• Sozialunternehmerin Sina Trinkwalder (43), die mit ihrem Label Manomama in Augsburg ökologisch und fair hergestellte Mode produziert, kritisiert die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung in der Coronakrise massiv.
  • Im Interview geht sie jedoch nicht nur mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hart ins Gericht, sondern auch mit ideenlosen Unternehmern, verantwortungslosen Konsumenten und der Fast-Fashion-Industrie.
Ein Interview

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Frau Trinkwalder, auf dem Sweatshirt, das Sie tragen, steht in dicken weißen Lettern "Beharrlichkeit". Ist das die Tugend der Stunde?

Diese Pullis habe ich für mich und mein Team entworfen. Ich glaube tatsächlich, dass alle erfolgreichen Menschen gemeinsam haben, dass sie beharrlich sind.

Durchzuhalten ist für viele Unternehmer derzeit hart. Warum sind Sie mit ihrem Modelabel Manomama ohne staatliche Hilfe über das vergangene Jahr gekommen, während andere straucheln oder aufgeben mussten?

Man muss unterscheiden. Manche Branchen können seit Monaten faktisch nicht arbeiten. Ich habe zum Beispiel eine Zuschrift von einem Ehepaar aus dem Fränkischen bekommen, das seit 35 Jahren ein Reisebüro mit drei Mitarbeitern betreibt. Im ersten Lockdown haben die ihre Mitarbeiter aus den Rücklagen für die eigene Rente bezahlt. Im zweiten sind sie selbst in Hartz IV gerutscht. So etwas ist wirklich tragisch und bedeutet für mich politisches Versagen. Bei vielen Unternehmern hat die Krise aber auch nur ein grundsätzliches Problem verschärft: der eingeschlichene Garfield-Status. Sie sind faul und gefräßig, null innovativ. Wir sind eine Generation von Unternehmern, die nie wirkliche Not erlebt hat, nicht mal die Finanzkrise hat die Deutsche Wirtschaft so richtig erschüttert. Und darüber haben viele verlernt, dass Unternehmertum heißt, permanent zu schauen, womit man der Gesellschaft dienen kann.

Harte Worte.

Ja, sicher, aber ich muss das leider so schonungslos sagen. Diese Flexibilität, das eigene Produkt oder die Dienstleistung anzupassen oder gleich etwas Neues zu machen, hatten viele Unternehmen, vor allem viele große, nicht. Manomama, das sind für mich 300 Hände, die im Zweifel auch was anderes machen können als bislang. Als im Frühjahr 2020 Masken gefragt waren, haben wir statt Hemden eben Masken genäht und weil sich fürs Homeoffice kaum jemand eine neue Hose kauft Einkaufstaschen statt Jeans. Das hat uns geholfen, außerdem natürlich das Polster durch das umsichtige Wirtschaften der vergangenen Jahre.

"Riesige Dividenden trotz Kurzarbeit unter aller Sau"

Die Corona-Hilfen der Bundesregierung für die Wirtschaft summieren sich zwischenzeitlich auf fast 120 Milliarden Euro – ein nie dagewesenes Hilfspaket. Warum sprechen Sie dennoch von politischem Versagen?

Ich kenne in meinem unmittelbaren Umfeld Unternehmen, die noch immer keine Novemberhilfen bekommen haben – Monate später! Viele kleine haben längst aufgegeben, dabei sind gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Als Wirtschaftsminister ist Herr Altmaier ein Totalausfall.

Die Großen werden gerettet, die Kleinen vergessen?

Ich komme absolut nicht damit klar, dass Mercedes seinen Aktionären eine riesige Dividende zahlt und gleichzeitig die Mitarbeiter in Kurzarbeit schickt. Formaljuristisch ist das sicher in Ordnung. Aber moralisch finde ich es unter aller Sau. Autobauer lassen jetzt die Bänder stillstehen, weil Chips fehlen. Wahr ist, es gibt eine große Nachfrage und Engpässe. Wahr ist aber auch, dass Bestellungen, die vor der Pandemie getätigt wurden, wegen unsicherer Zeiten geschoben wurden. Aus dieser Fehlentscheidung des Managements resultiert jetzt auch Kurzarbeit. Dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden, ist bei den Großen leider Standard.

Warum kritisieren Sie die Coronahilfen lautstark, obwohl Sie nicht selbst betroffen sind?

Diejenigen, die nicht selbst schreien können, brauchen jemanden, der für sie schreit. Das ist bei meinen Kolleginnen und Kollegen nicht anders: Nach Jahren mit Hartz IV haben viele Menschen nicht die Kraft, sich selbst zu helfen, sie brauchen jemand mit überschüssiger Energie, der sich für sie einsetzt.

