bleibe die Erholung auf der Strecke, sagt Schade. "Im besten Fall gibt es klare, verbindliche Absprachen mit dem Arbeitgeber, wann man das Recht dazu hat, nicht erreichbar zu sein." (Michael Brehme, dpa/ank)
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