Der deutsche Fiskus steht so gut da wie lange nicht mehr. Im ersten Halbjahr 2016 ist ein Rekordüberschuss von 18,5 Milliarden Euro verbucht worden. Das hat das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitgeteilt. Demnach gab es seit der Wiedervereinigung noch nie einen so hohen Überschuss zur Jahresmitte. Da wird der Ruf nach Steuersenkungen natürlich lauter. Doch wären sie überhaupt sinnvoll? Was spricht dafür, was dagegen? Und wobei ist Vorsicht geboten? Eine Übersicht.

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Die Konjunktur ist stabil, der Arbeitsmarkt floriert, die Zinskosten sinken: Deutschland geht es finanziell gut. Bei einem Plus von 18,5 Milliarden Euro in der Staatskasse fragt sich nun manch einer, warum er weiterhin so hohe Abgaben leisten soll. Folgerichtig entfacht in diesen Tagen eine Diskussion um mögliche Steuersenkungen.

Was spricht für Steuersenkungen?

Befürworter argumentieren: Die Wirtschaft läuft rund, die Konjunktur entwickelt sich seit längerem gut, Steuersenkungen wären zum jetzigen Zeitpunkt durchaus gerechtfertigt. Zudem wird Leistung damit belohnt. Denn: Reißt sich der Staat einen zu großen Teil vom Einkommen unter den Nagel, wirkt sich das negativ auf die Moral der Arbeitnehmer aus. Hat dieser jedoch mehr Netto vom Brutto, ist das ein zusätzlicher Motivationsschub.

Außerdem sei der Überschuss "das Geld der Bürger", wie CDU-Bundestagsabgeordneter Christian von Stetten in der "Bild"-Zeitung erklärte. Seiner Meinung nach sollten die Bürger am Überschuss beteiligt werden. Er hält eine Bürger-Dividende, zum Beispiel als Steuerentlastung für Familien, für das richtige Signal.

Ein weiteres Argument: Wer weniger Steuern zahlen muss, kann theoretisch mehr Geld ausgeben. Der Konsum wird dadurch angeschoben. Vor allem Steuerentlastungen für Durchschnittsverdiener kurbeln die (Massen-)Kaufkraft an. Das fördert die Nachfrage im Inland, die in Deutschland oft der Exportwirtschaft hinterherhinkt.

Das wiederum könnte zu ausgewogenem Wachstum beitragen, das durch die verbesserte Binnenwirtschaft nicht alleine vom Export abhängen würde. Eine Stärkung des Binnenwachstums kann außerdem interessant für Unternehmen aus dem Ausland sein. Denn das könnte ihre Absatzchancen erhöhen. So würden auch andere Länder von deutschen Steuersenkungen profitieren.

Was spricht gegen Steuersenkungen?

Gegner argumentieren: Das alles mag theoretisch funktionieren, muss es aber in der Praxis nicht zwingend. Im Jahr 2000 wurde beispielsweise der Eingangs- und Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer per Steuerreform deutlich gesenkt. Damit wollte der Bundestag ursprünglich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft stärken und Wachstum und Beschäftigung fördern. Trotzdem verlief die Wirtschaftsentwicklung in den Jahren 2000 bis 2005 nicht besonders rosig.

Ein weiteres Argument gegen Steuerentlastung, das oft und gerne angeführt wird: es kommen auch wieder schlechtere Zeiten. Und für die muss man gewappnet sein. Dabei spielen auch außerplanmäßige Kosten eine Rolle. Ein Sprecher von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mahnte an, jetzt keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und die weitere Entwicklung abzuwarten.

"Generell gilt es, vorsichtig zu sein: Auch wenn die Steuereinnahmen erfreulich sind, müssen bereits weitere zusätzlich beschlossene Ausgaben für dieses Jahr berücksichtigt werden, die bei der Haushaltsaufstellung nicht bekannt waren", wird der Sprecher in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zitiert. Darunter fielen unter anderem die Kosten für die Syrien-Konferenz oder die Unterkunftskosten und die Integrationspauschale für Flüchtlinge.

Gegenüber der "Ruhr Nachrichten" äußerte sich der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav A. Horn: "Wir verschleißen mehr als wir erneuern. Die sinnvollste Verwendung der Überschüsse wären mehr Investitionen. Das würde unsere Produktivkraft erhöhen und käme der Konjunktur viel stärker zugute als Steuersenkungen."

Bund der Steuerzahler sieht Zeit zum Handeln gekommen

Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, äußerte sich gegenüber unserer Redaktion: "Wir Steuerzahler zahlen so viel an den Fiskus wie noch nie zuvor. Alleine bis 2020 nehmen Bund und Länder über 800 Milliarden Euro an Steuern und Abgaben ein. Folglich werden die Steuerzahler überdurchschnittlich hoch belastet. Gerade die Lohn- und Einkommensteuerzahler sind gekniffen, denn sie tragen wesentlich zum stetig steigenden Steueraufkommen bei. Ihre Entlastung ist längst überfällig und sollte von der Politik nun vorangetrieben werden."

Den Rekordüberschuss hätten die Bürger und Betriebe erwirtschaftet, indem sie kräftig Steuern und Abgaben gezahlt haben. Für Holznagel sei es daher höchste Zeit für spürbare Steuerentlastungen. Dass diese auch finanzierbar seien, ohne an der Schuldenbremse zu rütteln, würden die Überschuss-Zahlen belegen. Bund, Länder und Kommunen hätten prall gefüllte Kassen. Ein Teil davon müsse jetzt an die Bürger zurückgegeben werden.

Steuern und Sozialabgaben nicht verwechseln

Doch bei der Diskussion um mögliche Steuersenkungen muss klar unterschieden werden: Die Staatsausgaben in Deutschland sind aufgrund der immer älter werdenden Bevölkerung in erster Linie Sozialausgaben. Im vergangenen Jahr sollen sie auf ein Rekordhoch geklettert sein. Die "Bild"-Zeitung zitierte Zahlen aus dem Bundessozialministerium, wonach sich diese Ausgaben im Jahr 2015 auf 888,2 Milliarden Euro summiert hätten. Sollen also zum Beispiel die Menschen mit niedrigem Einkommen entlastet werden, müsste demnach bei den Sozialabgaben angesetzt werden – und nicht bei den Steuern.

Wer also dauerhafte Steuerentlastungen verspricht, müsste entsprechend weitreichende Sozial-Reformen mitliefern. Denn sonst wären die Steuersenkungen von heute nur die Steuererhöhungen von morgen.

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