Gianis Varoufakis steht vor dem Rauswurf aus der Regierung Alexis Tsipras'. Der Finanzminister hat sich unter den Geldgebern für das hochverschuldeten Griechenland zu viele Feinde gemacht. Damit würden die Debatten um die Schuldenkrise einen echten Charakterkopf verlieren – in den die Griechen einst große Hoffnungen setzten.

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Gianis Varoufakis hat fertig. Es hat sich auspolarisiert. Medienberichten zufolge steht Griechenlands Finanzminister vor dem Rauswurf. Die Eurogruppe hat genug vom Griechen und seinen Mätzchen in der Schuldenkrise. Das hat inzwischen wohl auch Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras gemerkt und seinen Finanzminister sanft entmachtet. Varoufakis ist ab sofort nicht mehr für die Verhandlungen mit der Eurogruppe zuständig, meldet die "Bild". Ab Mittwoch soll Vize-Außenminister Efkledes Tsakalotos die Verhandlungen übernehmen. Ziel sei eine "Verbesserung des Gesprächsklimas", teilte die Regierung in Athen mit. Doch wie konnte es mit Varoufakis so weit kommen?

Seit der Wirtschaftswissenschaftler Ende Januar ins Amt kam, brüskierte er seine Verhandlungspartner immer wieder - mit polemischen Vergleichen und seiner laut Kritikern respektlos anmutenden Art. Dabei galt er für Bewunderer als einer der wenigen Typen, der entgegen jeder Politikverdrossenheit Aufmerksamkeit beim Bürger weckte. Viele Griechen setzten große Hoffnungen in seine Person.

Der Mann ohne Krawatte

Ein Rückblick: Die linke Syriza von Alexis Tsipras ging aus den Parlamentswahlen als stärkste Partei hervor. Tsipras betraute Varoufakis mit dem wichtigsten Ministerium. Der 38-Jährige brauchte einen Mann mit Rückgrat. Marketingstrategen hätten ihn wohl nicht besser erfinden können. Öffentlich tritt der ehemalige Dozent renommierter Universitäten beinahe chauvinistisch auf. So ist er leger-sportiv in Lederjacke zu sehen, Krawatten gehören offenbar nicht zu seinem Kleidungsstil, dafür aber ein von Gegnern als provokant bewerteter Blick. In Interviews greift er publikumswirksam seine Widersacher an. Auch, wenn er aus neutraler Perspektive gesehen nicht im Recht ist. Die Griechen aber bauten darauf, dass er ihre Interessen selbstbewusst vertreten würde. Sie hatten sich darin nicht getäuscht. Doch offenbar hatten sie nicht mit einkalkuliert, dass er dabei inflationär übers Ziel hinausschießen würde. So entbrannte von Anfang an ein offener Clinch mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, und damit im übertragenen Sinn Varoufakis' Geldgeber. Es war der Stoff für einen politischen Macht- und Nahkampf, so realistisch wie die Schuldenkrise der Griechen selbst.

Das Duell: Schäuble gegen Varoufakis

Auf der einen Seite der nüchterne und abgeklärte Schwabe, auf der anderen der leidenschaftliche Grieche. Diplomatisch war Varoufakis dabei selten. Öffentlich beschwerte er sich darüber, dass Schäuble ihn als "dümmlich und naiv" bezeichnet haben soll. Schäuble wiederum bezeichnete dies als "Unsinn". Ende März war das. Schon damals, und damit nach gerade einmal zwei Monaten, soll Varoufakis jedes Vertrauen der deutschen Regierung verloren haben. Er selber wurde wie folgt zitiert: "Das habe ich nie gehabt, weil ich einer linksradikalen Regierung angehöre." Doch Schäubles Kritik ist pragmatischer Natur. Seit Monaten verhandeln die Minister der Eurozone mit Athen über wirkungsvolle Reformvorschläge der Griechen.

Schäuble beklagte wiederholt, dass es den Vorschlägen an "Substanz" fehle. Zur gleichen Zeit suchte Varoufakis die nächste Konfrontation - und zwar mit der Europäischen Zentralbank (EZB). "Aus meiner Sicht verfolgt die EZB eine Politik gegenüber unserer Regierung, die ihr die Luft zum Atmen nimmt", sagte er in einem Interview zur detailliert vorgeschriebenen Schuldentilgung. Dabei wäre Griechenland ohne das Geld der EZB wohl längst mit seinen Finanzen am Ende. Das gilt ebenso für die Unterstützung aus Berlin, was Varoufakis nicht davor zurückschrecken ließ, den Verhandlungspartner für dessen Dafürhalten vor den Kopf zu stoßen. Die Forderung nach milliardenschweren Reparationszahlungen wegen im Zweiten Weltkrieg durch SS und Wehrmacht an der griechischen Bevölkerung begangenen Verbrechen mag juristisch umstritten sein, aus Sicht Berlins' war sie aber ein Affront.

Tsipras bittet um Hilfe

Jetzt hat angeblich auch Tsipras genug. Die seit langem befürchtete Staatspleite und damit der unweigerlich verbundene Ausschluss aus der Eurozone, der sogenannte "Grexit", stehen kurz bevor. Bereits am 9. April stand eine Rückzahlung an den Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von knapp 458 Millionen Dollar an, gefolgt von T-Bills im Wert von insgesamt 2,4 Milliarden Euro. Im Mai folgen T-Bills im Wert von 2,8 Milliarden Euro sowie 800 Millionen Euro an den IWF. Es geht um Geld, das Griechenland nicht hat. Tsipras bat Kanzlerin Merkel in einer Art "Notruf" deshalb um Hilfe. Gut möglich, dass es dabei auch um den ungeliebten Quertreiber Varoufakis ging. Dieser soll zuletzt wiederholt unvorbereitet auf Treffen gekommen sein und habe "jede Glaubwürdigkeit verloren", heißt es. Wie die Finanznachrichtenagentur Bloomberg berichtet, sei Varoufakis während der jüngsten Tagung in Riga sogar als "Spieler", "Amateur" und "Zeitverschwender" beschimpft worden. Er steht völlig alleine da, hat alle Unterstützer verloren. Wie die "Bild"-Zeitung berichtet, hat ihn selbst sein Schwiegervater öffentlich kritisiert. Faedon Stratos, ein einflussreicher griechischer Unternehmer, warnte in einem Leserbrief in der griechischen Zeitung "Kathimerini" vor "kurzfristigen und populären Erfolgen" und einem "Klima der Anarchie". "Wir wissen nicht, ob der Ministerpräsident (Alexis Tsipras, Anmerk. d. Red.) ihn "opfern" wird, in der Hoffnung, das Land zu retten", hieß es in einem Kommentar der Athener Wochenzeitung "To Vima". Es deutet alles daraufhin. Die Debatten um die Schuldenkrise verlieren damit einen echten Charakterkopf. Einen Mann, der sich selbst ins Abseits manövriert hat.

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