Apropos überschüssige Energie: Sie sind Unternehmerin, Mutter und in normalen Zeiten ständig auf Achse. Wie erleben Sie persönlich die Einschränkungen, die die Pandemie mit sich bringt?

Ich bin sonst 200 Tage im Jahr unterwegs, zu Vorträgen, Lesungen, Beratungen. Der Lockdown, das war ‘ne Vollbremsung. Eingangs dachte ich, ich würde das nicht überleben, doch irgendwann habe ich kapiert, welche Möglichkeiten das eröffnet: Wir arbeiten jetzt an sieben neuen Kollektionen und ich kann mich endlich mal wieder selbst ums Design kümmern, wofür ich lange keine Zeit hatte.

"Mit Verantwortung ist es bei den meisten Unternehmen nicht weit her"

Die Corona-Krise hat uns die Schnelllebigkeit der Modeindustrie und die damit verbundenen Probleme drastisch vor Augen geführt: Schon in normalen Jahren bleiben rund 230 Millionen Kleidungsstücke bei Herstellern und Händlern liegen, jetzt ist gar von einer halben Milliarde die Rede. Haben Sie Hoffnung, dass die Branche sich jetzt verändert?

Nein. Die Winterklamotten sind noch nicht verkauft und werden auch nicht mehr verkauft, aber ich sehe schon, dass die Kollegen wieder ordern. Das Zeug lässt sich auch nicht einlagern, das ist viel zu teuer und die weißen Pseudo-Pelzkragen würden bis zum Herbst eh vergilben. Das ist Sondermüll, aber das stört kaum jemanden. Man hat die Verantwortung einfach in die letzte Kette verlagert, sprich die Hersteller irgendwo anders auf der Welt wurden einfach nicht bezahlt. Mit Fairness und Verantwortung ist es bei den meisten Unternehmen ohnehin nicht weit her und in der Krise schon gar nicht.

"Solange die Gier herrscht, brauchen wir gnadenlose Regelungen"

Wer hat die Macht zur Veränderung? Wir Kunden? Die Politik?

In der Krise waren die Kunden froh, dass es noch ein paar Nähereien im Land gab, die ihnen auf die Schnelle ihren Mund-Nasen-Schutz nähen konnten. Aber wenn die Menschen nicht auch das nächste T-Shirt oder die nächste Jeans bei jenen kaufen, dann brauchen sie sich nicht zu wundern, wenn diese in der nächsten Krise nicht mehr da sind. An einer Billigjeans aus Asien klebt oftmals Blut und sie trägt durch ihre enormen Lieferwege dazu bei, dass das Klima kippt. Dessen müssen sich Kunden bewusst sein. Aber man darf ihnen auch nicht die ganze Verantwortung aufdrücken. Die Politik muss viel stärker eingreifen.

Ist das Lieferkettengesetz, an dem die Regierung aktuell arbeitet, ein Anfang?

Das Lieferkettengesetz wird ein zahnloser Tiger. Bereits jetzt schieben Teile der derzeitigen Koalition die Entscheidung für das Gesetz nach hinten. Wir brauchen aber ein Gesetz, dass den Auftraggeber tatsächlich haftbar macht für Menschenrechtsverletzungen und Umweltsünden. Und warum kann man Produkte, die nachweislich auf Kosten der Mitarbeiter und der Umwelt hergestellt wurden, nicht deutlich stärker besteuern? Dann wäre es nämlich, so abscheulich es klingt, plötzlich weniger schmerzhaft, faire Löhne zu zahlen und ökologisch zu produzieren. Der Inditex-Inhaber (Inditex ist Mutterkonzern von Zara und eines der weltgrößten Textilunternehmen; Anm. d. Red.) ist um die 70 Milliarden Euro schwer. So richtig reich ist er geworden, als er die Produktion ins günstigere Ausland verlagert hat. Es war nicht die Not, die Modemarken zu Produktionsnomaden werden ließ, sondern die Gier. Und solange diese herrscht, brauchen wir gnadenlos harte Regelungen, die die Schwächsten vor der Ausbeutung der Stärkeren schützen.

Wie das Lieferkettengesetz künftig Mensch und Natur vor Ausbeutung schützen soll

Fairer Handel und keine Ausbeutung mehr von Mensch und Natur. Dafür soll das Lieferkettengesetz sorgen. Es soll Unternehmen künftig in die Verantwortung nehmen. (Foto: iStock-saif6996)
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