Bislang fallen auf Kapitalerträge wie Zinsen und Dividenden keine Beiträge zur Sozialversicherung an. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck will das ändern. Im Interview kritisiert IW-Ökonom Tobias Hentze Habecks Pläne. In einem Punkt gibt er dem Vizekanzler aber recht.
Robert Habeck hat einen Aufschrei ausgelöst. Der Grünen-Politiker hat vorgeschlagen, Kapitalerträge mit Sozialabgaben zu belegen. Was technisch klingt, bedeutet konkret: Wer Gewinne am Aktienmarkt macht, Zinsen oder Dividenden bekommt, soll darauf Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zahlen. Habecks Versprechen: mehr Solidarität.
Der Ökonom Tobias Hentze vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln hat
Herr Hentze, Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck will auch Zinsen und Dividenden mit Sozialabgaben belegen. Ist das eine gute Idee?
Tobias Hentze: Es ist schwierig, weil es ein Systemwechsel wäre. Bisher fallen Sozialabgaben – die Grünen sprechen vor allem von Krankenkassenbeiträgen – bei Arbeitnehmern nur auf den Lohn an, nicht auf Kapitaleinkünfte. Jetzt soll offenbar eine weitere Einnahmequelle gefunden werden.
Welche Konsequenzen hätten die Habeck-Pläne für Privatanleger?
Robert Habeck will die Einnahmeseite der Sozialversicherung stärken. Das bedeutet aber eine höhere Belastung für die Zahler von Steuern und Sozialabgaben. Hier ist die Belastung ohnehin schon hoch. Und es würde vor allem die treffen, die privat fürs Alter vorsorgen und dabei auf den Kapitalmarkt setzen. Deren Rendite würde geschmälert.
Die Grünen argumentieren, dass Kleinsparer nicht betroffen wären – und der Faktor Arbeit weniger stark belastet werden könnte.
Das sind zwei verschiedene Dinge. Zum Faktor Arbeit: Es ist richtig, hier die Belastung zu reduzieren. Allerdings taugt der Habeck-Vorschlag dazu nicht. Wenn auf Kapitalerträge auch noch Sozialabgaben anfallen, steigt die Belastung für den einzelnen Sparer zunächst. Denn es ist unklar, wie die Entlastung auf der Lohnseite aussehen soll. Auch das Argument der hohen Freibeträge überzeugt nicht.
Warum nicht?
Dann müssen die Grünen sagen, wie hoch der Freibetrag sein soll. Das ist aber unklar. Schon jetzt gibt es die Beitragsbemessungsgrenze. Das bedeutet: Wer sehr gut verdient, zahlt ab einer gewissen Grenze keine weiteren Beiträge mehr in die Sozialversicherung ein. Es sind schonmal nicht die vermeintlich Reichen, die von den Grünen-Plänen betroffen wären. Es sei denn, die Grünen wollen die Beitragsbemessungsgrenze abschaffen. Auch Beamte nicht, denn die sind privat versichert. Wer soll dann am Ende zahlen? Diese Frage beantworten die Grünen nicht.
Hinter dem Vorstoß steht eine grundsätzliche Frage: Lohn aus Arbeit und Einkommen aus Kapital werden unterschiedlich behandelt. Ist das gerecht?
Das ist eine Frage, die man stellen kann. Das sollte man dann aber von den Sozialbeiträgen trennen. Bisher greift auf Kapitaleinkünfte pauschal die Abgeltungssteuer von 25 Prozent. Die wurde eingeführt, um das System möglichst einfach zu halten und Steuerverlagerung ins Ausland zu verhindern. Insofern hat die Abgeltungssteuer auch Vorteile.
Sie würden also alles so lassen, wie es ist?
Das ist eine politische Frage. Am Ende kommt es auf die Ausgestaltung an. Bei Dividenden etwa wird gerne übersehen, dass die schon auf der Unternehmensseite – bevor sie also beim Sparer ankommen – besteuert werden. Da gibt es eine Grenze der Belastung. Bei Gewinnen aus Aktien oder Zinsen sieht es anders aus. Hier gibt es Gründe für eine Besteuerung mit dem persönlichen Einkommenssteuersatz.
Die Pläne der Grünen zielen auf die gesetzliche Krankenversicherung. Und die hat definitiv ein Finanzierungsproblem.
Absolut. Und deswegen wäre es richtig, im System nach Einsparmöglichkeiten zu schauen. Auf Dauer ist immer mehr Belastung für Unternehmen und Arbeitnehmer keine Lösung. Auch die Ausgabenseite im Gesundheitssystem sollte stärker in den Blick genommen werden. Die Krankenhausreform ist hier ein erster Schritt. Das ändert aber nichts daran, dass die nächste Regierung weiter schauen muss, wie sie das System effizienter und damit besser macht.
Über den Gesprächspartner
- Dr. Tobias Hentze ist Leiter des Clusters Staat, Steuern und Soziale Sicherung beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln. Studium und Promotion im Fach Volkswirtschaftslehre hat er an den Universitäten Köln, Mailand, Prag und Duisburg abgeschlossen. Als Forscher beschäftigt sich Hentze vor allem mit den Themen öffentliche Haushalte, Unternehmensbesteuerung und Einkommenssteuer.
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