• Die Strompreise befinden sich zurzeit auf einem Rekordniveau.
  • Könnte der Ausstieg aus Atom und Kohle dabei eine Rolle spielen?
  • Ein Ökologe und eine Energieökonomin klären über die Hintergründe der Entwicklung auf.

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Die Energiepreise in Deutschland explodieren momentan geradezu. Viele Kritiker machen dafür den gleichzeitigen Ausstieg aus der Kohle- und der Atomenergie verantwortlich. Könnte es sein, dass der Markt eine solche Anstrengung nicht verkraften kann?

"Der Atomausstieg spielt für die jüngste Preisexplosion eine völlig untergeordnete Rolle", sagt Stefan Holzheu vom Bayreuther Zentrum für Ökologie und Umweltforschung. "Hauptgrund sind die gestiegenen Preise für fossile Kraftstoffe, insbesondere Gas."

Das hänge unter anderem mit der Corona-Pandemie zusammen, sagt Holzheu. "2020 waren zum Beispiel die Gaspreise so extrem niedrig, dass Investitionen in die Gasförderung unterblieben. Jetzt bei anziehender Nachfrage führt dies zu Engpässen und hohen Preisen."

Auch die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert sieht als Hauptgrund für die gestiegenen Strompreise die derzeitige Gaskrise. "Letztere ist vor allen Dingen durch die geopolitischen Streitigkeiten insbesondere mit Russland entstanden, in deren Folge Gaslieferungen reduziert und Gaspreise explodiert sind", sagt Kemfert im Gespräch mit unserer Redaktion.

Strompreis für Privathaushalte und für die Industrie: Entwicklung seit 1998
Strompreis für Privathaushalte und für die Industrie: Entwicklung seit 1998 © 1&1 Mail und Media

Strompreisexplosion: Sollte man den Atomausstieg rückgängig machen?

Steigende Gas- und CO2-Preise führten zu einem höheren Strombörsenpreis, erklärt Kemfert. Und preissenkende Faktoren – wie beispielsweise die gesunkene EEG-Umlage – würden nur zögerlich an die Verbraucher weitergegeben. Somit könne die politisch intendierte Strompreissenkung durch eine Senkung der EEG-Umlage nicht wirklich erreicht werden.

Der Preisanstieg fossiler Energien befeuert auch eine Diskussion, die in Deutschland längst abgeschlossen schien: So kommen vermehrt Stimmen auf, die eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken fordern. Sogar der Bau neuer Meiler wird plötzlich diskutiert, zumindest so lange, bis erneuerbare Energien eine bezahlbare Alternative darstellen.

Dabei dient vor allem Frankreich als Modell. Die Grande Nation setzt voll auf Atom und verfügt mit 56 Meilern über das dichteste Netz an Atomkraftwerken weltweit. Folgerichtig war Frankreich auch die treibende Kraft dabei, Atomstrom und Erdgas in der EU als klimafreundliche Energieformen einzustufen.

Wie teuer ist der Atomstrom wirklich?

Doch wie teuer ist der Strom aus erneuerbaren Energien eigentlich im Vergleich zu Kohle- und Atomstrom? "Atomstrom ist teuer", sagt Claudia Kemfert. "Für Atomstrom fallen hohe Kosten an, vor allem verdeckte Kosten." Dabei würden die Daten oft verfälscht, weil die massive Förderung der Atomenergie durch die Steuergelder meistens nicht berücksichtigt würde, erklärt die Wissenschaftlerin.

Das bestätigt eine Studie, bei der auch Kemfert mitgewirkt hat. Das Fazit: "Die kommerzielle Nutzung von Kernenergie (...) hat (...) niemals den Sprung zu einer wettbewerbsfähigen Energiequelle geschafft. Selbst der laufende Betrieb von älteren Kernkraftwerken wird heute zunehmend unwirtschaftlich. Laufzeitverlängerungen sind technisch und wirtschaftlich riskant. Beim Neubau von Kernkraftwerken der aktuellen 3. Generation muss mit Verlusten in Höhe mehrerer Milliarden US-Dollar beziehungsweise Euro gerechnet werden. Zusätzlich fallen erhebliche und derzeit weitgehend unbekannte Kosten für den Rückbau von Kernkraftwerken und die Endlagerung radioaktiver Abfälle an."

"Ein AKW ist kein Wasserkocher" – Atom keine Alternative für den Klimaschutz

Deshalb sei Kernenergie auch keine kostengünstige Investition in den Klimaschutz: "Energiewirtschaftliche Analysen zeigen, dass die Einhaltung ambitionierter Klimaschutzziele (globale Erwärmung 1,5 Grad bis unter 2 Grad) ohne Kernenergie nicht nur möglich, sondern auch unter Berücksichtigung von Systemkosten mit erneuerbaren Energien kostengünstiger ist."

