Die Krise ist schon jetzt untrennbar mit ihr verbunden. Gelingt es Bundeskanzlerin Angela Merkel, den griechischen Knoten zu lösen, kann sie ihre Macht festigen. Eine Alternative ist nicht vorgesehen.

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Sie weiß um ihre Rolle. Die Erwartungen an die dienstälteste Regierungschefin Europas sind hoch. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist seit zehn Jahren im Amt, seit mehr als fünf Jahren begleitet sie die Krise in Griechenland. In dieser Woche soll der Knoten nun endlich platzen. Und von der Kanzlerin erwartet man, dass sie eine Einigung herbeiführt. Dabei kommt diese Rolle eigentlich anderen zu.

Denn rein technisch gesehen müssen die Vertreter der drei Institutionen, also EU-Kommission, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds die griechischen Vorschläge prüfen und gutheißen, bevor die Eurogruppe darüber abstimmen kann. "Ich hoffe, dass die Eurogruppe vor dem regulären EU-Gipfel am Donnerstag Entscheidungen fällt und wir diese dann nur noch zur Kenntnis nehmen müssen", sagte die Kanzlerin. Damit reagierte sie indirekt auf eine Aussage des griechischen Finanzministers Gianis Varoufakis, der ihr am Wochenende seinerseits die Verantwortung für den Ausgang der Krise zuschieben wollte: Merkel sei es, die über die Zukunft Griechenlands entscheide.

Ganz unrecht hat er damit allerdings nicht. "Merkel hat eine besondere Führungsrolle, insbesondere weil Deutschland die größte Wirtschaftsmacht in Europa ist und andere europäische Partner wie Frankreich mit selbst beschäftigt sind", erklärt Julian Rappold von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) im Gespräch mit diesem Portal. In den vergangenen Jahren habe Merkel das Krisenmanagement maßgeblich geprägt. "Wenn es ihr gelingt, eine Einigung zu erzielen, wird diese sicher nicht an den anderen Euroländern scheitern", meint der Politikwissenschaftler.

Folgen eines Grexits unkalkulierbar

Der Druck, die Verhandlungen erfolgreich abzuschließen, wächst aber nicht nur auf die Kanzlerin, sondern auch auf ihren Amtskollegen Alexis Tsipras. Beide haben ein Interesse daran, dass Griechenland in der Eurozone bleibt. Das Land würde in eine humanitäre Krise stürzen, aus der sich Griechenland aus eigener Kraft kaum retten könnte. Die Folgen für die Eurozone wären unkalkulierbar – auch wenn sie inzwischen besser gegen einen Grexit gewappnet ist als noch 2010. Doch noch nie zuvor ist ein Land aus der Gemeinschaftswährung ausgestiegen – und noch nie zuvor hat ein Land die Europäische Union verlassen. Aber nur in Verbindung mit letzterem wäre ersteres überhaupt möglich – so wollen es die Europäischen Verträge.

Beides will Merkel vermeiden: "Scheitert der Euro, scheitert Europa", lautete ihre unmissverständliche Botschaft in den vergangenen Jahren. Eine, die die griechische Regierung immer wieder für sich nutze, um Zeit zu gewinnen.

Die ist in diesem Fall allerdings endlich: Denn am 30. Juni läuft das zweite Hilfspaket aus, selbst für eine neuerliche Verlängerung bräuchte es die Zustimmung einiger nationaler Parlamente, die folglich spätestens Anfang nächster Woche erteilt werden müsste. Soll ein Kompromiss mit Athen noch gelingen, muss er noch in dieser Woche geschlossen werden. An der Basis dafür hat Merkel mitgearbeitet – als sie vergangene Woche die Vertreter der Institutionen nach Berlin einlud, um Athen eine Gedankenstütze zu schaffen – ein "aide mémoire". Darin erinnerten die Kreditoren an die Forderungen, die erfüllt sein müssen, damit die letzte Tranche des zweiten Hilfspakets über 7,2 Milliarden Euro ausgezahlt werden kann.

Welche Bedingungen damit verbunden sind, hat Merkel immer wieder deutlich gemacht – und rückt von ihrem Prinzip der "Konditionalität" (Rappold) nicht ab. Mit anderen Worten: Ohne Reformen fließt auch kein Geld. "Strukturreformen sind die Grundvoraussetzung dafür, dass Griechenland wieder auf einen nachhaltigen Wachstumspfad kommt", erinnert Rappold. Das sei inzwischen auch der hellenischen Regierung bewusst geworden. Derzeit gehe es vor allem darum, zu prüfen, ob die Athener Vorschläge auch den gewünschten Effekt haben.

Die Zukunftsperspektive Griechenlands vernachlässigt zu haben, wurde Merkel aber auch immer wieder zum Vorwurf gemacht. Sie betreibe nur Politik auf "Sicht", habe aber keine klare Vision, wie sie Europa aus der Krise führen könne. "Man hat ihr vorgehalten, sie konzentriere sich zu sehr auf fiskalische Konsolidierung, Kürzungen und Reformen, die die Bevölkerung gegen die Hilfsprogramme aufgebracht haben. Der Fokus auf die wirtschaftliche Erholung war dagegen viel zu gering."

Rückschritt nach dem Fortschritt

Dabei waren die Bedingungen dafür eigentlich schon geschaffen. "Wir waren im vergangenen Jahr deutlich weiter", betont Rappold. Griechenland konnte erste positive Entwicklungen vorweisen, einen ersten Primärüberschuss, das Land war in der Lage, sich wieder am Markt zu finanzieren. Für die Bundesregierung bedeutete dies, dass "die Grundbedingungen geschaffen" waren. Jetzt konnte man darüber reden, wie man der Wirtschaft wieder zu Wachstum verhelfen konnte. Mit dem Regierungswechsel Ende Januar verschwand das Thema allerding schnell wieder aus der Debatte.

Und heute steht Merkel mit ihren Sparforderungen nicht alleine. Seit dem griechischen Regierungswechsel habe man einen Wandel in der Eurozone beobachten können, meint Rappold: "Was wir im Moment sehen, ist 18 gegen einen." Selbst diejenigen, die Griechenland traditionell wohlgesonnener waren, seien nun auf einen härteren Kurs umgestiegen – darunter auch Spanien und Italien. "Es gibt eine klare Linie, die von allen Partnern geteilt wird", so der Experte. Das mache es Merkel deutlich einfacher, die eigene Position zu vertreten.

Dieser Wandel macht sich auch in der Haltung der USA zur Krise bemerkbar. Setzte Obama die Kanzlerin vor vier Jahren noch massiv unter Druck, ihre Führungsrolle anzunehmen und ein Lösung für Griechenland zu finden, wendet er sich heute an beide Seiten. Schon im April forderte er: Athen müsse endlich beginnen, sich selbst zu hoffen. Darauf hofft in diesen Tagen nicht nur Angela Merkel.

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