- Die Bauwirtschaft ächzt unter der aktuellen wirtschaftlichen Lage.
- Der Wohnungsbau innerhalb der Bauwirtschaft ist am stärksten betroffen.
- Die Zahl der Stornierungen in der Wohnungswirtschaft ist auf einem Höchststand seit 2012. Viele Sozialwohnungen können nicht gebaut werden.
Die Bauwirtschaft ächzt unter der aktuellen wirtschaftlichen Lage. Inflation, Baukosten und Materialmangel verzögern die Bautätigkeit. Das Ifo-Institut München hat dazu am 12. Dezember neue alarmierende Zahlen veröffentlicht.
Im November dieses Jahres sind noch einmal mehr Unternehmen betroffen als im Vormonat. Bei 16,7 Prozent der Wohnungsbauunternehmen ist es im November zu Stornierungen von Aufträgen gekommen. Die Geschäftserwartungen trüben sich damit weiter ein. Der aktuelle Wert, wie Unternehmen dieser Branche in die Zukunft blicken, stelle einen Negativrekord seit dem Jahr 1991 dar, sagt Wirtschaftsforscher Felix Leiss des Münchner Instituts. Die Lage entspannt sich weder für die Wirtschaft noch für die Kunden. "Trotz der bereits geschwächten Nachfrage müssen viele Betriebe auf weitere Preisanhebungen setzen, um die hohen Material- und Kraftstoffkosten an die Kunden weiterzureichen", erklärt Leiss.
Derzeit gäbe es zwar noch volle Auftragsbücher für Wohngebäude, Bürogebäude und Straßen. Doch der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes blickt ähnlich düster in die nähere Zukunft: "Wir erwarten für dieses und das kommende Jahr eine Delle in der Baukonjunktur", sagt Verbandspräsident Reinhard Quast. Dies gelte vor allem für Neubauten von Wohngebäuden. Eine interne Umfrage habe ergeben, dass 74 Prozent der Unternehmen in der Wohnungsbaubranche davon ausgehen, dass sich die Lage für sie in den nächsten sechs Monaten verschlechtern wird.
Bundesregierung verfehlt ihr eigenes Bauziel
Eigentlich ist das Ziel der Bundesregierung, jährlich deutschlandweit 400.000 neue Wohnungen zu bauen, davon 100.000 Sozialwohnungen. Noch im Oktober hat sich das "Bündnis bezahlbarer Wohnraum" in Berlin getroffen. Bauwirtschaft, Gewerkschaften, Länder und Kommunen haben beraten, wie sie dem Mangel an Wohnraum begegnen können.
Tobias Straubinger, Sprecher der bayerischen Wohnungswirtschaft, hält dieses Ziel in der aktuellen Situation jedoch für nicht erreichbar. Dafür seien die bereitgestellten Mittel zu gering. Bund und Länder geben jeweils 2,9 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau aus. "Wir bräuchten aber doppelt so viel Geld", sagt Straubinger.
Die Gründe für diesen Rückgang in der Bautätigkeit sind vielfältig. Steigende Baukosten und für viele kaum bezahlbare Grundstückspreise gehörten dazu. Hinzu kommen Lieferengpässe bei Baumaterialien. Handwerkermangel und steigende Bauzinsen täten ihr Übriges, heißt es aus der bayerischen Wohnungswirtschaft. Erschwerend wirkt sich für die Wohnungswirtschaft ein weiterer Umstand aus. Sie müsse parallel zu Neubauten auch ihre bisherigen Bestände klimaneutral modernisieren.
Hierfür investiere diese Branche rund eine Milliarde Euro pro Jahr, sagt Straubinger. Und dennoch rechnet die Bauwirtschaft nicht nur bei den Neubauten, sondern auch im Bereich der Modernisierungsprojekte mit einem Rückgang der Aktivitäten im kommenden Jahr.
Besonders stark betroffen von den weniger gebauten Gebäuden ist der soziale Wohnungsbau. Der Städte- und Gemeindebund erklärte kürzlich gegenüber der "Augsburger Allgemeinen", dass bis zu 70 Prozent der Projekte in diesem Bereich nicht realisiert werden könnten. Dabei seien gerade solche Sozialwohnungen wegen der dort geltenden Mietpreisbindung das "wichtigste Instrument zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums", sagt Jennifer Puls vom Paritätischen Gesamtverband.
Wenn solcher Wohnraum immer weniger gebaut würde, wirke sich dies für Menschen mit geringem Einkommen oder solchen in "Hartz IV"-Bezug besonders negativ aus. Denn diese würden ohnehin schon jetzt einen Teil ihres wenigen verfügbaren Geldes für ihre Miete aufbringen.
Aussichten für kommende Jahre negativ
Langfristig dürfte sich die Situation noch weiter zuspitzen. Der Zentralverband des deutschen Baugewerbes geht in diesem Jahr von einem Umsatzrückgang von 4,5 Prozent in der Wohnungsbauwirtschaft aus. Für das kommende Jahr erwartet die Branche sogar einen Einbruch von 10 Prozent. Bis zum Jahresende 2022 dürften circa 32.500 Wohnungen weniger genehmigt worden sein als im Vorjahr.
Auch Tobias Straubinger vom Verband der bayerischen Wohnungswirtschaft blickt ähnlich zurückhaltend auf kommende Entwicklungen. Er weist darauf hin, dass die Baukosten und Grundstückspreise auch vor dem aktuellen Anstieg der Inflation bereits sehr hoch waren. So sei es auch damals schon für Bauunternehmen nur noch selten wirtschaftlich gewesen, neu zu bauen, wenn die Miete für die meisten Menschen bezahlbar sein sollte. "Wenn die Inflation zurückgeht", sagt Straubinger, "rechnet der Verband bayerischer Wohnungsunternehmen nicht mit einer deutlichen Entspannung der Lage."
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Tobias Straubinger, Sprecher des Verbandes bayerischer Wohnungsunternehmen
- Gespräch mit Jennifer Puls, Grundsatzreferentin beim Paritätischen Gesamtverband
- Stellungnahme von Felix Leiss, Wirtschaftsforscher am Ifo-Institut München
- Ifo-Institut: Pressemitteilung - 12. Dezember 2022, "Stornierungen im Wohnungsbau nehmen wieder zu"
- Zentralverband des Deutschen Baugewerbes: Verband erwartet Delle in der Baukonjunktur
- augsburger-allgemeine.de: Inflation: Städte fürchten drastischen Einbruch beim Sozialem Wohnungsbau
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