Für Stefan Holzheu hat sich die Debatte angesichts der Tatsache, dass nur noch drei Atomkraftwerke in Deutschland am Netz sind, erledigt. "Ein AKW ist kein Wasserkocher, den man mal schnell ein paar Jahre weiter nutzt. Für einen Weiterbetrieb braucht man Brennstäbe, Personal, Sicherheitsnachrüstungen. Man hätte die Debatte viel früher führen müssen. Kein einziger Betreiber hat überhaupt ein Interesse an einer Laufzeitverlängerung gezeigt. Und die sollten das Thema am besten einschätzen können."

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Welches sind die günstigsten Stromerzeuger? Fraunhofer-Studie zeigt überraschendes Ergebnis

Wie sieht es aber mit Strom aus Kohle aus? Dieser sei nur billig, "weil ein großer Teil der Kosten auf die Zukunft verlagert wird", sagt Stefan Holzheu. "Würde man die Klimafolgekosten einpreisen, wären wir bei über 50ct/kWh." Zum Vergleich: Strom aus Onshore-Windenergieanlagen lag 2021 zwischen ca. 3,94 und 8,29 Cent/kWh.

Die Zahlen stammen aus einer Studie des Fraunhofer-Instituts, die zu einem deutlichen Fazit kommt. Demnach seien Photovoltaik-Anlagen und Onshore-Windenergieanlagen "nicht nur unter den erneuerbaren Energien, sondern unter allen Kraftwerksarten im Mittel die Technologien mit den niedrigsten Stromgestehungskosten in Deutschland".

Doch eine Frage treibt viele angesichts des Energieumbaus um: Ist die Energieversorgung in Deutschland weiterhin gesichert? Claudia Kemfert bejaht dies: "In der Vergangenheit wurden die Erzeugungskapazitäten der Atomenergie in erster Linie durch erneuerbare Energien ersetzt. Im Zeitraum des Atomausstiegs innerhalb der letzten knapp 20 Jahre wurde der Anteil von erneuerbaren Energien von nahezu null auf knapp 50 Prozent an der Stromerzeugung erhöht. Somit wurde der Anteil der wegfallenden Atomenergie-Kapazitäten durch erneuerbare Energien mehr als überkompensiert."

Angst vor Abhängigkeit von Stromimporten unbegründet

Auch die Angst vor einer Abhängigkeit von Stromimporten sei unbegründet. "Deutschland ist Netto-Stromexporteur", sagt Kemfert. Und auch Stefan Holzheu beruhigt: "Es spricht nichts dagegen, Strom zu importieren. Es gibt noch genug Erzeugungskapazität in Deutschland. Aber warum soll man teures Gas verbrennen, wenn vielleicht Dänemark Windstrom-Überschuss hat oder auch Frankreich Atomstrom billiger anbietet?"

Bleibt die Frage, wohin sich die Strompreise noch entwickeln werden? Wie sehr wird der Geldbeutel in den nächsten Jahren belastet? Bei der Frage zeigen sich beide Experten optimistisch: "Man geht davon aus, dass die Gaspreise 2023 wieder fallen", sagt Holzheu.

Und auch der Ausbau erneuerbarer Energien kann sich positiv auswirken, wie Claudia Kemfert erklärt: "Wenn der Ökostromausbau schneller geht als bisher geplant, sinken die Strompreise an der Börse deutlich. Je höher der Anteil von fossilen Energien, desto teurer wird es für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Insbesondere Gas und Kohle machen Strom teuer. Erneuerbare Energien wirken preissenkend."

Und eine Preissenkung dürfte genau das sein, worauf die Verbraucher hoffen.

Über die Experten: Dr. Stefan Holzheu ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bayreuther Zentrum für Ökologie und Umweltforschung.
Prof. Dr. Claudia Kemfert ist Energieökonomin und Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW Berlin) sowie Professorin an der Leuphana Universität Lüneburg.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Stefan Holzheu
  • Interview mit Claudia Kemfert
  • Wealer, Ben, Breyer, Christian, Hennicke, Peter, Hirsch, Helmut, von Hirschhausen, Christian, Klafka, Peter, Kromp-Kolb, Helga, Präger, Fabian, Steigerwald, Björn, Traber, Thure, Baumann, Franz, Herold, Anke, Kemfert, Claudia, Kromp, Wolfgang, Liebert, Wolfgang, & Müschen, Klaus. (2021). Kernenergie und Klima. In Diskussionsbeiträge der Scientists for Future (1.0, Vol. 9, pp. 1–98). Zenodo.
  • Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme ISE: Stromgestehungskosten Erneuerbare Energien Juni 2021
  • zeit.de: Atomunion Europa
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