Im Streit um deutsche Reparationszahlungen für erlittene Schäden im Zweiten Weltkrieg hat der stellvertretende griechische Finanzminister Dimitris Mardas die Forderungen seines Landes auf 278,7 Milliarden Euro beziffert. Aber wie setzt sich diese Summe überhaupt zusammen? Und muss Deutschland nun möglicherweise doch zahlen?

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Das Thema belastet die deutsch-griechischen Beziehungen seit Jahrzehnten: In der Griechenland-Krise ist immer wieder von deutschen Reparationsschulden gegenüber Athen die Rede – bisher allerdings ohne eine konkrete und offiziell bestätigte Summe. Das hat sich nun geändert. Erstmals hat der stellvertretende griechische Finanzminister Dimitris Mardas am Montag die Reparationsforderungen Griechenlands an Deutschland für die Zeit des Nationalsozialismus auf 278,7 Milliarden Euro beziffert. Dabei sollte sich das Parlament bei seiner Sitzung eigentlich damit befassen, wie Athen seine Staatsschulden angehäuft hat.

Wie kommt diese enorm hohe Summe überhaupt zustande?

Finanzminister Mardas sagte, Griechenland könne genau belegen, wie sich diese Summe zusammensetze. So betrage der Wert der Zwangsanleihe, die Griechenland den deutschen Besatzern gewähren musste, 10,3 Milliarden Euro. Die restlichen Milliarden setzen sich aus Entschädigungszahlungen zusammen, die den Angehörigen der Opfer der Besatzung zustünden, sowie dem Schadensersatz für die damals zerstörte Infrastruktur im Land.

"Die Rechnungsprüfer haben gute Arbeit geleistet, als sie all die Daten zum Thema 'Deutsche Reparationen' gesammelt haben", erklärte Mardas. "Alle Akten sind vollständig." Das Material stehe nun jeder zuständigen Behörde zur Verfügung, die davon Gebrauch machen wolle.

50.000 Dokumente soll ein sechsköpfiges Expertenteam des griechischen Finanzministeriums und der Zentralbank in den vergangenen zwei Jahren geprüft und eine Aufstellung aller Zerstörungen und Beschlagnahmungen während der Besatzung erstellt haben. Die Daten dafür wurden vom Kultusministerium zur Verfügung gestellt.

Wie realistisch ist eine Rückzahlung?

Bereits im März hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) demonstrativ gelassen auf die erneuten Reparationsforderungen aus Griechenland reagiert: "Ich finde, wir können in Deutschland ein bisschen großzügiger sein, die Griechen haben sicher mehr Probleme als wir", sagte er.

Tatsächlich ist für die Bundesregierung unumstritten, dass es juristisch keine Verpflichtung zu weiteren Reparationszahlungen gebe. "Die Frage von Reparationen und Entschädigungszahlungen ist rechtlich und politisch abgeschlossen", betonte Regierungssprecher Steffen Seibert im März in Berlin. Bereits 1960 waren alle Ansprüche Griechenlands durch den Reparationsvertrag abgegolten worden und die Frage der Wiedergutmachung von NS-Unrecht "abschließend geregelt" worden.

Wie will Griechenland nun weiter vorgehen?

Die griechische Justiz will dennoch auf höchster Ebene prüfen, ob und wie mögliche Reparationsforderungen an Deutschland erhoben werden können und drohte bereits Pfändungen deutschen Eigentums in Griechenland an. Die Bundesregierung wollte dazu bisher keine Stellung nehmen.

Bereits vor 15 Jahren hatte das oberste griechische Gericht eine Beschlagnahmung deutschen Eigentums zur Entschädigung der Nachkommen der Opfer eines SS-Massakers im Dorf Distomo für zulässig erklärt. In dem mittelgriechischen Ort waren 1944 218 Griechen von einer Einheit der Waffen-SS getötet worden. Während der deutschen Besatzungszeit wurden in Griechenland Hunderte Dörfer zerstört und Tausende Menschen ermordet. Zudem musste die griechische Zentralbank 1942 Deutschland eine Zwangsanleihe geben.

Und was fordern deutsche Politiker?

Nach Ansicht des Grünen-Politikers Manuel Sarrazin sollte die Bundesregierung die Frage griechischer Reparationsansprüche vor dem Internationalen Gerichtshof klären lassen. "Deutschland und Griechenland sollten gemeinsam und einvernehmlich diese rechtliche Klärung anstreben", sagte der europapolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion.

Die nun von Griechenland veröffentlichten Zahlen kommentierte Sarrazin zurückhaltend: "Es sollten aus Griechenland nun nicht dauernd neue Zahlen kommen", sagte der Grünen-Politiker.

Er betonte zudem: "Es muss ohnehin ganz klar sein, dass die Begleichung einer politischen, rechtlichen und moralischen Schuld in keiner Weise einen Zusammenhang mit der Lösung der griechischen Schuldenkrise haben kann."

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